Interview

Der erste Zivildienstleistende Deutschlands "Irgendwann haben sie es akzeptiert"

Stand: 10.04.2011 10:20 Uhr

Am 10. April 1961 traten die ersten 340 Kriegsdienstverweigerer ihren Ersatzdienst an. In dem Jahr hatte der Bundestag das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst verabschiedet. Berthold Morlock war der erste Zivi Deutschlands. Er trat bereits 1957 seinen Dienst an - mit einigen Widerständen, sagt der 73-jährige im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Herr Morlock, aus welchen Gründen haben Sie sich damals für den Zivildienst entschieden?

Berthold Morlock: Aus religiösen Gründen, aus Glaubensgründen. Ich habe damals Sprüche aus der Bibel zitiert. Zum Beispiel: "Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen", "Du sollst nicht töten" oder "Liebe deine Feinde". Ich hatte mir meine Argumente davor genau zurecht gelegt.

Zur Person

Berthold Morlock ist der erste Zivildienstleistende Deutschlands. Der 73-jährige trat am 01. April 1957 in der Heil- und Pflegeanstalt der Diakonie Stetten seinen Ersatzdienst in der Schlosserei an. Daraus wurde sein Beruf. 43 Jahre lang blieb er und lernte in der Diakonie auch seine spätere Frau kennen.

tagesschau.de: Wie schwer war es, mit diesen Argumenten die Beamten zu überzeugen?

Morlock: Es war nicht so hart - bei mir. Denn ich kam zu dem Gespräch ja schon mit der Zusage für einen Platz als Zivi in der Heil- und Pflegeanstalt der Diakonie Stetten. Ich habe bei dem Treffen zu den Beamten gesagt: "Wenn meine Kumpels am 1. April zur Bundeswehr gehen, gehe ich nach Stetten und mache da Pfleger". Ich habe damals selbst die Initiative ergriffen und gesagt, ich mache das, egal ob die Politik so weit ist oder nicht. Insofern war es anfangs ein Kampf. Der endete erst, als mir der Dienst dann Jahre später, Anfang der sechziger Jahre, rückwirkend anerkannt wurde.

tagesschau.de: Was war dann Ihre Aufgabe als erster Zivildienstleistender in der Heil- und Pflegeanstalt der Diakonie?

Morlock: Ich hatte mich als Pfleger beworben und wurde als solcher eingestellt. Als ich dann da war sagte mein Chef, er brauche keinen Pfleger sondern dringend einen Schlosser. Und da ich gelernter Maschinenschlosser war, hat sich das angeboten. So bin ich in die Schlosserei gekommen, in der auch Behinderte und schwer Erziehbare beschäftigt waren. Der Dienst war nach ungefähr 28 Monaten beendet. Aber dann wurde ich Geselle, Schlossermeister, habe die Schlosserei übernommen und noch einen Heilerziehungskurs belegt, und bin da geblieben. 43 Jahre lang.

tagesschau.de: Wie hat Ihre Familie auf Ihre Entscheidung reagiert?

Morlock: Vater und Mutter waren entsetzt. Sie hatten zwar damit gerechnet, dass ich von zu Hause ausziehen würde. Aber, dass ich den Kriegsdienst verweigern könnte, damit hatten sie nicht gerechnet. Irgendwann haben sie es dann akzeptiert, mit einiger Sorge allerdings. Das war natürlich für mein ganzes Leben eine prägende Entscheidung, was die finanziellen Verdienstmöglichkeiten in der Pflegebranche angeht.

tagesschau.de: Und was haben Ihre Freunde zu der Entscheidung gesagt?

Morlock: Ich war im "Christlichen Verein junger Menschen" (CVJM), war Kinderkirchhelfer. Da ist das gut angekommen. Unser Pfarrer hat mich fest unterstützt, kam auch mit zu meiner Verhandlung. Trotzdem war es für ein paar Wochen natürlich das prägende Thema in der Kirchengemeinde und die Leute haben gestaunt, dass ich das gemacht habe.

tagesschau.de: Waren Sie später jemals Hohn und Spott als so genannter "Drückeberger" ausgesetzt?

Morlock: Nein, im Gegenteil. Viele haben die Entscheidung schon geachtet und befürwortet. Dass einer gesagt hätte, das ist ja ein Drückeberger, das hat es nicht gegeben. Auch, weil ich gleich den Riegel vorgeschoben und gesagt habe: "Wenn meine Kumpel zum Bund gehen, mache ich den Ersatzdienst." Das war mein Wunsch. Kurz davor war Krieg. Den hatten wir alle noch erlebt. Deshalb hatten beide Seiten ihre Fürsprecher: Die, die zum Bund gegangen sind und die, die nicht gegangen sind. Die meisten haben gesagt, jetzt war gerade Krieg und durch die Wehrpflicht fangen die schon wieder damit an. Das war schon eine zwiespältige Zeit.

tagesschau.de: Als Sie 1957 den Zivildienst antraten, gab es noch keine offizielle gesetzliche Grundlage für den Ersatzdienst. Woher wissen Sie, dass Sie der erste Zivildienstleistende Deutschlands waren?

Morlock: Wir Kriegsdienstverweigerer haben uns ja damals getroffen, denn wir waren weit unter Tausend. Damals trafen wir uns zwei Mal im Jahr auf einer Freizeit. Und von einer dieser Freizeiten der Kriegsdienstverweigerer gibt es ein Protokoll, in dem ich als erster Ersatzdienstleistender Deutschlands genannt wurde. Von daher weiß man das, sonst hätte ich nie gesagt, dass ich der erste war.

tagesschau.de: Hat Ihnen die Entscheidung rückblickend eher genutzt oder geschadet?

Morlock: Die hat mir nicht geschadet, aber auch nicht viel genutzt. Das Leben ist normal weiter gegangen. Wahrscheinlich etwas entbehrungsreicher, denn ich musste auf mehr verzichten.

Das Geld hat nicht so gestimmt. Wäre ich zwei Jahre zum Bund und dann in die freie Wirtschaft gegangen, hätte ich bedeutend mehr Geld verdienen können. Aber in Bezug auf den Alltag und das ganze Leben - es war eine schöne Zeit.

tagesschau.de: Was halten sie davon, dass die Wehrpflicht und damit auch der Zivildienst ausgesetzt wurde?

Morlock: Ich finde das richtig. Das ist die logische Folge, wenn es keine Wehrpflicht mehr gibt, gibt es auch keinen Zivi mehr. Das ist schon gerecht. Das Problem haben dafür aber die Institutionen. Die müssen es den jungen Leuten jetzt schmackhaft machen, bei ihnen zu arbeiten. Das ist natürlich eine Geldsache. Die Gelder müssen erst einmal aufgetrieben werden und es braucht die Bereitschaft der jungen Leute, einmal für einen gewissen Zeitraum weniger Geld zu verdienen.

Das Interview führte Katja Keppner für tagesschau.de