Zwangsarbeiterentschädigung Der steinige Weg bis zur letzten Tranche
Im August 2000 ist das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ in Kraft getreten. Zehn Milliarden D-Mark stellten Bundesregierung und deutsche Unternehmen damals für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in der NS-Zeit zur Verfügung. Am 30. September endete das Auszahlungsverfahren.
Von Nicole Diekmann, tagesschau.de
Mehr als 50 Jahre nach Kriegsende, im Jahr 1996, stellte das Bundesverfassungsgericht die Hinfälligkeit der bisherigen Begründung für die nicht erfolgte Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter fest: Deutschland war wiedervereinigt, damit der noch offene Friedensvertrag quasi gegeben. Insbesondere die ehemaligen Zwangsarbeiter aus Osteuropa waren noch nicht entschädigt. Darüber hinaus drohten Sammelklagen von Holocaust-Opfern aus den USA gegen Banken und Versicherungen. Die frisch angetretene rot-grüne Regierung forcierte das Projekt, Kanzler Gerhard Schröder und US-Präsident Bill Clinton hoben die Angelegenheit auf Regierungsebene.
Das große Feilschen
Nach schwierigen Verhandlungen mit den USA um Summen und um künftige Rechtssicherheit der deutschen Unternehmen erklärte sich die Bundesregierung, vertreten durch den Chefunterhändler Otto Graf Lambsdorff, bereit, fünf Milliarden D-Mark zu zahlen. Die selbe Summe sollte die Wirtschaft zur Verfügung stellen. Es folgten eineinhalb Jahre zähen Ringens. Georg Heuberger, deutscher Repräsentant der Jewish Claims Conference (JCC), die die ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter am Verhandlungstisch vertrat, erinnert sich im Interview mit tagesschau.de an das "große Feilschen“: "Da musste jedes Zugeständnis abgerungen werden, teilweise mit Druck von der Regierung. Es war nicht so, dass die Wirtschaft gesagt hätte: Hurra, jetzt dürfen wir endlich unsere Zwangsarbeiter entschädigen - eher im Gegenteil.“
Dennoch sei die Wirtschaft bis heute ein respektabler Partner, betont Heuberger: "Unterm Strich kamen 10 Milliarden D-Mark heraus. Hätten wir die Summe damals nicht für angemessen gehalten, hätten wir nicht zugestimmt.“ Rund 7000 deutsche Unternehmen beteiligten sich an dem Fonds, der ihnen Rechtssicherheit garantierte. Nachfolgende Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter wurden damit hinfällig.
Der steinige Weg bis zur letzten Auszahlung
Am 12. August 2000 trat das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ in Kraft. Die Stiftung mit Sitz in Berlin sollte künftig mit den Partnerorganisationen die Auszahlungen abstimmen. Ein großes Stück Arbeit habe ihn damals erwartet, sagt Michael Jansen, die ersten vier Jahre Vorstand der Stiftung und seit diesem Jahr wieder auf diesem Posten, im Gespräch mit tagesschau.de: "Wir waren nicht sicher, wer nach den Vorgaben des Stiftungsgesetzes wirklich berechtigt war. Die Hunderttausenden einströmenden Anträge mussten gesichtet und überprüft werden, wir hatten ja ein individualisiertes Antrags-, Bearbeitungs-, Genehmigungs- und Auszahlungsverfahren eingeführt.“ Stolz ergänzt er: „Nach neun Monaten wiesen wir die erste Tranche an.“
Dennoch war der Weg von der ersten bis zur nun letzten Auszahlung steinig: Die polnische Partnerorganisation geriet in die Schlagzeilen wegen eines fragwürdigen Umtauschs der gesamten Summe, die den Verdacht der Vorteilsnahme aufkommen ließ. Die Archive, vor allem in Deutschland, wurden wegen langer Bearbeitungszeiten kritisiert. Immer wieder wurde betont, die Zeit laufe wegen des hohen Alters der Berechtigten davon. Auch die 83-jährige Lili Alpar kümmerte sich sofort um ihren Antrag: "Ich bin ja schon im fortgeschrittenen Alter, viel Zeit bleibt mir nicht mehr."
Alpar gehört zu den jüdischen ehemaligen Zwangsarbeitern. Sie stellen eine Minderheit dar, die meisten Juden starben in den Konzentrationslagern. Die meisten Zwangsarbeiter waren Osteuropäer. Sie wurden in der Industrie, in der Landwirtschaft, aber auch in Privathaushalten zur Arbeit gezwungen. „Die ukrainischen Kindermädchen waren sehr beliebt bei den Deutschen“, sagt Michael Jansen von der EVZ. Juden hingegen wurden zu fast 99 Prozent in Konzentrationslagern zwangsbeschäftigt. "Um es überspitzt zu sagen: Eine Jüdin durfte natürlich kein arisches Kind erziehen“, sagt Georg Heuberger von der JCC.
Stiftung kümmert sich nun um die Zukunft
Mehr als 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter oder, wenn sie bereits gestorben sind, deren Erben, haben in den vergangenen fünf Jahren Geld erhalten, die Summen gestaffelt nach Art der Arbeit, die sie verrichten mussten, und der Dauer ihres Zwangseinsatzes.
Nun müssen noch verwaltungstechnische Vorgänge abgewickelt werden, bis zum Frühjahr, schätzt die EBZ, wird das noch dauern. Danach bleibt die Stiftung erhalten und führt ihre zahlreichen Projekte wie Jugend-Austauschprogramme oder Vorträgen fort: "Wir heißen Verantwortung, Erinnerung und Zukunft. In die müssen wir weiter investieren. Das ist auch Verantwortung“, sagt Vorstand Michael Jansen.