Mehmets Begegnung mit dem IS Der Rückkehrer
Männer wie er gelten als "tickende Zeitbomben": Mehmet reist in ein IS-Camp, will sich zum Kämpfer ausbilden lassen. Doch dann kommen Zweifel. Wie ihm die Flucht zurück nach Deutschland gelang, hat er dem ARD-Magazin Monitor geschildert.
1000 junge Männer sitzen in einem Saal und überlegen, ob sie sterben oder kämpfen wollen. Sie kommen aus Frankreich und Tunesien, aus Saudi-Arabien und Deutschland, doch ihre Nationalitäten sind hier unwichtig: In diesem Raum zählt nur ihre bedingungslose Treue. Einer von ihnen ist Mehmet*. Der Anführer fragt: "Wollt ihr Märtyrer werden?" Selbstmordattentäter? Nein, das will Mehmet nicht. Aber 600 oder 700 andere melden sich. Sie werden in Bussen davongefahren. Keiner von ihnen wird zurückkehren.
Mehmets Worte sind leise, als er seine Geschichte erzählt, seine Sätze mühsam geformt, so als habe er eine Mauer um seine Erinnerungen gebaut, um jene Wochen, die er eigentlich vergessen wollte. Mehmet ist wieder in Deutschland, zurück aus dem Kampfgebiet des sogenannten Islamischen Staats.
Der schwierige Weg ins alte Leben
Nach Monaten sagt er ein Treffen zu, irgendwo in Hessen. Im ARD-Politmagazin Monitor berichtet Mehmet exklusiv über seine Zeit in der Terrormiliz. Als erster deutscher Rückkehrer aus dem IS-Kampfgebiet spricht er öffentlich über seine Motivation, über die Reise in die Lager des IS und über den schwierigen Weg in sein altes Leben. "Ich will reden, damit andere nicht denselben Fehler machen."
Junge Männer wie er gelten nicht erst seit dem Terror von Paris und Kopenhagen als "tickende Zeitbomben", als Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Politiker warnen vor ihnen. Von den 600 nach Syrien und den Irak ausgereisten Deutschen sollen etwa 200 wieder zurückgekehrt sein, mindestens 70 haben vor Ort Kampferfahrung gesammelt. Das ist die Statistik. Doch wie viel Angst muss man vor Mehmet haben?
Mit falschen Freunden fängt es an
Seine Geschichte kennen bisher nur seine engsten Vertrauten. Sie beginnt vor mehr als einem Jahr, wie solche Geschichten meistens beginnen: mit falschen Freunden. Mehmet hat Probleme in der Schule, er sucht nach Bestätigung, lernt Leute kennen, die ihm andere Ziele für sein Leben einreden: "Durch einen Freund habe ich mit der Koranverteilung angefangen, fünfmal am Tag gebetet. Die Schule war mir danach auch egal. Ich habe mich nur noch auf den Islam fokussiert." Oder auf das, was er damals dafür hält.
Seine neuen Freunde zeigen ihm Videos aus Syrien, darauf angeblich Muslime, getötet von Assads Bomben, vergewaltigte Frauen. "Dort sterben unsere muslimischen Geschwister", sagt ein Freund, "wir dürfen nicht einfach rumsitzen und nichts machen. Wir müssen nach Syrien gehen, wir müssen helfen." Sie sagen: helfen. Sie meinen: kämpfen.
Mehmet kauft sich ein Flugticket in die Türkei, reist bis nach Gaziantep - zumindest schildert er so den Ablauf. Deutsche Dschihadisten organisieren Schmuggler, die ihn über die Grenze nach Syrien bringen. Der Weg in den Terror ist perfekt organisiert. Nur Tage nach seinem Abflug steht Mehmet mitten im Kriegsgebiet. Pickups rollen auf ihn zu, darauf Männer mit Sturmhauben und Gewehren. Willkommen im "Islamischen Staat".
Im Lager ohne Ausweis und ohne Handy
Die Männer bringen den jungen Deutschen nach Jarabulus, einer Stadt nahe des umkämpften Kobane. Dort seien ihm Ausweis und Handy abgenommen worden - genau wie den 1000 jungen Männern, die mit ihm dort untergebracht sind, erzählt er. Es ist ein Lager, aber Mehmet nennt es nur "das Gebäude". Dort sind Menschen, die Helfer oder Helden sein wollen - die einen Sinn suchen oder einfach nur ein Abenteuer. "Jede Woche kamen 500 neue dazu", sagt Mehmet.
Sie alle warten auf ihre Ausbildung an der Waffe, sind eingesperrt, bewacht von IS-Kämpfern. Nachts donnern die Jets der Anti-IS-Koalition über ihre Köpfe, die Neuankömmlinge suchen Schutz im Keller. Die Versammlungen mit dem Anführer sind eine seltene Abwechslung. Er spricht Arabisch, danach werden die Reden auf Englisch und Türkisch übersetzt. Wer das nicht kann, reimt sich die Ansprachen mithilfe der anderen zusammen. Und irgendwann stellt er die Frage nach dem Märtyrertod, die Rekrutierung der Selbstmordattentäter. Danach fahren die Busse mit jenen ab, die sich gemeldet haben.
Mehmet erzählt, er habe dann Zweifel bekommen. Und gemerkt, dass viele hier anders denken als er. Dass es ihnen nicht um den Islam geht, sondern ums Töten. Aus ideologischer Verblendung oder blankem Hass, wer weiß das schon? "Da war einer, der hat gesagt: 'Wenn du meinem Vater den Kopf abschneidest, küsse ich deine Hände.' Vielleicht weil er nicht betet - aber das ist doch kein Grund, jemandem den Kopf abzuhacken."
"Es gibt Dinge, über die kann ich nicht reden"
Was hat er sonst gesehen? Was hat er sonst erlebt? "Es gibt Dinge, über die kann ich nicht reden, die muss ich mit mir selbst ausmachen." Wie hat er es geschafft, Syrien zu verlassen? "Ich habe den Anführer gefragt, dann wurde ich in die Türkei gefahren." Seine Version dieser Flucht klingt so anders als das, was man vom IS erwarten würde. Ob sie stimmt? Es lässt sich nicht nachprüfen.
Nachprüfen lässt sich jedoch seine Rückkehr nach Deutschland. Seine Eltern kamen nach seiner Ausreise in Kontakt mit dem "Violence Prevention Network" (VPN) - ein Verein, der sich der Prävention und der Arbeit mit islamistischen Straftätern verschrieben hat. Die Mitarbeiter glauben, dass Mehmet echte Reue zeigt und mit der Ideologie gebrochen hat.
Während Mehmet in der Türkei ist, organisieren Sozialarbeiter vom VPN seine Heimreise. Sie sprechen mit den Behörden, mit der Schule, sorgen dafür, dass er nicht ins Gefängnis gesperrt wird. Als er wieder zu Hause ist, treffen sie sich mit ihm, reden über seine Erfahrungen, diskutieren über den Islam, helfen ihm nach vorne zu blicken. Dank ihnen bekommt er eine zweite Chance, vorerst in Freiheit.
*Name geändert