Passanten vor einer Zweigstelle des BAMF in Berlin.
FAQ

Berichte von Flüchtlingen Nicht jeder Hinweis führt zu Kriegsverbrechern

Stand: 07.03.2019 18:05 Uhr

Woher erhalten deutsche Behörden Hinweise auf Kriegsverbrechen? Was passiert dann? Und können Kriegsverbrechen verjähren? tagesschau.de gibt Antworten auf wichtige Fragen.

Um welche Verbrechen geht es?

Zu den Straftaten nach dem Völkerstrafrecht gehören etwa Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, zum Beispiel die gezielte Tötung von Zivilisten und Gefangenen oder die Behinderung humanitärer Hilfe. Im Jahr 2016 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt einen Mann, der im syrischen Bürgerkrieg mit auf Metallstangen aufgespießten Köpfen zweier getöteter Soldaten posiert hatte. Schon alleine das Posieren kann strafbar sein, weil "eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt" wurde.

Was ist die rechtliche Grundlage?

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ermöglicht es der deutschen Justiz, bestimmte Straftaten gegen das Völkerrecht zu ahnden, die im Ausland begangen wurden. Bestraft werden können auch Täter, die keine Deutschen sind. So soll vermieden werden, dass Kriegsverbrecher im Ausland vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt sind.

Tatsächlich gab es in Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder Festnahmen und Anklagen. Zuletzt wurden im Februar etwa zwei mutmaßliche frühere Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes festgenommen. Die beiden Syrer sollen an Folterungen und körperlichen Misshandlungen beteiligt gewesen sein, einer auch an Tötungen.

Woher kommen die Hinweise zu Kriegsverbrechen?

Die mit Abstand meisten Hinweise kommen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - rund 5000 insgesamt seit dem Jahr 2014. Beim BAMF prüfen Mitarbeiter durch gezielte Nachfragen, ob die Angaben vonn Asylsuchenden schlüssig sind. Dabei kann es vorkommen, dass diese von schweren Verbrechen berichten. Mal geben sie an, selbst betroffen oder beteiligt gewesen zu sein, in anderen Fällen, solche Verbrechen beobachtet zu haben.

Die Vorwürfe der Asylsuchenden richten sich dabei nur zum Teil gegen andere Flüchtlinge. Die meisten Hinweise beziehen sich auf Folterer, Terroristen, Milizionäre und Funktionäre, die sich noch im Herkunftsland aufhalten. Es gibt aber auch einige Fälle, in denen Flüchtlinge ihre früheren Peiniger in Deutschland wiedererkannt haben.

In der Antwort des Innenministeriums auf die Anfrage der FDP heißt es auch: "Von den Beschuldigten der seit dem Jahr 2014 eingeleiteten Verfahren hatten zwölf Beschuldigte die deutsche Staatsangehörigkeit. […] Die anderen Beschuldigten hatten die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates. Die fünf im Gesamtzeitraum am häufigsten festgestellten Staatsangehörigkeiten von Beschuldigten waren syrisch, irakisch, deutsch, afghanisch und gambisch."

Wie läuft das weitere Verfahren ab?

Die Hinweise gehen an das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt. Beim Bundeskriminalamt ist auch die 2018 geschaffene "Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen" angesiedelt. Sie ermittelt im Auftrag des Generalbundesanwaltes bei Straftaten gegen das Völkerstrafrecht. Die Behörden prüfen die Hinweise. Wenn es Anhaltspunkte für eine Straftat gibt, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dann können etwa Zeugen vernommen werden.

Was ist mit den Hinweisen passiert?

Dass es bei rund 5000 Hinweisen nur 129 Ermittlungen gab, heißt nicht automatisch, dass alle anderen Fälle liegengeblieben wären. Vielmehr kann es auch sein, dass sich aus einem Hinweis kein konkreter Verdacht ergibt. Die Bewertung einer Meldung des BAMF als "Hinweis" bedeute nicht, dass dieser unmittelbar für ein Strafverfahren verwendbare Informationen enthalte, betont ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber tagesschau.de. "Oft handelt es sich bei diesen Hinweisen um allgemeine Informationen über das Kriegsgeschehen in Krisenregionen oder aber zu tatverdächtigen Personen, die nicht identifizierbar sind." Die Beweislage bei Verbrechen, die im Ausland begangen wurden, ist oft schwierig.

Dazu kommen Kapazitätsprobleme. "Die große Zahl der Hinweise hat es nicht zugelassen, allen zum Beispiel durch polizeiliche Vernehmungen unmittelbar nachzugehen", so das Innenministerium. In den Jahren 2015/2016 sei es zu einer Vielzahl von Hinweisen gekommen. "Alle wurden auf Wertigkeit, Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit überprüft. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorlagen, wurden durch den Generalbundesanwalt Ermittlungsverfahren eingeleitet." Zahlreiche weitere Hinweise seien in Strukturermittlungsverfahren berücksichtigt worden.

Im Übrigen könne nach deutschem Gesetz von der Verfolgung einer Tat nach dem Völkerstrafgesetzbuch bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abgesehen werden. Ein Kriterium dafür sei, dass sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. "Zu berücksichtigen ist, dass es keine Möglichkeiten für deutsche Beamte gibt, im Ausland selbst zu ermitteln", so der Ministeriumssprecher.

Gehen die Behörden zu lax mit den Hinweisen um?

Die Behörden hätten Tausende Hinweise "ignoriert", schrieb etwa die "Bild"-Zeitung. Dem widerspricht das Innenministerium. "Die Hinweise wurden nicht, wie von manchen Medien dargestellt, ignoriert, sondern selbstverständlich gesichtet und kategorisiert." Vorrangig seien solche Hinweise bearbeitet worden, bei welchen es "konkrete Hinweise auf in Deutschland befindliche Straftäter nach dem Völkerstrafgesetzbuch" gab. "Ressourcen der Ermittlungsbehörden auf Ermittlungen zu einem unklaren Tatvorwurf gegen eine nicht namentlich bekannte Person, die sich nicht in Deutschland aufhält, zu verwenden, wäre nicht sinnvoll", so der Ministeriumssprecher.

ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam sagt dazu: "Mein Eindruck ist, dass die Bundesanwaltschaft seit Jahren mit Hochdruck daran arbeitet, Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch aufzuklären." Im Oktober 2018 habe der Generalbundesanwalt ein zusätzliches Ermittlungsreferat zum Völkerstrafrecht eingerichtet, also personell aufgestockt. "Die ARD-Doku 'Zeugen gegen Assad' dokumentiert außerdem, wie intensiv auf diesem Gebiet ermittelt wird." Diese Einschätzung teilt auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebeh: "In kaum einem anderen Land der Welt verfolgt die Justiz Straftaten nach dem Völkerstrafrecht so intensiv wie in Deutschland", sagt er.

Was passiert mit den Fällen, in denen es kein Verfahren gab?

Innenminister Horst Seehofer hat zum konkreten Umgang mit den Hinweisen einen Bericht angefordert, der in den kommenden Tagen erstellt wird. Bezüglich Hinweisen, denen man nicht unmittelbar durch Vernehmungen nachgehen konnte, sagt der Ministeriumssprecher: "Die Hinweise wurden jedoch elektronisch erfasst und werden auch in Zukunft für die laufenden Ermittlungen herangezogen." Die "Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen" sei bereits aufgestockt worden. Ein weiterer Stellenzuwachs sei geplant.

Kriegsverbrechern, die hierzulande mit falscher Identität ein neues Leben begonnen haben, droht außerdem auch künftig eine Strafverfolgung: Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch unterliegen keiner Verjährung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 07. März 2019 um 17:00 Uhr.