Interview

Experte zum Börsengang "Ich habe keine Twitter-Aktien gekauft"

Stand: 07.11.2013 23:16 Uhr

Die Erwartungen an den Twitter-Börsengang sind hoch - zu hoch, meint der Wirtschaftsinformatiker Funk. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt er, was sich seiner Meinung nach bei Twitter künftig ändern wird und welche Risiken bestehen.

tagesschau.de: Beim Börsenstart wurde die Twitter-Aktie für 26 Dollar angeboten. War und ist sie das wert?

Burkhardt Funk: Twitter wird in diesem Jahr einen großen Umsatz von wahrscheinlich mehr als einer halben Milliarde US-Dollar machen. Das wirkt natürlich erstmal sehr attraktiv. Aber wenn man bedenkt, dass das Unternehmen bislang in noch keinem Geschäftsjahr Gewinn gemacht hat, ist der Preis der Aktie schon sehr ambitioniert.

Der Gegenwert der Aktien beträgt insgesamt etwa 15 bis 20 Milliarden US-Dollar. Wenn man das dem für 2013 erwarteten Umsatz von 600 Millionen US Dollar gegenüberstellt, sieht man schon die enorme Wachstumserwartung. Und ich bin nicht sicher, dass die sich realisiert. Um es mal persönlich zu sagen: Ich habe keine Aktien von Twitter gekauft.

Zur Person

Burkhardt Funk ist Professor für E-Business an der Leuphana Universität Lüneburg und einer der Gründer des Instituts für elektronische Geschäftsprozesse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich E-Commerce, Integration von Umweltinformationssystemen sowie E-Mental-Health.

tagesschau.de:  Wie wurde denn bisher bei Twitter Geld verdient?

Funk: Der Löwenanteil des Umsatzes wird mit Werbung gemacht. Das sieht bei Twitter anders aus als beispielsweise bei Google oder Facebook. Twitter hat eine Art eigenes Ökosystem entwickelt: Momentan funktioniert die Werbung nicht durch Links auf die Seiten von Werbetreibenden, sondern man bewirbt eigene Tweets und Accounts innerhalb von Twitter. Wenn ich es als Unternehmen auf bestimmte Merkmale von Nutzern abgesehen habe, zum Beispiel Geschlecht, Ort und Interessen, kann ich mit meiner Werbung meine Zielgruppe sehr gut erreichen.

Der Verkauf der Werbung erfolgt im Rahmen von Auktionen, in denen die Werbetreibenden Gebote abgeben können, was ihnen eine Einblendung ihres Tweets oder Accounts bei einer bestimmten Zielgruppe wert ist. Bezahlt wird nur, wenn sich ein Nutzer aktiv mit dem Tweet oder Account auseinandersetzt. Das dürfte derzeit etwa 90 Prozent des Umsatzes ausmachen. Aber natürlich gibt es auch noch andere Beiträge zum Umsatz, beispielsweise durch den Verkauf der Daten. Twitter verfügt über mehr als 300 Milliarden Tweets, die sich seit 2006 angesammelt haben.

Andere Formen der Werbung einführen

tagesschau.de:  Was könnte sich durch den Börsengang bei Twitter ändern?

Funk: Ich denke Twitter wird die Werbung verstärken und in den nächsten Jahren auch andere Formen der Werbung einführen. Beispielsweise künftig aus ihrem Ökosystem heraus auf Seiten zu verlinken. Außerdem könnten die Nutzerprofile weiter ausgebaut werden, damit die Werbung noch gezielter erfolgen kann. Heute sind ja nur recht rudimentäre Daten in den einzelnen Twitter-Accounts vorhanden.

Ein anderer Bereich ist die immense Flut an Daten, die auf Twitter generiert wird. Künftig könnten diese vermehrt an Unternehmen verkauft werden, die an solchen Daten interessiert sind. Es könnte auch sein, dass Twitter analog zu anderen sozialen Medien wie LinkedIn oder Xing kostenpflichtige Premium-Accounts anbieten wird, von denen dann bestimmte Funktionen oder die Frequenz von Nachrichten abhängen.

tagesschau.de: Welche Risiken sehen Sie durch den Börsengang?

Funk: Für Twitter und seine Gesellschafter könnte ein Risiko sein, dass ihr USP (Unique Selling Proposition) nicht stabil genug ist, um sich von anderen Wettbewerbern dauerhaft abzugrenzen. Auf dieses Risiko, wird im Börsenprospekt auch hingewiesen. Es könnte auch sein, dass es negative Reaktionen der Nutzer auf zusätzliche Werbung gibt, manche könnten sich von Twitter abwenden.

"Kaum Risiko beim Datenschutz"

tagesschau.de: Sehen Sie Risiken für die Nutzer, insbesondere bei Thema Datenschutz?

Funk: Ehrlich gesagt nicht. Twitter ist zwar ein US-Unternehmen, aber auch in den USA ist angekommen, dass man in Europa und insbesondere in Deutschland sehr sensibel beim Thema Datenschutz ist. Ich glaube nicht, dass durch den Börsengang die Risiken für persönliche Daten steigen. Ich glaube eher, dass Twitter sogar sensibler für dieses Thema wird. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass man gewisse lokale Unterschiede beim Umgang mit Daten machen wird. Wenn allerdings künftig die Profildaten zunehmen, steigt für die Nutzer natürlich auch das Risiko, wenn diese in die falschen Hände geraten.

tagesschau.de: Ist Social Media ein Bereich, in dem künftig viel Geld zu verdienen ist?

Funk: In diesem Bereich wird in der Zukunft sicherlich noch wesentlich mehr Geld zu verdienen sein als heute. Aber es handelt sich in vielen Segmenten um sogenannte Winner-takes-it-all-Economies. Die Größe eines Unternehmens oder einer Plattform ist ganz wichtig, um Geld zu verdienen, siehe Google und Facebook. Denn Größe geht mit einer Steigerung der Attraktivität für den Nutzer einher.

"Werbung bleibt das Hauptgeschäft"

tagesschau.de:  Welche Plattformen oder Geschäftsmodelle könnten künftig im Bereich Social Media hervorstechen?

Funk: Es gibt eine ganze Reihe Plattformen, die nach ähnlichen Prinzipien wie Twitter funktionieren. Beispiele dafür sind Foursquare oder Tumblr. Bei den Geschäftsmodellen sehe ich aber kaum eine Alternative zur Werbung. Alle großen Unternehmen im weiteren Umfeld von Social Media verdienen damit das meiste Geld, andere Bereiche wie der Verkauf von Profil- oder Nutzungsdaten sowie Analysen - beispielsweise die Identifikation von Meinungsführern - werden auch künftig wohl eher nachgelagert sein.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de