Henning Otte, landespolitischer Korrespondent, berichtet
Player: videoEhemaliger Inspekteur der Polizei Andreas R. im Untersuchungsausschuss

Baden-Württemberg Ex-Inspekteur der Polizei kritisiert Innenministerium und Verfahrensdauer

Stand: 07.04.2025 18:25 Uhr

Es ist der #Metoo-Fall mit dem bislang ranghöchsten Beschuldigten in Deutschland: die Affäre um den Ex-Inspekteur der Polizei BW. Andreas R. gibt eine Erklärung im U-Ausschuss ab.

Er ist die zentrale Figur für diesen Untersuchungsausschuss. Fast drei Jahre nach Beginn steht am Montag der frühere Inspekteur Andreas R. vor dem parlamentarischen Gremium in Stuttgart. Seinetwegen ist der U-Ausschuss überhaupt erst eingerichtet worden. Seinen Job als oberster uniformierter Polizist hat er verloren - wegen der Vorwürfe der sexuellen Belästigung und Nötigung.

Andreas R. gibt sich selbstbewusst, als er gut 20 Minuten vor Beginn der Sitzung zum Landtag kommt. Er hält Händchen mit seiner Frau und wird von seinem Anwalt begleitet. Er beantwortet Fragen von Journalisten und sitzt Probe im noch leeren Plenarsaal.

Ex-Inspekteur der Polizei bricht Schweigen

Um 10:04 Uhr ist es dann so weit. Auftritt Andreas R. im U-Ausschuss. Und tatsächlich, er bricht sein jahrelanges Schweigen. Aber nur, um zu erklären, dass er vor dem parlamentarischen Gremium nicht aussagen könne. Um 10:09 Uhr beginnt der 51-jährige Ex-Inspekteur sein vorbereitetes Statement zu verlesen. Er bitte um Verständnis, dass er sich auf sein "vollumfängliches Auskunftsverweigerungsrecht" berufe. "Gerne hätte ich nach dreieinhalb Jahren Schweigen ausgesagt", betont er. Er würde gern die "unzutreffenden Vorwürfe" ausräumen.

Als Hauptgrund für sein Schweigen nennt Andreas R. die "beschränkte Aussagegenehmigung" aus dem Innenministerium, die ihn an der Aufklärung hindere. Der Ex-Inspekteur zeigt sich verwundert darüber, dass diese "beschränkte Aussagegenehmigung" ausgerechnet von der Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz komme, die selbst im Untersuchungsausschuss als Zeugin ausgesagt habe. Deren Handeln "in der Stunde null" im November 2021, als die Vorwürfe gegen ihn aufkamen, sei ihm "bis heute ein Rätsel". Hinz hatte ihn damals zu den Vorwürfen gehört und ihn dann bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.

Die Obleute von Grünen, SPD und FDP widersprachen der Darstellung von Andreas R., er werde an einer Aussage gehindert. Julia Goll (FDP) sagte: "Die Darstellung, er würde gern, darf aber nicht, ist so nicht richtig." Laut Innenministerium geht es bei der Beschränkung der Aussagegenehmigung um das Disziplinarverfahren und etwa Einsatztaktiken. Sie sei ähnlich wie bei anderen Beamten im Zeugenstand. 

Andreas R. bedauert in seinem Statement mehrfach, dass er nicht aussagen dürfe. "Zu kommen, nur um wieder zu gehen, fällt mir schwer." Irritiert zeigt er sich darüber, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen ihn weiter andauern. "Wir befinden uns im Jahr vier, sage und schreibe vier."

Player: audioEhemaliger Inspekteur der Polizei verweigert Aussage im U-Ausschuss

Er beteuert, er sei fest entschlossen, nach Ende des Ermittlungs- und des Disziplinarverfahrens gegen ihn noch auszusagen. Auch wenn der Untersuchungsausschuss demnächst seine Arbeit beende, wolle er zu einem späteren Zeitpunkt zur Aufklärung beitragen. Er sei sich sicher: "Hierfür findet sich eine Lösung." Um 10:14 Uhr erklärt er: "Ich bin leider am Ende meiner Ausführungen."

Freispruch für Polizeiinspekteur Andreas R. knapp zwei Jahre her

Rückblick: Im Juli 2023 war Andreas R. am Stuttgarter Landgericht vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen worden. Es ging um die Frage, ob Andreas R. eine untergebene Kollegin genötigt hat, ihn im November 2021 nachts vor einer Stuttgarter Kneipe intim zu berühren. Am Ende stand Aussage gegen Aussage - und ein Freispruch für den Angeklagten. Das Gericht hielt die Aussage des mutmaßlichen Opfers insgesamt nicht für überzeugend. 

U-Ausschuss nimmt Beförderungspraxis bei Polizei unter die Lupe

In dem Verfahren ging es auch um die Frage, ob der ranghöchste Polizist des Landes seine Machtstellung als Vorgesetzter missbrauchte, um die Kommissarin zu sexuellen Gefälligkeiten zu drängen. Der U-Ausschuss versucht schon seit Juni 2022 herauszufinden, wie Andreas R. so schnell Karriere machen konnte und ob bei der Beförderungspraxis bei der Polizei grundsätzlich etwas nicht stimmt. 

Der damalige Inspekteur soll nach der eigenen Blitz-Beförderung ihm genehme Kandidatinnen und Kandidaten auf höhere Posten gehievt haben - ohne Rücksicht auf Beurteilungen oder Ausschreibungen zu nehmen. Unliebsame Aspiranten mit besseren Beurteilungen wurden den Aussagen zufolge dazu gedrängt, ihre Bewerbungen zurückzuziehen.

Ministerium kürzte dem Ex-Inspekteur zuletzt die Bezüge

Der U-Ausschuss läuft nun fast drei Jahre. 36 Sitzungen gab es und 56 Zeugen wurden gehört. Es ist ruhig geworden um die Polizei-Affäre. Zuletzt gab es im August 2024 eine Wendung: Das Innenministerium verbot Andreas R. seine Dienstgeschäfte zu führen und kürzte ihm seine Bezüge. Statt gut 9.000 Euro pro Monat erhält er nur noch die Hälfte. Bis dahin war er vorläufig des Dienstes enthoben.

Die Entscheidung des Ministeriums von Thomas Strobl (CDU) zeigte, dass man innerhalb des noch laufenden Disziplinarverfahrens zu der Überzeugung gelangt war, dass Andreas R. wegen seiner Verfehlungen am Ende aus dem Beamtenstatus entlassen werden kann.

Mehrfach soll Andreas R. seine sexuellen Fantasien an untergebenen Frauen ausgelassen haben. Am schwersten wiegt nach SWR-Informationen aber der Vorwurf, dass er eine Beförderung für sexuelle Gefälligkeiten in Aussicht gestellt haben solle. Gegen die Kürzung seiner Bezüge klagte der Ex-Inspekteur vor dem Verwaltungsgericht. 

Im November 2021 äußerte sich Andreas R. zu Vorwürfen

Zur Sache eingelassen hatte sich der frühere Spitzenbeamte polizeiintern zuletzt wohl am Montag, den 21. November 2021. Damals wurde Andreas R. über das vorläufige Ende seiner Karriere informiert. Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz berichtete im U-Ausschuss detailliert über das Gespräch.

Andreas R. habe empört reagiert: "Das kann sie doch nicht machen, da habe ich keine Chance", habe er gesagt. Mit "sie" meinte er die junge Beamtin, die ihn aus seiner Sicht bei Hinz angeschwärzt hat. Hinz erzählte weiter, der damalige Inspekteur habe versucht, sich zu rechtfertigen, und gesagt: "Ihre Hose blieb zu." Damit wollte er laut Hinz sagen, dass er in der Nacht keinen Sex mit der Kollegin gehabt habe. Andreas R. habe dann darauf verwiesen, dass die jüngere Frau nach ihrer Scheidung etwas labil gewesen sei und schon öfter Kontakt zu älteren Männern gesucht habe.

Doch dann erwähnte die Präsidentin nach eigener Aussage, dass die Kollegin ein Videotelefonat mit Andreas R. mitgeschnitten habe - wenige Tage nach dem Vorfall vor der Kneipe. Daraufhin räumte der Inspekteur nach Darstellung der Landespolizeipräsidentin ein: "Es war zu nah, es war zu wild." Er müsse sich da hinterfragen. Schließlich habe er Hinz gebeten, die Vorwürfe nicht an die große Glocke zu hängen, er könne doch erstmal freie Tage und Urlaub nehmen. Die Polizeichefin lehnte ab und informierte die Staatsanwaltschaft.

Mitgeschnittenes Videotelefonat könnte noch Folgen für Polizeiinspekteur haben

Nach der Schlappe im ersten Strafprozess im Juli 2023 hat die Staatsanwaltschaft jetzt womöglich noch einen letzten Trumpf in der Hand: Das Videotelefonat zwischen Andreas R. und der jüngeren Kollegin. Wenige Tage nach dem Kneipenbesuch im November 2021 kam es auf Betreiben von Andreas R. zu einem Skype-Gespräch, das die Beamtin im Homeoffice heimlich mit dem Smartphone akustisch mitschnitt. Im ersten Prozess wurde es ohne Öffentlichkeit angehört - auf das Urteil hatte es laut Richter keinen Einfluss, weil es nach den Vorgängen vor der Kneipe aufgenommen wurde.

Nach SWR-Informationen versuchte der Inspekteur die junge Frau darin zu überreden, sich mit ihm einzulassen. Demnach versicherte er in dem Gespräch mehrfach, dass sie durch den privaten Kontakt auch beruflich nur Vorteile haben werde. Er werde sie zu "1.000 Prozent" durch den Auswahlprozess für den höheren Dienst bringen, versprach er ihr.

Aus dem Telefonat ging hervor, dass die Frau sich vor dienstlichen Konsequenzen fürchtete, sollte sie den Inspekteur zurückweisen. Nun stellt sich die Frage, ob und wann die Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen Andreas R. erhebt - wegen Bestechlichkeit zulasten des Staates.

Die politische Dimension der Polizei-Affäre in BW

Sollte die Ermittlungsbehörde den Vorwurf fallen lassen, bliebe nur noch das Disziplinarverfahren im Innenministerium. Damit wäre Innenminister Strobl am Zug, der Andreas R. offensichtlich ganz loswerden will. Strobl hatte sich zu Beginn der Affäre mit einer rechtlich umstrittenen Aktion in die Bredouille gebracht. Er gab Ende 2021 heimlich ein Schreiben des Anwalts von Andreas R. an eine Zeitung weiter. Strobl sagte, er habe damit deutlich machen wollen, dass mit ihm in dieser Affäre kein Deal zu machen sei.

Die Staatsanwaltschaft wollte ermitteln, bekam dafür vom Innenministerium aber keine Ermächtigung. Vier Monate lang blieb unklar, wer das Schreiben durchgestochen hatte. Bis Strobl einräumte, es selbst veranlasst zu haben. Die Opposition forderte Strobls Rücktritt, doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hielt an ihm fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelte dann auch gegen Strobl wegen der Weitergabe des Anwaltsschreibens.

Kurze Zeit später wurde im Landtag der U-Ausschuss eingesetzt, auch um Druck auf den CDU-Minister zu machen. Ende Oktober 2022 wurde das Angebot der Staatsanwaltschaft bekannt, das Verfahren gegen Strobl einzustellen, wenn er eine Geldauflage von 15.000 Euro bezahlt. Der Innenminister akzeptierte und holte sich dafür Unterstützung von der CDU-Fraktion.

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