Medikamentenmangel Montgomery fordert EU-weite Reserve
Angesichts des Mangels an einzelnen Arzneien fordert Ex-Weltärztebundschef Montgomery eine EU-weite Medikamentenreserve. NRW und Bayern haben die Einfuhr nicht zugelassener Antibiotika für Kinder erlaubt.
Der Medikamentenmangel ist alarmierend. Deshalb fordert der ehemalige Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, eine EU-weite Medikamentenreserve. Seit mehr als zehn Jahren nähmen die Engpässe zu. "Der Grund sind falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize bei der Pharmaindustrie", sagte er den Zeitungen der Funke-Gruppe.
Bei Massenprodukten außerhalb des Patentschutzes würden die Margen als gering eingeschätzt, so Montgomery. "Big Pharma" habe kein Interesse mehr an diesen Medikamenten und schiebe die Produktion in Billiglohnländer wie China oder Indien ab. "Brennt dort eine Fabrik ab, fehlt eine Grundsubstanz oder gibt es Qualitätsmängel - plötzlich fehlt ein Arzneimittel auf der ganzen Welt."
Eine EU-Reserve als "Verpflichtung für die Pharmaindustrie, überwacht und gemanagt von Staat und Ärzteschaft", lasse sich sofort schaffen, erklärte er. Auch müsse die Politik mit passenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Produktionsstandorte zurück nach Europa holen. Lieferketten sollten mit mehreren Quellen für Medikamente gesetzlich abgesichert werden.
Versorgungsmangel mit Antibiotikasäften für Kinder
In der vergangenen Woche hatten Kinder- und Jugendärzte aus mehreren europäischen Ländern einen Brandbrief an ihre Gesundheitsminister verfasst und fehlende Kinderarzneimittel angeprangert. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sei "europaweit gefährdet". Das Bundesgesundheitsministerium erklärte jüngst offiziell einen Versorgungsmangel mit Antibiotikasäften für Kinder. Damit können die Bundesländer im Einzelfall von den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes befristet abweichen.
NRW und Bayern reagieren auf Mangel
Bayern reagierte bereits: Es will vorübergehend die Einfuhr von in Deutschland nicht zugelassener Antibiotika-Säften für Kinder erlauben. "Die Regierungen sollen mit einer neuen Allgemeinverfügung befristet die Einfuhr von Arzneimitteln gestatten, die bei uns eigentlich nicht zugelassen oder registriert sind", teilte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Wochenende mit.
Auch Nordrhein-Westfalen will schnell Abhilfe schaffen. Es gelte jetzt, zügig und konsequent zu handeln, um die Versorgungslage zu verbessern, teilte das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales am Sonntag auf Anfrage dem WDR mit. So wie Bayern habe auch NRW alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen, hieß es.
Nach Feststellung des Versorgungsmangels könnten die zuständigen Behörden im Land einer Apotheke oder einem pharmazeutischen Großhändler ein befristetes Abweichen von Regelungen des Arzneimittelgesetzes gestatten.
Neues Gesetz soll Lieferengpässe beheben
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lobte bereits die Entscheidung aus Bayern als richtig. "Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Sie sollten genutzt werden", schrieb er bei Twitter.
Der Minister verwies auf ein vom Kabinett bereits beschlossenes Gesetz, das helfen soll, die Lieferengpässe zu beheben. Demnach sollen Hersteller höhere Preise für Kindermedikamente verlangen können, damit Lieferungen nach Deutschland attraktiver werden. Für einige Medikamente sollen Lagerpflichten eingeführt und Hersteller, die in Europa produzieren, stärker berücksichtigt werden.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte Lauterbach zum Handeln auf. Für Medikamente müssten verbindliche Liefermengen vereinbart werden, mahnte er: "Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichen nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen."
In einer früheren Versionen dieses Artikels wurde Montgomery als Weltärztebund-Chef und Vorsitzender des Weltärztebundes bezeichnet. Dieses Amt hat er aber seit Kurzem nicht mehr inne. Der Text wurde entsprechend korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen