NSU-Prozess in München Holger G. - ahnungsloser Unterstützer?
Er hat seinen Kameraden eine Waffe übergeben und ihnen Papiere besorgt: Die Anklage im NSU-Prozess wirft Holger G. daher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Doch G. will von den Verbrechen nichts geahnt haben.
Von Angelika Henkel und Stefan Schölermann, NDR
Der 19. Mai 2011 ist ein sonniger und warmer Tag, auf mehr als 20 Grad steigt die Temperatur, als bei der Gemeinde Rodenberg am Deister in Niedersachsen ein Mann zwei Lichtbilder vorlegt: Er beantragt einen neuen Reisepass und eine Meldebescheinigung auf seinen Namen. Der Mann heißt Holger G.
Knapp sechs Monate später wird der 38-Jährige auf dem Polizeirevier in Bad Nenndorf von der Polizei vernommen. Kurz zuvor waren die Taten des "Zwickauer Trios" aufgeflogen; auf Holger G. lastet seit diesem Tag ein schwerer Verdacht. "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" lautet der Vorwurf der Anklage. Dafür muss er sich vor dem 6. Strafsenat des Münchener Oberlandesgerichts verantworten. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S. und Andre E.
Holger G. wurde am 14. November 2011 dem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Wichtiger Belastungszeuge
Doch Holger G. sitzt nicht nur auf der Anklagebank, er könnte auch zu einem der wichtigsten Belastungszeugen werden. Denn Holger G. hat umfassend ausgesagt: über seine persönlichen Verbindungen zu Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, und darüber, was er für sie getan hat. Dazu gehörte auch die Bitte um einen Reisepass, den Böhnhardt erhalten sollte, denn Holger G. sah ihm ähnlich. Und es war nicht das einzige Dokument, mit dem er die Rechtsterroristen laut Anklage versorgte - ein Führerschein war dabei sowie eine Krankenversicherungskarte.
All dies waren aus Sicht der Anklage Handlungen, die dem Trio und seinen Taten nützlich waren. Auf seine Spur waren die Ermittler gekommen, weil Papiere mit seinem Namen sowohl in den Ruinen des Hauses in Zwickau fanden, in dem das Trio offenbar gelebt hatte - also auch in dem Wohnmobil, in dem Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach starben.
Zwei Anwälte werden Holger G. vor Gericht vertreten: Stefan Hachmeister und Pajam Rokni-Yazdi. Beide haben ihre Kanzlei in Hannovers Stadtteil Bemerode. In ihrer Verteidigungsstrategie gehen sie davon aus, dass Holger G. das volle Ausmaß seiner Handlungen nicht überblickt hatte, als er den NSU mit Dokumenten versorgte: "Bis zu dem Zeitpunkt, als mein Mandant und die anderen letztlich verhaftet worden sind, war niemandem klar, wer diese Morde tatsächlich begangen hat." Dass diese in der Presse als "Döner-Morde" bezeichneten Verbrechen einem möglicherweise rechtsradikalen Hintergrund hatten, sei nicht bekannt gewesen, betont er. "Dementsprechend wusste auch unser Mandant nichts und hat auch entsprechend nichts erahnt", betont Rokni-Yazdi.
Sollte das Gericht dieser Ansicht folgen, wäre der Vorwurf der "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" kaum zu halten. Juristisch gesprochen hätte es Holger G. am Vorsatz für solch eine Tat gefehlt. Auch Rechtsanwalt Hachmeister sieht es so: "Von den konkreten Taten wusste er nichts. Es wusste ja noch nicht einmal, dass die irgendwelche Sparkassen überfallen." Die Tatsache, dass das Trio im Untergrund lebte, habe G. akzeptiert, ohne weiter zu fragen. G. habe sich gesagt: "Das soll meiner Freundschaft denen gegenüber keinen Abbruch tun."
Waffe transportiert
Die Anklage sieht das anders, sie geht davon aus, dass Holger G. zumindest damit gerechnet habe, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ihre rassistischen Ziele auch mit Waffengewalt gegen Menschen durchsetzen wollten.
In dieses Bild des Generalbundesanwalts vom Angeklagten passt auch der Umstand, dass G. im Jahr 2001 im Auftrage von Ralf Wohlleben eine Waffe von Jena nach Zwickau transportierte. G. wusste zunächst offenbar nicht, was er da in der Sporttasche den Mitgliedern des Trios überbrachte. Aber er war dabei, als die Empfänger die Pistole durchluden und auf ihre Funktionsfähigkeit überprüften. G. sagt, er habe den Kameraden deutlich gemacht, er wolle damit nichts zu tun haben: "Man könne mit fünf Leuten nicht die Welt retten." Eine Diskussion entbrannte. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor: Auch wenn er es nicht ausdrücklich gewollt habe - er habe sich doch zumindest mit der Möglichkeit abgefunden, dass diese Dinge passierten.
Alte "Kameraden" aus Jena
Vor Gericht wird die Anklagebehörde das beweisen müssen - und steht, wie in vielen anderen Teilen des Prozesses, vor einem Dilemma: Solange Zschäpe und Wohlleben schweigen, muss sie sich auf Indizien stützen. Indizien, die interpretiert werden müssen. Zu diesen Indizien gehört auch, dass G. zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schon seit vielen Jahren Zugang hatte: Man kannte sich aus gemeinsamen Tagen in der rechtsextremen Szene Thüringens, der Heimat von Holger G. Im Jahr 1997 zog er nach Niedersachsen. Auch hier knüpfte er Beziehungen zu Neonazis.
Heute sagt er von sich, er habe sich seit 2004 aus der politischen Szene gelöst. Wie glaubwürdig ist dieser Satz? Bilder, die dem NDR vorliegen, zeigen Holger G. noch im Jahr 2005 als Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration in Braunschweig. Gegenüber den Vernehmungsbeamten räumt er ein, gemeinsam mit dem mutmaßlichen Anführer der inzwischen verbotenen Neonaziorganisation "Besseres Hannover" noch 2011 einen Gerichtsprozess besucht zu haben. Gleichwohl gehen seine Anwälte davon aus, dass Holger G. sich glaubwürdig aus der rechtsextremen Szene gelöst habe. Solch ein Prozess sei nicht von heute auf morgen abgeschlossen; Holger G. sei es um die persönlichen Freundschaften und nicht um die politischen Inhalte gegangen.
"Keine Ahnung gehabt"
Doch all das sei kein Beleg dafür, dass G. auch nur eine Ahnung von den Morden gehabt habe, argumentiert Anwalt Rokni-Yazdi. "Es tut ihm leid, dass er diese Übergabe des Führerscheins und des Personalausweises gemacht hat. Das bereut er auch. Hätte er geahnt, dass damit vielleicht Schindluder betrieben wird, dann hätte er das mit Sicherheit nicht gemacht."
Wegen seiner belastenden Aussagen ist Holger G. seit der Entlassung aus der Untersuchungshaft im Zeugenschutzprogramm des BKA.