Merkel im Interview Afrika - "mehr Chancen als Risiken"
Kanzlerin Merkel trifft heute Politiker aus zwölf Staaten Afrikas. Im ARD-Hauptstadtstudio spricht sie darüber, weshalb Investitionen dort oft schwierig sind - und warum ihr der Kontinent so ans Herz gewachsen ist.
ARD: Frau Bundeskanzlerin, viele denken bei Afrika zuerst an Armut, Migration, Terror, politische Instabilität. Woran denken Sie?
Angela Merkel: Ich denke an einen Kontinent, der mehr Chancen als Risiken hat, aber wo noch sehr viel zu tun ist. Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr gerade die Jugend in Afrika motiviert ist. Deshalb sollten wir alles daran setzen, mit Afrika zu kooperieren - nicht über Afrika zu sprechen, sondern gemeinsam etwas zu tun.
Kanzlerin Merkel im ARD-Interview in Berlin
ARD: Sie sind häufig in Afrika unterwegs, zuletzt in der Sahelzone. Da zumindest hat sich die Lage zuletzt verschlechtert statt verbessert, obwohl Deutschland und Frankreich seit langem versuchen, Entwicklung und Stabilität voranzubringen. Warum sind wir Europäer da so hilflos?
Merkel: Wir sind nicht nur als Europäer dort hilflos, sondern vor allem sind die Länder auch in einer schwierigen Situation. Das hängt damit zusammen, dass wir keine politische Lösung für das Libyen-Problem haben. Deshalb haben wir jetzt von der Bundesregierung aus auch begonnen, Gespräche mit den Ländern zu führen, die auf Libyen Einfluss haben, um dort einen politischen Prozess in Gang zu bekommen und die Arbeit des UN-Vermittlers Ghassan Salamé zu unterstützen. Denn Libyen ist der Dreh- und Angelpunkt für Frieden und Stabilität in der Sahelzone.
"Das wird auch den deutschen Mittelstand ermutigen"
ARD: Frieden und Stabilität geht ja häufig über die Lebensbedingungen der Menschen dort, also über Jobs. Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft bemängelt, dass Mittelständler, die dort investieren wollen, weiterhin kaum Kredite bekommen. Weil das Risiko in vielen Ländern sehr hoch ist. Wie kann die Bundesregierung da mehr tun?
Merkel: Das ist genau der Ansatzpunkt unseres "Compact with Africa". Die Betonung liegt auf mit Afrika. Das ist eine Initiative, die wir während der G20-Präsidentschaft Deutschlands gestartet haben, die jetzt auch weiter läuft. Aber Deutschland ist immer noch so etwas wie ein Patron.
Es geht genau darum, mehr Investitionen nach Afrika zu bringen. Im Gegenzug verpflichten sich die Länder, ihre politischen Rahmenbedingungen auch transparenter zu gestalten, zum Beispiel auch im finanziellen Bereich oder im Bankenbereich, der so wichtig ist. Wir haben als Anreiz für Leistungen, die diese Länder erbringen, zum Beispiel besondere Kreditbedingungen entwickelt: also Hermes-Bürgschaften mit weniger Zinszahlungen, oder einen Entwicklungsfonds für Länder, die in der Reformpartnerschaft sind.
Daraus können Investitionen gespeist werden. Das wird auch den deutschen Mittelstand ermutigen. Und wir haben gerade für kleine Unternehmen, die in Afrika investieren wollen, einen speziellen Fonds aufgelegt: "Africa Connect". Mit diesem Fonds, glaube ich - wir haben schon 230 Anträge - werden wir auch Mittelständler mit Afrika und den Rahmenbedingungen bekannter machen.
Brücke von Ausbildung zu Arbeitsplatz schlagen
ARD: Politische Stabilität heißt auch ökologische Stabilität. Denn wo Böden verdorren und verbrennen, da lässt sich nichts bauen für die Zukunft. Haben Sie das Gefühl, dass Deutschland dieses Problem - oder diese Herausforderung - schon ausreichend im Blick hat?
Merkel: Ich glaube schon. Wir machen sehr viel im landwirtschaftlichen Bereich, auch an Entwicklungshilfe. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unternimmt dort sehr viel.
Was wir noch weiter lernen müssen, ist die Brücke zwischen Berufsausbildung und Arbeitsplätze für junge Leute zu finden. Das bedeutet, dass wir noch mehr Unternehmen aus Deutschland brauchen und um sie werben, die dann auch anschließend das, was die jungen Leute gelernt haben, durch ihre Investitionen, in den Ländern deutlich machen und unterstützen. Wir hatten im vergangenen Jahr zum Beispiel eine Initiative, wo 300 Dörfer an die Solarenergie angeschlossen werden, im Senegal. Das verbessert wirklich die Lebensqualität vor Ort und gibt jungen Leuten mehr Chancen.
"Wir müssen verschiedene Institutionen zusammenschließen"
ARD: Mit mehr Entwicklung und Wohlstand in Afrika wächst dort der Energieverbrauch rasant. Wie können Europa und Deutschland beim Ausbau von Erneuerbaren Energien helfen, um die Klimaschutzziele nicht völlig verpuffen zu lassen? Haben wir da eine Chance?
Merkel: Ja, wir haben da eine große Chance. Das bedeutet aber eben auch, dass man hier mit den afrikanischen Ländern zusammenarbeiten muss. Denn natürlich gibt's dort auch Energieversorger, die zum Teil eine ganz andere Strategie haben. Man muss oft lange arbeiten, bis Erneuerbare Energieformen vorankommen - das haben wir auch beim Senegal-Projekt gesehen.
Wir unterstützen Marokko, auch ein Teil des "Compact with Africa", mit einem riesigen Solarthermie-Kraftwerk, von dem über zwei Millionen Menschen dann Strom bekommen können. Es gibt solche Beispiele. Aber natürlich wird Deutschland das nicht alleine schaffen.
"Das heißt nicht wegschauen"
ARD: Einer der ersten der "Compact"-Präsidenten, der nach Berlin kommt, ist der Staatschef aus Ägypten, Abdel Fattah Al-Sisi, den sie ja mehrfach schon getroffen haben. Ihm werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Können Sie angesichts dieser wirtschaftlichen und politischen Interessen die Menschenrechte noch im Blick haben?
Merkel: Ich glaube, die Dinge hängen doch miteinander zusammen. Wir reden ja nicht nur über wirtschaftliche Investitionen, sondern natürlich über die Gesellschaft. Und wir haben uns sehr darum bemüht, in unserer G20-Präsidentschaft, die Nichtregierungsorganisationen in solche G20-Präsidentschaften miteinzubeziehen - und ermutigen auch andere, das zu machen: mit Jugendforen, mit den Nichtregierungsorganisationen im zivilgesellschaftlichen Bereich, mit den Frauenverbänden.
Das heißt also, wir wollen gerade auch solche Kontakte dazu nutzen, zivilgesellschaftliches Engagement in den Mittelpunkt zu stellen. Und natürlich sprechen wir auch über Dinge, die uns in den Ländern Sorgen machen. Das heißt nicht wegschauen. Aber es ist in unserem Interesse, dass sich ein Land wie Ägypten stabil entwickelt, sodass die Jugend dort eine Chance und Perspektive hat.
Wir sehen ja an Libyen, was passiert, wenn ein Land instabil ist und wir sehen an Syrien, wenn in einem Land Bürgerkrieg ist. Deshalb muss man miteinander und wird man miteinander im Gespräch bleiben. Ägypten ist auch ein zentraler Baustein, wenn es darum geht, in Libyen eine politische Lösung zu finden.
"Das wird auch uns nützen"
ARD: Frau Merkel, in der innenpolitischen Debatte sind Sie - so ist der Eindruck - ein bisschen leiser geworden. Dafür engagieren Sie sich - und das schon seit langem - für Afrika. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Merkel: Also, ich bestreite erst einmal, dass ich in der innenpolitischen Debatte irgendetwas zurückgeschraubt hätte - wenn Sie sehen, was wir jetzt in der Koalition beim Klimapaket und bei vielen anderen Dingen gemacht haben.
Aber mir ist über die Jahre das Thema Afrika wirklich ans Herz gewachsen, gerade auch noch einmal durch die G-20-Präsidentschaft, unsere davor liegende G-7-Präsidentschaft. Und ich glaube, Investitionen in diesen Kontinent sind Investitionen in die Zukunft. Warum? Es ist unser Nachbarkontinent. Es ist der Kontinent, der, wenn man sich jetzt mal die letzten 30, 40 Jahre anschaut, am wenigsten aus der Armut herausgewachsen ist.
Die asiatischen Länder haben zum Teil sehr viel größere Sprünge gemacht. Aber Afrika hat eine unglaublich motivierte Jugend. Afrika hat sich jetzt zum ersten Mal selber eine Agenda gegeben, mit der Agenda 2063, wo sie sagen: 100 Jahre nach Ende der Kolonialisierung - was wollen wir bis dahin erreicht haben? Und deshalb ist es unsere Aufgabe, aber es könnte auch unsere Bereicherung sein, mit diesem Kontinent, der so aufwacht und sich entwickelt - zum Beispiel im digitalen Bereich oft viel schneller ist als wir -, gute Beziehungen aufzubauen. Das wird auch uns nützen.
Das Interview führte Angela Ulrich, ARD-Hauptstadtstudio