Gesine Lötzsch, Linken-Haushaltsexpertin "Ich würde das Arbeitslosengeld II erhöhen"
tagesschau.de: Einmal angenommen, Sie könnten eine Milliarde Euro im Haushalt 2008 mehr ausgeben. In welches Ressort stecken Sie diese und warum?
Gesine Lötzsch: Ich würde das Arbeitslosengeld II erhöhen. In Anbetracht der schnell steigenden Lebenshaltungskosten ist eine Anhebung überfällig. Unsere Fraktion fordert einen monatlichen Regelsatz von 435 Euro. Allerdings würde die Anhebung sieben Milliarden Euro kosten. Die fehlenden sechs Milliarden Euro könnten durch den Verzicht auf die Unternehmenssteuerreform gewonnen werden.
tagesschau.de: Angenommen, Sie müssten eine Milliarde Euro kürzen: Welches Ressort trifft es und warum?
Lötzsch: Der Verteidigungshaushalt ist mit 29 Milliarden Euro der zweitgrößte Etat im Bundeshaushalt. Es lassen sich hier sogar mehr als eine Milliarde Euro sparen, ohne die Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden. Wir wollen die Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden. Das spart Geld und Leben. Weiterhin gibt es einige Rüstungsprojekte, die im Kalten Krieg gestartet wurden und die schon lange ihre Berechtigung verloren haben.
tagesschau.de: Was ist Ihrer Ansicht nach das überflüssigste Projekt der schwarz-roten Koalition?
Lötzsch: Es ist unmöglich, nur ein Projekt zu nennen. Die Unternehmenssteuerreform, die in den Bundeshaushalt ein Loch von zirka zehn bis13 Milliarden Euro reißen wird, ist völlig überflüssig. In Anbetracht der guten Konjunkturdaten und der riesigen Profite der großen Unternehmen ist diese Reform reine Anbiederei an den BDI. Genauso unsinnig ist der Versuch, die Deutsche Bahn zu privatisieren. Die Privatisierung der Bahn in Großbritannien hat gezeigt, dass die Privatwirtschaft mit einer solchen Aufgabe überfordert ist. Die Bürger haben ein Recht auf eine gut funktionierende Infrastruktur.
"Der Erfolg ist teuer erkauft"
tagesschau.de: Und wo hat die Koalition etwas ausdrücklich richtig gemacht?
Lötzsch: Die Angleichung des ALG II Ost an das Westniveau war richtig. Damit hat die Koalition eine Forderung der Linken aufgegriffen und umgesetzt.
tagesschau.de: Über 900 Milliarden Euro Schulden hat der Bund. Was ist ihr Rezept, um das Schuldenmachen auf Kosten künftiger Generationen zu beenden?
Lötzsch: Der Schuldenabbau ist nur möglich, wenn mehr Arbeitsplätze geschaffen und damit auch mehr Steuern gezahlt werden. Gleichzeitig müssen die großen Unternehmen und die Besserverdienenden stärker zu Kasse gebeten werden. Sie wurden in den letzten Jahren ständig entlastet. Es ist ein Skandal, wenn einige CDU-Politiker sogar laut über die Abschaffung der Erbschaftssteuer nachdenken.
tagesschau.de: Peer Steinbrück sagt, nur die große Koalition aus Union und SPD könne den Staatshaushalt sanieren. Sieht so aus, also ob ihm der Erfolg recht gibt, nicht wahr?
Lötzsch: Der Erfolg ist teuer erkauft. Der Schuldenabbau wird von den Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Rentnern und Familien finanziert. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung der Pendlerpauschale und andere Maßnahmen fließen dem Staat mehr Steuern zu. Die Sanierung des Haushaltes muss auf alle Schultern verteilt werden. Das heißt, die Vermögenden und die großen Unternehmen müssen sich an der Sanierung des Haushaltes beteiligen. Diesen Schritt wird wohl nur eine Mitte-Links-Regierung gehen. Es ist klar, dass eine Sanierung ohne mehr öffentliche Investitionen gar nicht möglich ist. Was haben unsere Enkel davon, wenn wir ihnen zwar keine Schulden, aber eine veraltete Infrastruktur hinterlassen? Wir müssen heute die Voraussetzungen schaffen, damit unsere Enkel eine Infrastruktur übernehmen können, die ihnen die Zukunft sichert.