
Berlin Premiere am Gorki-Theater: Familiengründung zwischen "Feinden"
Das autobiografische Solo "Between the River and the Sea" vom israelisch-palästinensischen Schauspieler Yousef Sweid ist eine radikale Performance – in ihrer Menschlichkeit, ihrem Humor, ihren Zwischentönen. Es hat sie dringend gebraucht. Von Barbara Behrendt
Möchte jemand gegen die Show protestieren, gegen ihren provokanten Titel? Fragt Yousef Sweid, als er die kleine Studio-Bühne des Maxim-Gorki-Theaters betritt. Nein, niemand zieht ein Banner hervor.
Deshalb gibt Sweid selbst einen Einblick in seine Protest-Souvenirs. Vom Gastspiel in London mit dem Habima-Nationaltheater aus Tel Aviv stammt das Plakat: "Israel Apartheid, leave the stage". Aus Jaffa jenes mit der Aufschrift: "Wenn es euch hier nicht gefällt, geht doch zurück nach Gaza!" Egal mit welchem Nahost-Theater er in welchem Winkel der Welt auf Tour war – irgendjemand auf der Bühne war immer der Feind und wurde beschimpft.
"From the River to the Sea" ist nicht unter den Plakaten. Auch ohne den Zusatz "Palastine will be free" ist es eine umstrittene Parole, schließlich kann man den Protestruf so deuten, dass damit Israel, dem Land zwischen "River" und "Sea", das Existenzrecht abgesprochen wird. Das Stück am Gorki-Theater heißt nun nicht "FROM the River to the Sea", sondern "BETWEEN the River and the Sea".
Eine autobiografische Stand-up-Show
Provokant könnte der Titel trotzdem gemeint sein. Es mag deshalb bei manchem im Publikum für Erleichterung sorgen, als Yousef Sweid sagt: "Ich werde heute nicht vom Krieg sprechen. Sondern: von meiner Scheidung." Damit ist der Ton gesetzt dieser autobiografischen Stand-up-Show, die im Komödienton von den Menschen aus und in Nahost erzählt – in deren Leben und Lieben sich der Konflikt natürlich spiegelt. Es ist das Genre des politisch-persönlichen Solos, wie das am Maxim-Gorki-Theater vor einigen Jahren gute Tradition war mit der Schauspielerin Ohrid Nahmias und der Regisseurin Yael Ronen.
Geschrieben hat den Text der israelisch-palästinensische Schauspieler Yousef Sweid selbst, bekannt aus dem Gorki-Ensemble und aus Fernsehserien wie "Homeland", "Unorthodox" und "Totenfrau". Yousef Sweid ist selbst "in between": Ein Palästinenser, in Israel geboren und aufgewachsen, sozialisiert an jüdischen und arabischen Schulen, christlicher Background, mit zwei Kindern von zwei jüdischen Frauen – eine davon die Regisseurin Yael Ronen, die namentlich im Stück erwähnt wird. Mit ihr ging er damals nach Berlin, wo er bis heute lebt.
Das Politische und das Private
Den irren Mix seines Lebens bringt er im Kleinen auf den Punkt: Mit seiner Schwester in Haifa bespricht er auf arabisch am Telefon, ob die Nacht ohne Raketen geblieben ist – während er seine kleine Tochter auf hebräisch auffordert, ihre Socken anzuziehen und im Kopf mit seinem Vater diskutiert, ob er dem Publikum jetzt wirklich eine Geschichtslektion über Palästinenser in Israel halten muss.
Dramaturgischer Kniff, der das Private und Politische zusammenbringt: Yousefs zweite Ex-Frau möchte mit der Tochter zurück nach Israel – es wäre der Bruch der israelisch-palästinensisch-jüdisch-arabisch-christlichen Patchwork-Familie. Die hier symbolisch steht für das nicht leichte, aber mögliche Zusammenleben aller.

Auf welcher Seite stehst du?
Yousef ist stolz darauf, dass sein Berliner Teenager-Sohn nicht einmal richtig weiß, ob er Jude oder Araber ist. Es bedeutet, dass er ihn vor dem Hass des Nahost-Konflikts bewahrt hat. Doch auch er wird irgendwann gefragt: Auf welcher Seite stehst du eigentlich? Auf der Seite der Starken, der Schwachen, der Guten? Die Schwachen, das sind inzwischen alle, sagt Yousef seinem Sohn.
Die Regisseurin Isabella Sedlak fügt auf der Bühne kaum mehr hinzu als ein Mikrofon und einen Stuhl. Ein bisschen Musik, eine projizierte Landkarte an der Wand. Einfaches Theater, das vom pointierten Spiel seines Darstellers lebt. Sweid schlüpft mit kleinen Gesten in die Figur seines Vaters, seines Sohnes, der Scheidungsanwältin, der Ex-Freundinnen. Und zieht einen in den Bann.
Das liegt auch am Text, der zwar unterhaltsam daherkommt, jedoch dicht von Symbolszenen durchzogen ist. Etwa jene mit Yousefs Anwältin, die die Scheidung wie einen Krieg durchfechten will, und somit zeigt, wo wir im Privaten genau das ausagieren, was wir politisch anprangern. Yousefs Plädoyer: Gründet Familien mit dem sogenannten "Feind" – bis die Nachkommen nichts mehr trennen kann.
Das Leben nach dem 7. Oktober
Deprimierend wird der Abend, wenn es um das Leben nach dem 7. Oktober geht. Yousefs beste Freunde, auf allen Seiten schwer traumatisiert, brechen mit ihm, als er sich nicht mit ihrem Kampf gemein macht, nichts auf Social Media postet, nicht zu Demonstrationen geht. Yousefs Jugend mit Freunden aller Abstammungen und Hintergründe, seine frühen Theaterprojekte mit Yael Ronen, mit Israelis und Palästinensern zum Nahost-Konflikt – all das ist heute nicht mehr vorstellbar. Und in Berlin spricht Yousefs Familie heute lieber kein hebräisch mehr auf der Straße.
Trotzdem endet das Stück mit einer Utopie. Einem Roadtrip mit offenen Grenzen von Istanbul über Beirut, Jerusalem, Gaza bis nach Mekka. Yousef Sweids Lebensgeschichte beglaubigt, dass es ein "Between" geben kann. Ein schöner, kluger, lustiger und ungeheuer menschenfreundlicher Abend, den es gerade jetzt braucht.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.04.2025, 7 Uhr