20 Jahre Kopftuchstreit Nur ein Stück Stoff?
Wegen ihres Kopftuchs wurde Fereshta Ludin am 13.7.1998 die Einstellung in den Schuldienst verweigert. Sie klagte dagegen und stieß eine Debatte an, die bis heute andauert.
Eigentlich wollte Fereshta Ludin einfach nur unterrichten: Englisch, Deutsch und Gemeinschaftskunde. Doch trotz guter Noten konnte sie nach dem Referendariat nicht als Lehrerin arbeiten. Das Oberschulamt lehnte ihre Übernahme in den den baden-württembergischen Schuldienst ab, weil sie ihr Kopftuch auch im Unterricht tragen wollte.
Die Deutsche mit afghanischen Wurzeln lebt seit 1987 in Deutschland, hat seit 1995 den deutschen Pass. Sie lässt nicht locker und klagt sich durch alle Instanzen.
Sie sagt: "Wäre das Kopftuch ein Zeichen von Unterdrückung, ich wäre die Erste, die es absetzt. Mir ist wichtig, dass jede Frau ihren persönlichen Weg findet - ob mit oder ohne Kopftuch." Ludin wird zur Symbolfigur im Kopftuchstreit in Deutschland.
Eine lange juristische Auseinandersetzung
2002 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin Urteile des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim: Das Land Baden-Württemberg müsse Ludin nicht in den Schuldienst übernehmen.
2003 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil auf, verwies den Fall zurück an das Verwaltungsgericht und zugleich an die Länder. Der Landesgesetzgeber könne und müsse das Ausmaß religiöser Bezüge in der Schule bestimmen.
Es war ein Sieg für Ludin. Aber das Urteil sorgte genau für das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollte: Acht Bundesländer führten Verbotsregelungen für Kopftücher bei Lehrerinnen an staatlichen Schulen ein, darunter Baden-Württemberg.
2015 dann ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Das Kopftuchverbot sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Solche Verbote dürften wegen des Rechts auf Religionsfreiheit nicht pauschal gelten.
Es war eine späte juristische Genugtuung für Ludin. Doch mit der inhaltlichen Debatte, die sie anstieß, ist sie bis heute nicht glücklich.
Eine kontroverse Debatte
Die damalige baden-württembergische Kultusministerin und CDU-Politikerin Annette Schavan erklärte, das Kopftuch sei ein Symbol für politischen Islamismus, kulturelle Abgrenzung und stehe für eine Geschichte der Unterdrückung der Frau.
Ludin fühlte sich durch solche Aussagen diskriminiert. "Baden-Württemberg erinnert mich an heftige Diskrimierungserfahrungen", sagt sie Anfang Juli rückblickend im SWR. "Das tut sehr, sehr weh und es tut immer noch weh."
In ganz Deutschland begann vor 20 Jahren eine kontroverse Debatte um Fragen, die noch heute diskutiert werden: Verletzt das Kopftuch in der Schule die gebotene Neutralität einer Lehrerin? Und allgemeiner: Ist das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau? Ist es ein Hindernis für gelungene Integration? Werden Frauen mit Kopftuch diskriminiert?
Studien zufolge trägt gut ein Fünftel der in Deutschland lebenden muslimischen Frauen ein Kopftuch. Diese Frauen werden aus Sicht des islamischen Theologen Bülent Ucar immer noch ausgegrenzt, auch 20 Jahre nach Beginn des sogenannten Kopftuchstreits. Zwar sei die Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, dass jeder auf seine Weise glücklich werden solle. Allerdings seien die Kopftuch-Gegner in der Öffentlichkeit lauter.
Weiter Streit vor Gericht
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 nahmen die meisten Bundesländer vereinzelt kopftuchtragende Lehrerinnen in den Schuldienst auf.
Doch gestritten wird über das Thema Kopftuch im Beruf weiterhin, auch vor Gericht: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies im März 2018 in zweiter Instanz die Klage einer muslimischen Rechtsreferendarin ab. Sie war gegen eine Auflage vorgegangen, mit der ihr das Tragen ihres Kopftuches untersagt worden war.
Erlaubt oder nicht erlaubt - diese Diskussion wird sicher weitergehen. Seit April 2018 ist auch das Kopftuch an Schulen wieder deutschlandweit Thema. Der Grund: Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp erwägt ein Kopftuchverbot im Unterricht für Mädchen unter 14 Jahren.
Kein politisches Statement
Und Ludin? "Es ist schade, dass wir immer noch über das Thema reden müssen", sagt sie bei einem Auftritt in Stuttgart. Sie ist weiter überzeugt: "Das Kopftuch ist kein politisches Statement oder Zeichen für Protest und Abgrenzung."
Bei der Veranstaltung trägt sie ein cremefarbenes Tuch, das individuell gebunden ist und den Kopf, aber nicht den Hals bedeckt.
Seit 20 Jahren lebt sie in Berlin, dem einzigen Bundesland, in dem für Frauen mit islamischem Kopftuch ein generelles Unterrichtsverbot an staatlichen Schulen gilt. Sie unterrichtet an einer staatlich anerkannten islamischen Privatschule. Mit Kopftuch.