Interview mit Sven Regener "Das alte Dschingdarassabum funktioniert nicht mehr"
Mit Festakt und großem Zapfenstreich hat die Bundeswehr ihr 50-jähriges Bestehen begangen. Nicht jedem ist dabei aber zum Feiern zu Mute. Schriftsteller Sven Regener erinnert sich im Gespräch mit tagesschau.de an seinen Wehrdienst. Die Bundeswehr, so Regener, halte an falschen Traditionen fest.
tagesschau.de: Die Bundeswehr feiert ihren 50. Geburtstag. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Soldat?
Sven Regener: Das kann man nicht vergessen, weil der Schock so groß ist. Der Übergang von einem freien Leben zu einem Kasernenleben ist ja geradezu unmenschlich. Es wird einem sofort klar, dass man sämtliche Freiheiten verloren hat. Wenn man aus einer liberalen Gesellschaft wie der deutschen kommt, dann ist allein das Gebrüll schon seltsam. Für mich interessant und unerwartet war das Ausmaß, in dem man auch von den eigenen Kameraden in die Pfanne gehauen wurde und nicht nur von den eigentlichen Vorgesetzten. Als Neuer heißt man dann „Schnüffel“ und hat nicht viel zu lachen. Aber natürlich haben sich nicht alle daran beteiligt.
tagesschau.de: Ein Erlebnis besonders in Erinnerung?
Regener: Nein, es war eher die Vielzahl an kleinen Gemeinheiten. Es gibt da nichts zu dämonisieren, aber auch nichts zu beschönigen. Es geschah ja alles im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaats und ist natürlich mit einer Armee in einer Diktatur überhaupt nicht zu vergleichen. Trotzdem habe ich viele Leute leiden sehen, deren Willen man gebrochen hat.
tagesschau.de: Die Bundeswehr versteht sich als Armee der Bürger in Uniform. Wie haben Sie dies erlebt?
Regener: Für mich war das keine Armee der Bürger in Uniform – zumindest während der Grundausbildung nicht. Da war man kein Bürger. Man hatte keine Rechte, sondern wurde von morgens bis abends angebrüllt. Das ist nicht das, was ich mir unter Bürgerlichkeit vorstelle. Ich werfe das auch der Bundeswehr nicht speziell vor, weil Armeen nun einmal so funktionieren. Aber man soll nicht so tun, als wäre es nur ein Schullandheimausflug – das ist es nämlich nicht. Die Idee von dem Bürger in Uniform ist ein schönes Ideal und hat als Idee sicher vieles gebracht, wenn man etwa an die Rechtsgarantien denkt, die ein Soldat hat. Aber den Wehrpflichtigen gegenüber habe ich es als euphemistischen Hohn erlebt.
tagesschau.de: So gesehen fragt man sich im Nachhinein, warum Sie überhaupt zur Bundeswehr gegangen sind.
Regener: Ich war Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) und bin zum Bund gegangen, um dort politisch zu arbeiten (lacht). Das war natürlich keine so gute Idee. Ich hab auch nicht viel geschafft. Ich bin zwar Vertrauensmann geworden, aber das war auch nicht schwer in der Grundausbildung. Ich bin aber recht schnell aus dem KBW ausgetreten und sah dann in der politischen Arbeit bei der Bundeswehr keinen Sinn mehr. Man kann da nicht agitieren. Die Idee, die „Kommunistische Volkszeitung“ zu verkaufen, habe ich mir schnell abgeschminkt. Zumal politische Betätigung in der Kaserne überhaupt nicht erlaubt ist.
tagesschau.de: Wäre eine Berufsarmee besser?
Regener: Das hängt von der Situation ab. Heute auf jeden Fall. Die Wehrpflicht ist ein Zwangssystem, und beraubt die Wehrpflichtigen wesentlicher Freiheitsrechte. Man braucht gute Argumente, um Menschen ihre Freiheit zu rauben. Das kann man nicht einfach nur machen, um Geld zu sparen. Oder - schlimmer noch - um irgendwelche Erziehungsziele zu verfolgen. Die Bedrohung im Kalten Krieg konnte man als eine solches Argument ansehen. Aber sie existiert nicht mehr. In einer Wehrpflichtarmee ist im übrigen ein großer Teil der Freiwilligen damit gebunden, die Wehrpflichtigen, also die Nicht-Freiwilligen, zu schurigeln. Das ist ein nicht besonders effektives System. Und die Armee war auf diese Weise nicht besonders motiviert. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es ausgesehen hätte, wenn wir damals in den Krieg gezogen wären (lacht).
tagesschau.de: Heute Abend gibt es einen großen Zapfenstreich. Wie sind Sie damals vereidigt worden?
Regener: Ich habe damals das Gelöbnis verweigert, wurde aber als Fackelträger zu einer Veranstaltung im Stadion von Verden zugeteilt. Der damalige Streit um die öffentlichen Gelöbnisse war ja absurd. Die Linke dachte, der Wilhelminismus und das Dritte Reich würden wieder auferstehen, weil in einem Stadion Rekruten vereidigt werden. Genauso unsinnig war es zu glauben, die Bundeswehr mit so einem anachronistischen Modell näher an die Gesellschaft zu bringen. Diese Veranstaltungen hatten in der Bundeswehr keinen besonders guten Ruf. Man hätte liebend gerne die Rekruten auf dem Kasernenhof das Gelöbnis sprechen lassen und alles wäre gut gewesen. Im 21. Jahrhundert funktioniert das alte Dschingdarassabum nicht mehr.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de