Interview

Transparency International "Im Interesse der Bürger"

Stand: 26.08.2007 00:21 Uhr

Mehr Transparenz heißt mehr Demokratie, sagen die Befürworter des Informationsfreiheitsgesetzes. Nur wer informiert ist, kann sich auch einbringen. Die Organisation Transparency International setzt sich deshalb für ein Informationsfreiheitsgesetz ein. Arbeitsgruppenleiter Dieter Hüsgen erklärt, wie er damit Staat und Wirtschaft genauer auf die Finger schauen will.

tagesschau.de: Wozu brauchen wir das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) überhaupt? Bei berechtigtem Interesse gewährt das geltende Recht den Bürgern ja schon Zugang zu amtlichen Informationen.

Dieter Hüsgen: Richtig. Aber darüber hinaus muss dem Bürger Gelegenheit gegeben werden, Akten in Fällen einzusehen, bei denen er nicht direkt betroffen ist. Typische Beispiele aus der häuslichen Umgebung sind beispielsweise Baugenehmigungen: Ist da in meiner Nachbarschaft schon mal was abgelehnt worden und warum? Diese Anträge werden bei Landesinformationsgesetzen immer wieder gestellt.

tagesschau.de: Aber wo gibt es denn Berührungspunkte zwischen Bürgern und Ministerien, bei denen die Anträge auf Bundesebene gestellt werden könnten?

Hüsgen: Da gibt es ein klassisches Beispiel: Die paritätischen Wohlfahrtsverbände möchten seit Jahren wissen, warum die zuständige Ministerin den sogenannten Warenkatalog, aus dem sich die Sozialhilfe errechnet, nicht veröffentlicht. Die Wohlfahrtsverbände sagen, dass der aktuelle Sozialhilfesatz bei weitem nicht reicht und sie wollen von der zuständigen Ministerin den Katalog, auf dem die Berechnung basiert. Soviel Geld für Lebensmittel, einmal im Monat Kino usw. Diesen Warenkatalog zu überprüfen, das wäre eine ganz wichtige Sache.

Dann das gesamte Vergabewesen: Der Bund ist ein großer Auftraggeber von Bauaufträgen. Wie häufig werden nur sogenannte eingeschränkte Ausschreibungen gemacht oder es werden Aufträge freihändig vergeben, bei Aufträgen, die im Regelfall öffentlich ausgeschrieben werden müssen ... Das müsste nachgeprüft werden können.

Bürger soll Behörden kontrollieren können

tagesschau.de: Sie sagen also, wir brauchen mehr Transparenz, damit der Bürger das staatliche Handeln kontrollieren kann.

Hüsgen: Ja, richtig. Und er wird oft auch feststellen: "Die Behörde hat richtig gehandelt. Mein Misstrauen war falsch". Das ist ja auch ein Effekt, den so ein Gesetz hat.

tagesschau.de: Die Wirtschaftsverbände haben Angst, dass das Gesetz Wirtschaftsspionage begünstigt. Was sagen Sie denn dazu?

Hüsgen: In dem aktuellen Gesetzesvorschlag unterliegen alle Unterlagen, die Firmen der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung stellen, grundsätzlich dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis - auch dann, wenn kriminelle Dinge dahinter stecken. Wir fordern eine Abwägung, weil auch höherrangige Interessen berücksichtigt werden müssen, hinter denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zurücktreten müssen. Wenn z.B. im Pharmabereich die Gefahr besteht, dass wegen nicht ausreichender Prüfung bei der Zulassung von Arzneimitteln Menschen Schaden an Leib und Leben nehmen.

tagesschau.de: Wie ist es mit dem Verwaltungsaufwand: Werden die Behörden durch das Gesetz nicht mit Anträgen zugeschüttet?

Hüsgen: Ich bin ja alter Verwaltungshase aus Berlin, wo das IFG seit 1999 besteht. Wir haben natürlich auch immer wieder IFG-Anträge zu bearbeiten gehabt. Und uns angewöhnt, Akten ordentlich zu führen. So war es ganz einfach, sie nur durchzusehen, ob vielleicht Datenschutzbelange berührt werden und diese Vorgänge rauszunehmen. Ansonsten wurde die Akte vollständig dem Antragssteller zur Verfügung gestellt. Der Aufwand war verhältnismäßig gering.

Das sagen im Übrigen auch die Datenschützer in allen vier Bundesländern, in denen das Gesetz besteht. Die meisten Anträge werden auf kommunaler Ebene gestellt. Bei den Ministerien selbst sind ausgesprochen wenige Anträge gestellt worden. Hauptinteresse haben natürlich Leute, die einen Korruptionsverdacht haben und Journalisten, die recherchieren wollen.

tagesschau.de: Können Sie mir einen konkreten Fall nennen, in dem Korruption aufgedeckt wurde?

Hüsgen: Nordrhein-Westfalen hat uns mehrere Fälle genannt, in denen offensichtlich Antragssteller nach Korruptionsverdacht gesucht haben. Was da rausgekommen ist, können sie im Detail nicht sagen, aber im Zusammenhang beispielsweise mit der Genehmigung von Müllverbrennungsanlagen sind schon Dinge hochgekommen. Inwieweit danach auch Strafverfahren in Gang gesetzt worden sind, da liegen uns keine Informationen vor.

Vorteile für Journalisten

tagesschau.de: Und an welche Informationen könnte ein Journalist mit Hilfe des neuen Gesetzes kommen, an die er jetzt nicht kommt?

Hüsgen: Er muss sich nicht mehr mit dem begnügen, was ein Ministerium ihm auf einer Pressekonferenz sagt. Er kann die Akten einsehen und wird dann eben auch feststellen, "Na ja, die haben mir auch nur die halbe Wahrheit erzählt". Die Verwaltung ist ja seit längerem unter Druck, Erfolgsergebnisse zu melden und die Erfolgsstatistiken stimmen da oft in dieser Weise nicht. Da stimmt es dann vielleicht, dass die Bescheide rausgegangen sind, aber was dann passiert, wie viele Leute da gegen geklagt haben z.B., das steht da nicht.

tagesschau.de: Zum Beispiel die Harz IV-Bescheide?

Hüsgen: Genau, typischer Fall. Die Leute haben im Januar alle ihr Geld gekriegt und jetzt stellt sich heraus, dass viele Leute ihr Geld nicht bekommen haben.

Nicht zufrieden mit dem Entwurf

tagesschau.de: Sind Sie denn zufrieden mit dem jetzigen Entwurf?

Hüsgen: Nein. Damit sind wir nicht zufrieden. Eine Abwägungsklausel zum Betriebs- und Geschäftsgeheimnis fehlt völlig. Die vielen Ausnahmen, die drin stehen, sind so doppelt und dreifach, dass sie vielen Verwaltungen Schlupflöcher geben zu sagen, hier müssen wir keine Auskunft erteilen. Außerdem befürchten wir, dass die Beantwortungsfrist noch rausfallen wird. Das ist ja etwas Neues. Bisher hat man ja immer das Wort "unverzüglich" benutzt und das heißt "ohne schuldhaftes Zögern". Wenn die Behörde mit Arbeit blockiert ist, kann die Beantwortung also auch ein Jahr dauern. Und das ist nicht im Interesse der Bürger.

Das Interview führte Anette Schmaltz vor der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag