Landtagswahl in NRW "Die Stärke der CDU ist die Schwäche der SPD"
Den Sozialdemokraten sei es nicht gelungen, ihre Stammwähler an die Urnen zu bringen, sagt Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt er den Erfolg der CDU - und warum Martin Schulz trotzdem noch Chancen hat.
tagesschau.de: Die SPD hat ihr Stammland krachend verloren. Wie lässt sich der Absturz der Sozialdemokraten in NRW erklären?
Gero Neugebauer: Die wichtigsten Gründe liegen im Land selbst. Die rot-grüne Landesregierung konnte zwar Erfolge verzeichnen, hat aber die Erwartungen der Bürger aus den Augen verloren. So war etwa eine große Zahl der Wähler mit der Bildungspolitik im Land unzufrieden, obwohl die Regierung für diesen Bereich viel Geld zur Verfügung gestellt hat. Andere Themen hatte die SPD schlicht zu lange nicht auf dem Radar, beispielsweise die Innere Sicherheit. Um diesen Bereich hat die Partei sich viel zu spät gekümmert. All das sorgte dafür, dass die Stimmung in Nordrhein-Westfalen nicht gut war und die Landesregierung sich nicht auf hohe Zustimmungswerte stützen konnte. Dafür hat sie jetzt die Quittung bekommen.
Hinzu kommt, dass der SPD die Mobilisierung nicht gut gelungen ist. Die Partei konnte nicht einmal ihre Stammwähler an die Urne bringen - von Wechselwählern und ehemaligen Nicht-Wählern ganz zu schweigen. Das ist allerdings auch kein Wunder. Schließlich hat die SPD in den vergangenen fünf Jahren viele Mitglieder im Land verloren.
Gero Neugebauer studierte Politik- und Sozialwissenschaften. Bis 2006 unterrichtete er hauptamtlich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er war dort danach als Lehrbeauftragter tätig und arbeitet als politischer Publizist. Schwerpunkte seiner Forschung sind das deutsche Parteiensystem sowie Wahlen und Wahlverhalten.
tagesschau.de: Ministerpräsidentin Kraft hatte im Land stark an Ansehen verloren. Jetzt ist sie zurückgetreten. Welche Fehler hat sie gemacht?
Neugebauer: Hannelore Kraft hat während ihrer Amtszeit immer die Meinung vertreten: Wir machen alles richtig. Dabei hat sie aus meiner Sicht die Kommunikation mit der Bevölkerung aus den Augen verloren. Wenn die Wähler auf berechtige Sorgen hingewiesen haben, etwa im Bereich Bildungspolitik, dann reagierte die Ministerpräsidentin darauf üblicherweise mit dem Hinweis, wie viel Geld die Landesregierung ins Bildungssystem pumpt. Die Wähler wollen aber keine Statistiken hören, sondern von ihren Politikern erfahren, wie sie konkret Probleme lösen wollen. Und sie erwarten von ihrer Regierungschefin, dass sie ihre Fehler auch zugibt und korrigiert. Das alles trug zur Niederlage der SPD bei - auch wenn die Zustimmungswerte zur Arbeit der Ministerpräsidenten besser waren als die ihres Gegenkandidaten. Aber das hat nicht mehr gereicht, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
tagesschau.de: Ihr Gegner, CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet, wurde im Wahlkampf vor allem als farblos beschrieben. Wie ist es ihm trotzdem gelungen, die Union zur stärksten Kraft zu machen?
Neugebauer: In NRW hat sich der Satz bestätigt: Es wird keine gute Opposition gewählt, sondern eine schlechte Regierung abgewählt. Die Stärke von Herrn Laschet und der Union ist vor allem Ausdruck der Schwäche der SPD. Sein Wahlsieg hat gezeigt, dass die oft wiederholte These, Personen seien für den Ausgang von Landtagswahlen entscheidend, nicht stimmt.
Die CDU hat ein Ergebnis eingefahren, das unter ihrem Wahlergebnis von 2010 liegt. Damals lag die Partei über 34 Prozent. Es ist ihr schlicht gelungen, nach der historischen Wahlschlappe vor fünf Jahren ihre alten Anhänger wieder zu mobilisieren und aus dem Nichtwählerlager zurückzuholen. Das ist keine neue Stärke. Das ist die alte Stärke neu angestrichen.
tagesschau.de: Die FDP darf im Gegensatz dazu jedoch von sich behaupten, neue Stärke geschöpft zu haben. Die Partei holte in NRW schließlich ein Rekordergebnis. Hat sie damit auch die Rückkehr in den Bundestag sicher?
Neugebauer: Nein, überhaupt nicht. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen war eine lokale Wahl, bei der Spitzenkandidat Lindner so auftreten konnte, als würde er die Partei allein vertreten. Es ist ihm gelungen, Themen anzusprechen, die von den anderen Parteien vernachlässigt wurden. Das sagt aber nichts über die Stärke der FDP im Bund aus. Allerdings haben die Liberalen durch das Ergebnis gute Argumente zu behaupten, es würde wieder nach ihnen verlangt.
tagesschau.de: Weniger nachgefragt sind derzeit die Grünen. Im Land haben sie sich hingegen fast halbiert. Auch im Bund ist die Partei in den Umfragen klar einstellig. Warum stecken die Grünen so in der Krise?
Neugebauer: Im Land musste die Partei vor allem mit der Unzufriedenheit der Bevölkerung bei der Bildungspolitik kämpfen. Im Bund haben die Grünen zudem bei der Wahl ihrer Spitzenkandidaten auf Personal gesetzt, das schon lange in der Politik erfahren ist. Damit haben sie jedoch auch das Signal gegeben, dass es ihnen womöglich am Potenzial für Erneuerung fehlt. Insbesondere Anhängerinnen der Partei waren enttäuscht, dass es bei der Urwahl um die Spitzenkandidatur nur eine Bewerberin gab. Und da die Grünen stärker von Frauen als von Männern gewählt werden, spürt die Partei dieses Manko nun besonders stark.
Hinzu kommt, dass die Partei derzeit nicht auf die Themen setzt, die von der Bevölkerung als relevant angesehen werden. So entsteht keine politische Nachfrage nach den Grünen. Sie wären gut beraten, sich verstärkt auf die Bereiche sozial-ökologischer Umbau der Industriegesellschaft oder den Schutz der Bürgerrechte zu konzentrieren – also auf Themen, die von den anderen Parteien nicht im vollen Umfang besetzt werden. Dann kommt ihr Politikstil auch wieder zum Tragen.
tagesschau.de: Einen anderen Politikstil verspricht auch die AfD, die in NRW in den 13. Landtag einzog - allerding nur einstellig. Ist der Höhenflug der Populisten damit erst einmal vorbei?
Neugebauer: Die AfD kann ihre Wähler vor allem dann mobilisieren, wenn bundespolitische Themen in den Landtagswahlkampf hineinspielen. Dann kann sie über Dinge wie die Euro-Krise oder die angebliche Islamisierung Europas sprechen. Das ist derzeit allerdings nicht gegeben. Die Flüchtlingspolitik hat nicht mehr den dominierenden Stellenwert wie noch vor einem Jahr. Und der AfD ist es auch nicht gelungen, beim Thema Innere Sicherheit die Union abzulösen. Erfolg hat sie noch dort, wo sie durch die Schwäche der Sozialdemokratie behaupten kann, die neue Partei der kleinen Leute zu sein. Das reicht jedoch aktuell nicht mehr für die ganz großen Wahlerfolge. Ob das nur ein Zwischentief ist, wird sich zeigen. Wenn es der Union gelingt, die konservativen Wähler wieder stark an sich zu binden, dürfte es die AfD zwar trotzdem in den Bundestag schaffen - aber wohl nur einstellig.
tagesschau.de: Wieviel Bundestagswahl steckt in der NRW-Wahl?
Neugebauer: Das Rennen ist nicht völlig offen. Theoretisch darf man nicht ausschließen, dass der SPD noch einmal der große Umbruch gelingt, es wäre jedoch kühn, sich darauf zu verlassen. Wir befinden uns in einer Situation, in der Deutschland insgesamt gut dasteht. Es gibt jedoch Unsicherheiten, ob das in der Zukunft auch noch so sein wird. Das spricht im Zweifel für die Amtsinhaberin. Denn gerade Wähler, die Veränderungen fürchten, machen ihr Kreuz lieber bei der Kandidatin, die sie kennen - auch wenn ihr eine gewisse Amtsmüdigkeit zugeschrieben wird.
tagesschau.de: Hat SPD-Kandidat Schulz damit im Herbst überhaupt noch eine Chance?
Neugebauer: Man kann zumindest nicht ausschließen, dass von ihm noch etwas kommt. Schulz stand bei den vergangenen drei Landtagswahlen nicht zur Wahl. Er war in den vergangenen acht Wochen kaum in den Medien präsent. Und er hat was das Programm angeht noch kaum etwas geliefert. Insofern kann er noch Butter bei die Fische tun. Dann wird man sehen, ob er noch genug Leute findet, die das Gericht auch bestellen.
tagesschau.de: Trotzdem dürfte Angela Merkel mit Rückenwind in den Wahlkampf gehen. Sie schwor die Union ja bereits auf den härtesten Wahlkampf der jüngeren Vergangenheit ein. Aber muss die Kanzlerin sich wirklich Sorgen um ihren Verbleib im Amt machen?
Neugebauer: Zur Entwarnung gibt es jedenfalls noch keinen Anlass. Die Union ist nicht so geschlossen, wie es derzeit den Anschein macht. Es gibt zwar derzeit keine Konkurrenz zu Merkel – es gibt aber Zweifel an ihr. Die sind auch durch die Siege bei den Landtagswahlen nicht beseitigt. Und wenn es Schulz noch einmal gelingen sollte, an die Begeisterung anzuknüpfen, die ihn die ersten Wochen nach seiner Nominierung getragen hat, dann kann er sich erneut als mögliche Alternative zu Merkel ins Spiel bringen. Dass die Bevölkerung sich das zumindest theoretisch vorstellen kann, haben die Umfragen vor einigen Wochen gezeigt – auch wenn die Bedingungen derzeit tendenziell besser für Frau Merkel sind als für Herrn Schulz. Aber wir haben jetzt Mitte Mai. Gewählt wird Ende September. Da kann sich noch vieles verändern.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de