Programme gegen Rechts in der Kritik "Wir brauchen Unruhe in Ostdeutschland"
Nach der Hetzjagd auf Ausländer im sächsischen Mügeln stockt die Bundesregierung ihre Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf. Die Mittel sollen um fünf Millionen Euro erhöht und bislang befristete Programme auf eine dauerhafte Basis gestellt werden.Der Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld sagte im Interview mit tagesschau.de, jetzt sei es entscheidend, wofür das Geld eingesetzt werde.
tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die zusätzlichen Mittel für die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, die Familienministerin von der Leyen nun angekündigt hat?
Wilhelm Heitmeyer: Man muss nun erst einmal abwarten, wofür dieses Geld verwendet werden soll. Aber: Geld ist nicht alles! Die Verwendung muss auch konzeptionell durchdacht sein. Mit Geld kann man nur beschwichtigen.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie denn das neue Programm der Großen Koalition?
Heitmeyer: Die Programme greifen viel zu kurz. Notwendig sind kontextbezogene Modelle, die nicht nach dem Schrotschuss-Prinzip funktionieren, frei nach dem Motto "irgendwas wird schon treffen". Die Maßnahmen müssen gebündelt werden auf die Kommunen, wo es am nötigsten ist.
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und Autor bzw. Herausgeber zahlreicher Publikationen zu Gewalt, Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, soziale Desintegration. Er untersuchte im Auftrag der Bundesregierung die Wirksamkeit des Aktionsprogramms für Demokratie und Toleranz - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus 2001-2006 (CIVITAS).
"Trauriger Normalfall"
tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Hetzjagd in Mügeln ein?
Heitmeyer: Dies ist ein trauriger Normalfall. Als Konsequenz muss der Blick nun endlich auf die Stadtgesellschaften gerichtet werden, denn die feindseligen Mentalitäten werden vor allem von den Älteren vertreten - und die Jüngeren bringen dann die Gewalt ins Spiel. Und dann wird eine Gesellschaft plötzlich nervös. Was die Älteren an Denkmustern jeden Tag am Stamm- oder am Abendbrottisch transportieren, das wird überhaupt nicht thematisiert. Es geht nicht darum, sich gegen rechtsextreme Gruppen zu versammeln, sondern die Stadtgesellschaft ist das Problem. Wenn man die Älteren nicht mit ins Boot bekommt, dann hat man ganz schlechte Karten.
tagesschau.de: Warum Mügeln - und nicht Pirmasens?
Heitmeyer: Empirische Untersuchungen haben gezeigt: Ostdeutschland hat ein spezifisch siedlungsstrukturelles Problem - durch die vielen kleinen Gemeinden und Kleinstädte. Die gut ausgebildeten Menschen, die Widerworte geben, die wandern ab. Dadurch wird die Struktur immer homogener, sowohl sozial als auch von den Einstellungsmustern her. Und von homogenen Gruppen geht an vielen Stellen weit mehr Gefahr aus als von heterogenen Gruppen. Weiterhin herrscht ein hoher Konformitätsdruck in diesen kleinen Gemeinden, man kennt sich, es ist kaum möglich, alternative Bekanntschaften und Freundeskreise aufzubauen - anders als in Großstädten.
"In welcher Stadt wollen wir leben?"
tagesschau.de: Was muss konkret passieren?
Heitmeyer: Man braucht Stadtanalysen. Denn sonst passiert das, was der Bürgermeister von Mügeln noch immer tut: Er nennt ausländerfeindliche Sprüche normal. Genau das ist das Problem. Die Stadt muss erst einmal über sich selbst diskutieren, über die Frage: In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben? Das passiert zurzeit aber nicht. Die Bürgermeister machen Image-Politik.
tagesschau.de: Also ist schon der Name des Bundesprogramms "Jugend für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus" nicht weitreichend genug?
Heitmeyer: Man darf sich nicht fixieren auf Jugendgruppen, denn sonst kann man die Wechselwirkung zwischen den Älteren und den Jüngeren, die feindselige Einstellungen übernehmen, nicht unterbrechen. Wenn das nicht passiert, reproduziert sich das Problem immer wieder. Dann laufen wir da immer wieder hinterher.
"Wir brauchen Unruhe!"
tagesschau.de: Viel wurde an der Förderstruktur kritisiert, da jetzt die Kommunen Geld beantragen, die Initiativen können dies nicht mehr tun.
Heitmeyer: Bei den kommunalen Trägern gibt es das Problem, dass mehr Bürokratie entsteht. Und durch diese bürokratischen Abläufe soll gewährleistet werden, dass Ruhe im Karton ist. Aber bei der Lage in Ostdeutschland braucht man Unruhe! Die kleinen Initiativen, die immer wieder mahnen, die müssen ermuntert und nicht über Bürokratie gebremst werden. Die Schweigespirale muss unterbrochen werden. Schweigespirale heißt: Alles was als normal gilt, das wird nicht mehr problematisiert. Und wenn sich gewisse Normalitäten, noch abgesichert durch einen Bürgermeister, herausstellen, dann werden rechte Einstellungen weiter verstärkt.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de