Reaktion auf Missbrauchsgutachten Kardinal Marx will vorerst im Amt bleiben
Der Münchner Kardinal Marx hat Versagen im Umgang mit Missbrauchsopfern eingeräumt. Die größte Schuld bestehe darin, die Betroffenen übersehen zu haben. Er wolle vorerst im Amt bleiben, "wenn das hilfreich ist", sagte Marx.
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, wird nach dem Gutachten zum sexuellen Missbrauch in seinem Bistum nicht ein weiteres Mal Papst Franziskus seinen Rücktritt anbieten.
"Ich bin bereit, auch weiterhin meinen Dienst zu tun, wenn das hilfreich ist für die weiteren Schritte, die für eine verlässlichere Aufarbeitung, eine noch stärkere Zuwendung zu den Betroffenen und für eine Reform der Kirche zu gehen sind", sagte Marx vor Journalisten in München.
Als Erzbischof trage er Verantwortung für das Handeln des Erzbistums, auch für das Versagen beim Umgang mit Missbrauch, ergänzte der Kardinal. Papst Franziskus hatte im vergangenen Jahr das Rücktrittsangebot von Marx abgelehnt und diesen mit der weiteren Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs betraut.
Für die Zukunft schloss Marx aber ein neues Angebot des Amtsverzichts an den Papst nicht aus. "Ich klebe nicht an meinem Amt." Falls er selbst oder andere den Eindruck gewinnen sollten, er wäre für die weitere Aufarbeitung eher Hindernis als Hilfe, werde er sich kritisch hinterfragen. Allerdings wolle er das dann mit anderen besprechen - "in einer synodalen Kirche will ich das nicht mehr mit mir allein ausmachen".
Viele Fehler gemacht
Marx betonte mehrfach, er habe auch selbst Fehler gemacht. Die größte Schuld sei gewesen, die Betroffenen übersehen zu haben. "Das ist unverzeihlich. Es gab bei uns kein wirkliches Interesse an Ihrem Leiden. Das hat nach meiner Auffassung auch systemische Gründe, und zugleich trage ich dafür als amtierender Erzbischof moralische Verantwortung."
Zugleich wies er Vorwürfe zurück, er habe das Thema zu sehr delegiert: "Der Umgang mit Missbrauch in der Kirche war und ist für mich Chefsache und steht nicht im Gegensatz zum Verkündigungsauftrag. Ich war und bin nicht gleichgültig. Hätte ich noch mehr und engagierter handeln können? Sicher ja!"
Erneute Bitte um Entschuldigung
Marx bat erneut "persönlich und auch im Namen des Erzbistums" die Betroffenen um Entschuldigung. Eine weitere solche Bitte richtete er an die Gläubigen, "die an der Kirche zweifeln, die den Verantwortlichen nicht mehr vertrauen können und in ihrem Glauben Schaden genommen haben. Auch die Pfarrgemeinden, in denen Täter eingesetzt wurden, haben wir zu lange nicht ausreichend im Blick gehabt und sie einbezogen".
Wenn es von den Betroffenen gewünscht werde, wolle er sich regelmäßiger als bisher den Austausch mit ihnen suchen: "Hier will ich stärker präsent sein. Denn der Vorwurf, den ich mir selbst mache, ist die immer noch nicht ausreichende Übernahme der Perspektive der Betroffenen."
"Für Betroffene schwer erträglich"
Missbrauchsopfer haben enttäuscht auf die Stellungnahme von Marx reagiert. "Das war für Betroffene schwer erträglich", sagte der Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch. Katsch kritisierte als Sprecher der Missbrauchsopfer insbesondere, dass Marx auf ein neues Rücktrittsangebot verzichtete. "Vor einer Woche ist das Schiff auf Grund gelaufen - heute erklärt uns der Kapitän, dass er unbedingt an Deck bleiben muss."
Marx sei offensichtlich der Meinung, ohne die Bischöfe und ohne ihn gehe es nicht. Katsch forderte "endlich" eine Hinwendung zu den Missbrauchsopfern. Es gebe bis heute keine unabhängige Anlaufstelle für Missbrauchsopfer, weiterhin müssten Ehrenamtliche wie die Freiwilligen des Eckigen Tischs diese Arbeit machen. "Es gibt immer noch kein Opfergenesungswerk, es gibt immer noch keine faire, angemessene Entschädigung", kritisierte Katsch. Es falle ihm wirklich schwer, "auf dieses selbstzentrierte Gerede von Kardinal Marx wirklich zu antworten".
Katsch bekundete seine Zweifel, dass ein Aufbruch der Kirche durch die Bischöfe möglich sei.
Nicht "den Ernst der Lage erkannt"
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte im Bayerischen Rundfunk, er habe nicht den Eindruck, dass Marx "den Ernst der Lage" erkannt habe. Er forderte einen "Mentalitätswandel": In der Kirche müsse ab sofort radikal aus der Betroffenenperspektive heraus geschaut werden.
Auch der Kirchenrechtler Thomas Schüller fand Marx' Reaktion enttäuschend. "Niemand übernimmt persönliche Verantwortung", sagte Schüller der Nachrichtenagentur dpa. "Das Erzbistum München-Freising geht in den normalen Verarbeitungsmodus über und macht auf business as usual." Verantwortung werde vergemeinschaftet und die Betroffenen und Gläubigen würden in Mithaftung genommen.
Aber auch positive Reaktionen
Positiver sieht es hingegen der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising, Hans Tremmel. Er sagte zu Marx' Statement: "Er ist dazu bereit, persönliche Verfehlungen nicht nur einzugestehen, sondern zu bereuen und positiv damit in die Zukunft zu gehen."
Beeindruckt von Marx' Schuldeingeständnis zeigte sich der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Eine solche persönliche Verantwortungsübernahme wünsche er sich auch von anderen Bischöfen, sagte Rörig der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das wäre vor allem für die Betroffenen ein sehr wichtiges Zeichen.
Münchner Kirchenrichter Wolf lässt Ämter ruhen
Der Münchner oberste Kirchenrichter Lorenz Wolf teilte unterdessen mit, er lasse alle seine Ämter und Aufgaben ruhen. Marx sagte dazu: "Damit bin ich einverstanden. Er will zu gegebener Zeit Stellung nehmen."
Wolf zählt zu den einflussreichsten Kirchenmännern in Bayern. Er ist neben seinen Funktionen im Erzbistum München und Freising als Leiter des Katholischen Büros die Schnittstelle der Kirche zur Politik in Bayern. Außerdem sitzt er seit 2014 dem Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks (BR) vor. Aus diesem Gremium waren in den vergangenen Tagen Rücktrittsforderungen laut geworden.
Als Offizial ist der Kirchenrechtler seit 1997 für die kirchliche Gerichtsbarkeit im Erzbistum verantwortlich. Oft war er als zweite Instanz im Auftrag der römischen Kurie mit Missbrauchsfällen befasst.
Im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) heißt es über Wolf, sein Handeln in zwölf von 104 Fällen gebe "Anlass zu Kritik". Der Offizial verzichtete auf Stellungnahmen zu den einzelnen Fällen, engagierte aber Rechtsbeistände, die die Legitimität der Untersuchung bezweifeln. Die Hauptkritik der Gutachter lautet, Wolf habe im Umgang mit Missbrauchsfällen die Interessen der Beschuldigten vor die der mutmaßlichen Opfer gestellt.