Bundesverfassungsgericht Darf Legasthenie im Zeugnis erwähnt werden?
"Rechtschreibleistungen wurden aufgrund Legasthenie nicht bewertet" - ob dieser Vermerk im Abiturzeugnis rechtens ist, soll nun das Bundesverfassungsgericht prüfen. Die Kläger fürchten Nachteile bei Bewerbungen.
"Hey, ich bin Toni und ich studiere Physik." "Hallo, ich bin Patrick, bin gelernter Zweiradmechatroniker, aktuell auf dem Weg zu meinem Meister." "Ich bin Svea, und examinierte Krankenschwester und Medizinstudentin."
Die jungen Aktiven beim Bundesverband Legasthenie haben einen Film über sich ins Netz gestellt und bekennen sich dazu: Ja, sie sind Legastheniker. "Legasthenie ist kein Grund, seine Träume aufzugeben", heißt es in ihrem Film. Und: "Verwirkliche deine Ziele."
Kläger sehen Benachteiligungen
Ihre Ziele verwirklichen wollen auch drei junge Männer, die jeweils 2010 in Bayern Abitur gemacht haben. Sie sind vor das Bundesverfassungsgericht gezogen wegen einer Bemerkung in ihrem Abiturzeugnis. Da steht: "Aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Rechtschreibleistungen nicht bewertet."
Ein Stigma für den Rest des Lebens, finden die drei. Sie bestreiten nicht, dass sie eine Lese-Rechtschreib-Störung haben. Dass sie beim Abitur mehr Zeit bekommen haben. Oder dass Fehler bei der Rechtschreibung nicht gewertet wurden.
Aber bei späteren Bewerbungen sei dieser Kommentar im Zeugnis dann doch ein deutlicher Nachteil. Überall würde fehlerfreies Lesen und Schreiben sehr hoch bewertet. Dabei falle unter den Tisch, dass sie in anderen Bereichen sehr stark sein könnten, zum Beispiel in den Naturwissenschaften oder in Mathematik.
Bundesverwaltungsgericht sieht keine Benachteiligung
Der Hinweis auf die Legasthenie kann schaden, sagt auch Annette Höinghaus vom Bundesverband Legasthenie:
Das Problem ist, dass natürlich viele Vorurteile gegenüber Menschen mit einer Legasthenie bestehen, und oftmals Arbeitgeber, die natürlich aufgrund eines Abiturzeugnisses dann einen Mitarbeiter oder einen Auszubildenden einstellen wollen, die Befürchtung haben, dass jemand mit einer Legasthenie den Arbeitsanforderungen so nicht gewachsen ist.
Beim obersten deutschen Verwaltungsgericht, dem Bundesverwaltungsgericht, haben die drei Kläger nicht Recht bekommen. Das hat zwar zugestanden: Legasthenie hätte nichts mit Begabung und Intelligenz zu tun. Nur das Lesen und Schreiben dauere eben länger. Trotzdem sei es in Ordnung, dass die Legasthenie im Zeugnis erwähnt wird. Denn die Betreffenden würden ja bei der Abschlussprüfung mehr Zeit bekommen als andere. Damit würden sie bevorzugt.
Legasthenie sei juristisch als Behinderung anerkannt. Trotzdem, so das Bundesverwaltungsgericht, sei das keine Benachteiligung von Behinderten, wenn das im Zeugnis erwähnt würde. Es gehe nicht darum eine Behinderung zu dokumentieren, sondern darum, das Zeugnis transparenter zu machen.
Urteil in mehreren Monaten erwartet
Das sehen die drei Kläger anders. Ihr Anwalt Thomas Schneider weist darauf hin, dass hier die Schulen, also der Staat tätig wird. Der dürfe Menschen mit Behinderung nicht ausgrenzen: "Er müsste vielmehr dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderung in jeden Bereich der Gesellschaft gleichberechtigt integriert werden."
Was darf der Staat, dürfen die Schulen die Bemerkung im Zeugnis schreiben? Was verlangt das Grundgesetz? Das Bundesverfassungsgericht verhandelt nun über diese Fragen. Ein Urteil kommt erst in einigen Monaten.