"Feier der Lebenswende" Abschied vom Plüschkaninchen
Die Jugendweihe ist im Osten Deutschlands nach wie vor beliebt. In Halle boomt seit einiger Zeit jedoch eine neue Form des ritualisierten Abschieds der Kindheit: die "Feier der Lebenswende".
In dem steinernen Raum direkt hinter dem Eingang der Moritzkirche in Halle herrscht Trubel. Etwa fünfzehn Jugendliche haben einen Stuhlkreis gebildet. Aus einer großen Kiste holen sie nacheinander Kuscheltiere, bunte Kissen oder Bücher heraus, die sie mitgebracht haben. Es sind Kindheitserinnerungen oder "Schätze der Kindheit" wie sie Daniel Richter nennt, die sie in zwei Wochen symbolisch bei ihrer "Feier der Lebenswende" abgeben sollen.
"Heute im zweiten Treffen geht es darum, was hat euch in Vergangenheit Halt gegeben. Dafür habt ihr den Schatz der Kindheit mit", erklärt er. Daniel Richter ist Jugendbildungsreferent beim Bistum Magdeburg und leitet das Projekt "Feier der Lebenswende".
Nacheinander erzählen alle ihre Verbindung. Kolja hat ein Plüschkaninchen mitgebracht, das ihn seit der Einschulung begleitet: "Wenn ich traurig war, hab ich damit gekuschelt und es hat mich aufgeheitert." Paula hat dagegen ein Kinderbuch mitgebracht, das sie für das Lesen begeistert hat.
Die Kirche erschließt sich neue Kreise
Die Idee zur Feier der Lebenswende hatte 1997 der heutige Weihbischof Reinhard Hauke in Erfurt. Er wollte ein Angebot einer Feier für Jugendliche schaffen, die Schulen in katholischer Trägerschaft besuchten, aber keiner Konfession angehören. Heute kann die Lebenswende nicht nur in Erfurt, sondern auch Berlin, Magdeburg und Halle gefeiert werden. Dort entwickelt sie sich zunehmend zu einer ökumenischen Alternative zum bestehenden weltlichen Angebots der Jugendweihe.
Das Bistum Magdeburg kooperiert dafür mit der evangelischen Kirche Mitteldeutschland. Allein in diesem Jahr nehmen in Halle 700 Jugendliche teil, für das nächste haben sich bereits 840 angemeldet. Gefeiert wird in kleinen Gruppen, die oft von verschiedenen Schulen kommen und sich erst bei den Vorbereitungstreffen kennenlernen.
Ein Ritual für den Abschied von der Kindheit
"Rituale sind ein Grundbedürfnis des Menschen. Sie geben Orientierung und Halt in Phasen, wo ein Umbruch stattfindet", sagt Richter. Dabei gehe es nicht nur um eine Feier als Ritual für den Abschied der Kindheit, sondern vor allem um die vorbereitenden Termine, bei denen sich die Jugendlichen mit sich, Freundschaften, ihren Zukunftswünschen auseinandersetzen und die Feier selbst mitgestalten.
Das ist aber nicht für alle ausschlaggebend. "Also meine Schwester hat Lebenswende gemacht und ich nehme sie generell als Vorbild", sagt Nora. "Und ich finde es schön in einer Kirche zu feiern. Ich bin nicht so religiös, deshalb war Konfi nichts für mich."
Paula dagegen hat sich anfangs nicht so viele Gedanken gemacht: "Meine Eltern haben mich jetzt nicht dazu gezwungen, aber sie wollten halt schon irgendwie, dass ich das feiere", erzählt sie mit einem Lachen. Manche in der Kirche kritisieren, dass die Lebenswende die eigenen kirchlichen Angebote wie Firmung oder Konfirmation abschaffen könnte. Daniel Richter erwidert da nur, dass Jugendliche auch beides machen können, wenn sie und ihre Familien das möchten.
Alphaville trifft Orgel
Zwei Wochen später an einem Samstagnachmittag ist die Moritzkirche bis zum letzten Platz besetzt. Die Jugendlichen haben sich schick gemacht, tragen glitzernde Kleider und bunte Anzüge. Auf der Orgel erklingt "Forever Young" von Alphaville. Nach einem feierlichen Einzug stellen sich die Jugendlichen gegenseitig vor.
Anschließend legen sie nacheinander mit ein paar Worten ihren Schatz der Kindheit in eine Truhe und nehmen die brennende Kerze mit ihren Zukunftswünschen entgegen. "Ich wünsche mir, dass ich später mal nur halb so erfolgreich, ehrgeizig und furchtlos wie meine Mama bin und dass meine Mama, mein Papa und meine Großeltern mich noch lange aufwachsen sehen können", sagt Nora.
"Frieden, Freiheit, Gesundheit, Liebe Glück und Hoffnung", wünscht sich Paula. "Außerdem möchte ich viel Zeit mit den Menschen verbringen, die ich liebe und die mir wichtig sind, also meine Familie und meine Freunde."
Bisher vor allem im Osten Deutschlands
Etwa eineinhalb Stunden dauert die Feier. Auch Daniel Richter und eine Gruppe von Eltern halten eine Rede, es gibt Musik. Zum Schluss erhalten alle Jugendlichen einen Segensspruch und ihre Familien überreichen ihnen eine Rose. Danach geht es im Hof der Moritzkirche mit Sektempfang und Fotos weiter. Viele haben Tränen in den Augen, nehmen sich in die Arme.
Bislang gibt es die "Lebenswendefeier" als Alternative zur Jugendweihe vor allem im Osten Deutschlands. Daniel Richter hofft, dass es irgendwann deutschlandweit von den Kirchen angeboten wird. Im nächsten Jahr soll zum ersten Mal in Hannover eine Lebenswende gefeiert werden.