Merkel bei "Anne Will" "Ich habe einen Plan"
Schaffen wir das? Ja, wir schaffen das. Planlos in Berlin? Unsinn. Aufnahmestopp für Flüchtlinge? Bringt nichts. Thomas de Maizière? Wird gebraucht, dringender denn je. Nach 60 Minuten Merkel bei "Anne Will" ist klar: Die Kanzlerin hat sich festgelegt. Ohne Hintertürchen.
60 Minuten, ein Gast, eine Moderatorin, ein Thema: Angela Merkel hat in der ARD-Sendung "Anne Will" ausführlich zur Flüchtlingspolitik Stellung genommen. Angelehnt an den Merkel-Satz "Wir schaffen das" lautete der Titel der Sendung:"Die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise - Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel?" Eine Frage, auf die Merkel nicht lange eine Antwort suchen musste: "Wir schaffen das, da bin ich ganz fest davon überzeugt." Man könne mit Willen sehr, sehr viel schaffen. Sie riet zu Optimismus, auch mangels Alternativen: "Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt erklären, wir schaffen es nicht - und dann?"
Abläufe besser steuern
Als Bundeskanzlerin habe sie in einer solchen historischen Bewährungsprobe die Aufgabe, "alles daran zu setzen und den Optimismus und auch die innere Gewissheit zu haben, dass diese Aufgabe lösbar ist. So gehe ich da ran." Die CDU-Chefin und Kanzlerin räumte aber ein, dass es sich um die vielleicht schwierigste Aufgabe seit der Wiedervereinigung handele.
Merkel wiederholte in ruhigem Ton wie ein Mantra vieles, was sie in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt hat: Bund und Ländern müsse geholfen werden, den Andrang der Hilfesuchenden zu bewältigen. Die Abläufe bei der Flüchtlingshilfe müssten "geordneter und gesteuerter" werden und die Lastenteilung in Europa solidarischer. Deutschland brauche mehr europäische Mitstreiter, "einige drücken sich noch vor der Verantwortung" - eine deutliche Kritik in Richtung jener Länder, die nur sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen wollen.
Merkel lobte die Arbeit der vielen Helfer, insbesondere auch jene der bayerischen Landesregierung. Auch im Brief, den Merkel aus den eigenen Reihen erhielt, seien viele gute Vorschläge gewesen. Auf den Vorwurf von CSU-Chef Horst Seehofer, in Berlin gebe es keinen Plan, antwortete Merkel kühl. "Ich habe einen Plan", stellte sie klar. Selbst als Will nachsetzte, ob Seehofer sie nicht nerve, konterte Merkel nur verhalten: "Nerven, das ist keine Kategorie." Ihre Aufgabe als Kanzlerin sei schließlich eine andere als jene des bayerischen Ministerpräsidenten: "Ich muss das Problem lösen."
"Bei Selfies ist die Distanz etwas weniger als bei normalen Fotos. Das hat ein Selfie so an sich."
(Merkel zur Kritik an dem Selfie mit einem Asylbewerber in einem Flüchtlingsheim.)
"Glauben Sie wirklich, dass Flüchtlinge ihr Land verlassen wegen eines Selfies mit der Kanzlerin?"
(Merkel zur Diskussion, ob erst ihre Selfies mit Flüchtlingen viele Menschen dazu gebracht hätten, nach Deutschland zu kommen.)
"Aufnahmestopp funktioniert nicht"
Und wie? Merkels Kritiker hatten einen Aufnahmestopp gefordert. Merkel antwortete mit einer Gegenfrage: "Wie soll das funktionieren? Sie können die Grenze nicht schließen. Es gibt den Aufnahmestopp nicht." Auch Zäune seien keine Lösung, siehe Ungarn. Es liege nicht in der Macht der Bundesregierung, wie viele Menschen kommen.
Die Ursachen für die Zahl der Flüchtlinge lägen weitgehend außerhalb des eigenen Landes, sagte Merkel. Um diese Ursachen zu bekämpfen, müsse die Situation in den Flüchtlingslagern in der Region um die Herkunftsländer verbessert werden. Zudem müsse mit der Türkei über Grenzschutz geredet werden. Das dauere länger, als sich manche wünschten.
Deutschland solle den Flüchtlingen weiter sein freundliches Gesicht zeigen: "Deutschland ist ein Land, dass die Flüchtlinge freundlich empfängt." Darauf sei sie stolz. Sie wolle sich nicht an einem Wettbewerb beteiligen, wer am unfreundlichsten zu Asylbewerbern ist, damit diese wegblieben.
Auch für Merkels Innenminister war in den 60 Minuten kurz Zeit. Auf die Frage, ob sie ihn entlassen werde, sagte Merkel: "Natürlich nicht. Ich brauche ihn dringender denn je." Die Regierungschefin beteuerte erneut, es sei keine Entmachtung des Ministers, dass das Bundeskanzleramt künftig die Flüchtlingspolitik koordiniert.
Ein "Offensivschlag" Merkels
Merkels Auftritt bei "Anne Will" kommt nicht zufällig, sondern dürfte Teil einer Gesamtstrategie sein mit dem Ziel, die Deutungshoheit in der Flüchtlingspolitik zu behalten. Merkel habe gehörig unter Druck gestanden, ihr Fernsehauftritt sei daher ein Offensivschlag gewesen, urteilte ARD-Korrespondentin Sabine Rau nach der Sendung.
Und ARD-Korrespondent Arnd Henze ergänzt: Merkel habe sich festgelegt auf das "Wir schaffen das". Hintertürchen gebe es jetzt nicht mehr. "Diese optimistische Haltung muss Merkel in den nächsten Monaten auch durchhalten."
Merkel hatte sich - ganz untypisch für sie - festgelegt mit dem Satz "Wir schaffen das". Anfang September war das - und seitdem ist viel passiert. Die Zahl der Flüchtlinge steigt, Städte und Kommunen ächzen, Helfer sind am Limit, die Asylanträge stapeln sich und der Bundesinnenminister wirkt nicht immer so, als habe er die Lage im Griff. Merkels Politik der offenen Grenzen stößt zunehmend auf Kritik, Rufe nach Obergrenzen für Flüchtlinge werden laut, einzelne rütteln sogar am Grundrecht auf Asyl. Zugleich verändert sich die Stimmung im Land, die Willkommenseuphorie weicht der Ernüchterung.
Die Kanzlerin steht mit ihrem "Wir schaffen das" im Wort. Sie musste handeln - oder andere würden sie scheitern lassen. Insofern ist es nur konsequent, dass Merkel jetzt die Flüchtlingspolitik vom Kanzleramt aus steuern lässt. Sie verantwortet den Kurs selbst, den sie vorgegeben hat. Kein Minister ist schuld, wenn es schief geht. Soviel Risiko war wohl noch nie in Merkels zehn Kanzlerjahren.