Fotografie von Rolf Schulten Fotoband A100. (Quelle: Rolf Schulten)

Berlin Fotoband zur A100: "Ich habe die Hoffnung, dass die Autobahn irgendwann ein Lost Place wird"

Stand: 06.04.2025 14:23 Uhr

Der Berliner Fotograf Rolf Schulten zeigt völlig surreale Bilder: eine autofreie A100. Angesichts des geplanten Abrisses der Ringbahnbrücke aber aktueller denn je. Ein Interview über die Hoffnung auf eine Verkehrswende und autofreie Autobahnen.

rbb: Herr Schulten, seit Mitte März ist die Ringbahnbrücke der A100 am Berliner Funkturm für den Verkehr Richtung Norden gesperrt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie mitbekommen haben, dass es hier zum Verkehrskollaps kommt?
 
Rolf Schulten: Das Thema liegt ja bereits seit einiger Zeit in der Luft. Anscheinend muss die ganze Verkehrsinfrastruktur in Deutschland erneuert werden, damit alles so weiterläuft wie bisher. Deswegen hat mich das nicht so richtig überrascht. Ich habe auch gehört, dass die Rudolf-Wissell-Brücke schon seit langer Zeit erneuert werden soll und dass das immer wieder verschoben wird.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation um die A100, beziehungsweise die Verkehrsinfrastruktur überhaupt ein?
 
Ich glaube, dass wir uns in einer Art rasendem Stillstand befinden. Wir versuchen, alles aufrecht zu halten, damit es so weiter geht wie bisher. Aber gleichzeitig ahnen wir, dass das eigentlich nicht funktionieren wird, weil wir ja wissen, was das mit uns, unserer Stadt und letztendlich auch dem Planeten macht.

Die Bilder für Ihren Fotoband "A100" sind zwischen 2021 und 2023 entstanden – also lange Zeit vor dem Chaos rund um die Ringbahnbrücke. Warum war es Ihnen wichtig, eine leere Autobahn ohne Verkehr zu fotografieren? Was ist dabei sichtbar geworden?
 
Ich habe gemerkt, dass mich das Bauwerk mehr beeindruckt, wenn ich es seiner Funktion entledige. Für mich wird mehr sichtbar, wenn ich mich allein auf das Gebäude konzentriere und auf die Oberflächenstrukturen, statt auf die Nutzung. Ich wollte zeigen, mit was für einem ingenieurstechnischen Aufwand dieses Bauwerk errichtet oder gebaut worden ist, nur um diese Tätigkeit des Autofahrens zu ermöglichen und welche Auswirkungen dies auf die Umgebung hat. Ich wollte auch zeigen, wie sich die urbane Umgebung durch die Schneise, die hier durchgeschlagen wurde, verändert hat, wie verbraucht das alles aussieht und wie es letztlich zu einem Ort geworden ist, an dem man sich sehr ungern aufhält.

Wie war es Ihnen möglich, autofreie Autobahnen zu fotografieren?
 
Am Sonntagmorgen ist auf der Autobahn immer am wenigsten los. Es gibt ja aber auch immer mal kleine Lücken zwischen den Autos im Verkehr. Wenn man Serienaufnahmen macht, erwischt man mit etwas Geduld solche Lücken.

Sie haben auch viel am Schmargendorfer Kreuz fotografiert. Was hat Sie an diesem Standort fasziniert?
 
Hierbei hat mich die Masse an Beton und die ehrfurchtgebietende ingenieurstechnische Leistung interessiert. Und auch diese sehr vielfältige Nutzung, die hier stattfindet: Hier werden Autos unter einer Autobahnbrücke abgestellt, weil man sie nicht mehr braucht oder weil sie falsch geparkt haben. Hier finden sich Leute zusammen, die unter ihrer Motorhaube rumschrauben. Hier laufen Jogger durch die Gegend. Hier gibt es nebenan auch eine Fußgängerbrücke über die Autobahn, die zum Eisstadion führt. Hier kommt viel zusammen. Es ist das Schmargendorfer Kreuz. Und Kreuze finde ich immer spannend.

Sie sprachen von einer beeindruckenden ingenieurstechnischen Leistung. Zu was tendieren sie eher, Ablehnung oder Verehrung?
 
Viele von uns sind mit dem Auto aufgewachsen, als wäre es ein Teil ihrer Familie. Für uns war das selbstverständlich, dass dafür alles Mögliche gemacht werden muss, damit wir reisen können. Die ganze Berliner Stadtautobahn wurde geplant und gestaltet für den Blick des Autofahrers. Die schwingenden Kurven und die überschwängliche Architektur des ICC oder der Schlangenbader Straße sollten Blickfänge sein. Man sollte sich wohlfühlen auf der Autobahn. Man sollte möglichst schnell vorankommen. Heute sehen wir das ganz anders, zumindest ich. Wenn ich mich neben die Autobahn stelle oder darunter oder davor, dann sehe ich etwas ganz anderes. Dann sehe ich eine wuchtige, massive Präsenz, die alles andere verdrängt, was einen menschlichen Maßstab hat. Und man sieht die Menschen auf meinen Fotos auch eher als Menschen, die auf der Flucht sind oder verloren wirken. Das wollte ich ausdrücken.

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Sie sind selbst eher Fahrradfahrer - wie ist ihr Blick auf den Individualverkehr und die Abhängigkeit vom Auto?
 
Ich habe die melancholische Hoffnung, dass die Autobahn irgendwann so aussieht, wie ich sie auf meinen Bildern fotografiert habe, nämlich weitgehend leer. Ich erinnere mich noch an autofreie Sonntage und daran, wie beeindruckend ich das fand. Auf mich wirkt das alles wie aus der Zeit gefallen und wie ein künftiger Lost Place. Auf meinen Bildern habe ich versucht, dieses Gefühl darzustellen.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das hier mal ein Lost Place sein wird?
 
Ich hoffe einfach, dass wir mehr Schritte in diese Richtung gehen, dass wir weniger Autos in der Stadt haben, unsere Abhängigkeit reduzieren. Mir ist klar, dass wir die Autobahn im Moment brauchen, um unser Leben führen zu können und um die Stadt zu versorgen. Aber es gibt vielleicht auch andere Möglichkeiten, das zu tun. Ich hoffe, dass wir diese einfallslose Verkehrspolitik überwinden und andere Schritte gehen.
 
Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview mit Rolf Schulten führte Steffen Prell für rbbKultur - das Magazin. Redaktionelle Bearbeitung für rbb|24: Hendrik Matter

Sendung: rbbKultur - das Magazin, 05.04.2025, 18:30 Uhr