Beschluss zu Klimaschutzgesetz Ein Signal für die junge Generation
Das aktuelle Klimaschutzgesetz verletze die Freiheitsrechte einer ganzen Generation, urteilen die Verfassungsrichter - und erteilen dem Gesetzgeber einen schwierigen Auftrag. Es ist eine Entscheidung mit Signalwirkung.
Zwischen der Nordseeinsel Pellworm und Karlsruhe liegen rund 800 Kilometer samt Fahrt mit der Fähre. Aus der Ferne wird Sophie Backsen genau verfolgt haben, was im Klimabeschluss steht, den das Bundesverfassungsgericht heute auch in ihrem Fall veröffentlicht hat.
Backsens Heimat liegt rund einen Meter unter dem Meeresspiegel. Auf einem alten Bauernhof lebt die 22-Jährige mit ihren Geschwistern und ihren Eltern. Die Familie betreibt Ackerbau, Rinderzucht und hält Schafe. Schon jetzt stehen bei Sturmfluten regelmäßig Teile der Insel unter Wasser. Sie seien heute und erst recht in der Zukunft vom Klimawandel betroffen.
Beschwerdeführerinnen wie Sophie Backsen sind gemeint, wenn das Bundesverfassungsgericht heute sagt: "Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen in ihren Freiheitsrechten verletzt." Schon das zeigt: Es ist eine Entscheidung mit Signalwirkung, ganz besonders für eine jüngere Generation.
Schutzpflichten nicht verletzt
Die angegriffenen Bestimmungen, das sind die Paragrafen des deutschen Klimaschutzgesetzes von Ende 2019. Es verpflichtet Deutschland, die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu mindern und legt Emissionsmengen pro Jahr fest. Es enthält auch das politische Bekenntnis Deutschlands, als langfristiges Ziel Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 zu verfolgen. Was in dem Gesetz geregelt ist, reichte den zahlreichen Beteiligten der sogenannten "Klimaklagen" nicht aus. Nicht in allen Punkten, aber zum Teil hatten sie nun Erfolg.
Erster Anknüpfungspunkt der Klagen war: Der Staat habe durch die geltenden Regeln seine "Schutzpflichten" aus dem Grundgesetz verletzt - also insgesamt zu wenig getan. Mit diesem Argument kommen die Kläger allerdings nicht durch. Zwar gebe es ein Schutzpflicht. Diese umfasse auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Auch das Eigentum der Menschen müsse der Staat schützen, etwa vor steigendem Meeresspiegel oder Dürren.
Aber: Wie genau der Staat diese Schutzpflicht erfüllt, dabei habe der Gesetzgeber einen großen Spielraum. Das ist eine klassische Karlsruher Linie, um die Kompetenzen des Gesetzgebers nicht zu stark zu beschneiden. Dieser Spielraum sei hier nicht überschritten, denn das Gesamtkonzept sei nicht "offensichtlich ungeeignet".
Gericht: Freiheitsrechte junger Menschen in Gefahr
Was das Gericht aber massiv stört: Das Gesetz enthält keine Regelung über das Jahr 2030 hinaus. Das Gesetz verschiebe hohe Reduktionslasten also unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Und genau da kommen die Grundrechte der jüngeren Generation, von Sophie Backsen und den weiteren Beschwerdeführerinnen und -führern ins Spiel. Und zwar mit einem neuen Ansatz.
Denn normalerweise geht es in Karlsruhe darum, dass der Staat im Hier und Jetzt bestimmte Grundrechte verletzt. Neu ist heute: So wie das Gesetz gemacht ist, verletzt es die Freiheitsrechte einer gesamten, jüngeren Generation. Weil der Druck, nach 2030 Treibhausgase zu reduzieren, so groß sein wird, dass die Menschen in ihren Grundrechten massiv eingeschränkt sein würden. Also beim arbeiten, Eigentum bewirtschaften, reisen etc. Vor allem, wenn es bei den Tätigkeiten auch um den Ausstoß von CO2 gehe.
Warnung vor "radikaler Reduktionslast"
Interessant ist, dass das Gericht hier sämtliche Freiheitsrechte einer jüngeren Generation in Gefahr sieht, nicht nur ganz bestimmte. Erforderlich sei, dass die Politik die Reduzierung "vorausschauend" über die Zeit verteile. Ein Zitat des Gerichts macht diesen Ansatz besonders deutlich:
Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.
Rechtlich interessant ist, dass sich das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich auf Artikel 20 a Grundgesetz beruft, der einen staatlichen Schutzauftrag enthält. Danach schützt der Staat auch in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen. Die heutige Entscheidung füllt diese Vorschrift mit Leben.
Nachbesserungen erforderlich
Für das Gericht folgt aus alldem: Das Gesamtkonzept des Klimaschutzgesetzes sei mit den Grundrechten nur dann vereinbar, wenn der Gesetzgeber schon jetzt - bis Ende 2022 - Regeln für die Zeit ab 2030 aufstellt. Darin müssten weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig und für ausreichend lange Zeit festgelegt werden. Der Übergang zur Klimaneutralität müsse rechtzeitig eingeleitet werden. Und man müsse auch Vorkehrungen dazu treffen, wie der massive Druck zur Treibgasreduzierung mit den Grundrechten der künftigen Generationen in Einklang zu bringen seien.
Eine "hinreichend konkrete Orientierung" müsse her. Der Gesetzgeber darf also nicht zu kurzfristig organisieren und planen. Bislang hatte die Politik vor, im Jahr 2025 zu schauen, wie es weitergehen könnte. Das reicht laut Bundesverfassungsgericht nicht aus. Bei den Nachbesserungen geht es also vor allem um die Zeit ab dem Jahr 2030. Ob diese sich direkt oder indirekt auf die Zeit bis 2030 auswirken werden, ist heute noch eine offene Frage. Jedenfalls steht nun bis Ende 2022 eine Herkulesaufgabe für den Gesetzgeber an.
Beschwerdeführerin Backsen von der Insel Pellworm wird den Gesetzgebungsprozess und was er bringt sicher genau beobachten. Denn irgendwann möchte sie vielleicht einmal den Bauernhof ihrer Eltern übernehmen.