Rentenversicherung "2030 wird es heftig"
Immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler: Bundessozialgerichtspräsident Schlegel hat Vorschläge gemacht, wie das Rentensystem reformiert werden könnte. Er warnt: Wenn nichts geschieht, werde es schon bald problematisch.
Rainer Schlegel steht seit über sechs Jahren an der Spitze des Bundessozialgerichts - als Gerichtspräsident hat er noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch nicht bei politischen Themen. Zur Jahrespressekonferenz des Bundessozialgerichts in Kassel hat er nun Vorschläge gemacht, wie das Rentensystem reformiert werden könnte. Dies hält er für bitter nötig - sonst seien die finanziellen Herausforderungen bei der Rente nicht zu bewältigen.
Hauptproblem sei, dass es künftig immer weniger Beitragszahler und immer mehr Rentnerinnen und Rentner geben werde. Statistisch gesehen hätten 1962 einem Rentner noch sechs Beitragszahler gegenübergestanden. Im Jahre 2030 würden es nur noch anderthalb Beitragszahler sein. "2030 wird es heftig", warnt Schlegel, weil dann mit den sogenannten Babyboomern der geburtenstärkste Jahrgang in Rente gehen werde.
Hinzu käme die gestiegene Lebenserwartung der Menschen in Deutschland. Seit den 60er-Jahren sei diese um rund zehn Jahre gestiegen, Rentner beziehen also deutlich länger Rente, so Schlegel: "Die entscheidende Frage lautet: Wie gehen wir damit um?"
Renteneintrittsalter ab 2030 weiter erhöhen
Bei einer Reform sollte sich der Gesetzgeber darauf konzentrieren, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen. Zwar hatte der Bundestag bereits 2007 beschlossen, das Eintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre anzuheben. Dies reiche aber nicht aus, so Schlegel. Spätestens 2030 müsse das Eintrittsalter erneut angehoben werden. Die Einführung einer Rente mit 70, wie von einigen Ökonomen zuletzt gefordert, lehnt Schlegel aber ab: "Das ist politisch nicht durchsetzbar."
Sinnvoller sei es, eine Art Automatismus einzuführen: Steige die Lebenserwartung, sollte dies automatisch zu einer anteiligen Erhöhung des Eintrittsalters führen, zum Beispiel bei einer drei Monate längeren Lebenserwartung um einen Monat. Sonst bliebe nur, die Beiträge zur Rentenversicherung anzuheben - oder die Renten zu kürzen.
Viele Renten schon jetzt sehr niedrig
Von beidem hält Schlegel nichts. So sei schon die derzeitige Rentenhöhe "nicht zu bejubeln". Wer 45 Jahre lang aus einem Durchschnittsentgelt - derzeit 43.142 Euro im Jahr - in die Rentenversicherung eingezahlt habe, bekomme heutzutage im Schnitt gerade mal eine monatliche Rente in Höhe von 1620 Euro brutto ausbezahlt. Im Osten liege der Durchschnittswert bei 1598 Euro brutto.
Doch die tatsächlichen Renten liegen in der Regel noch weit darunter: So erhielten im Jahr 2021 nur rund 18 Prozent der Männer eine Rente von 1200 bis 1500 Euro und nur noch zehn Prozent eine Rente von 1500 bis 1800 Euro. Das Rentenniveau der Frauen im Westen liege nochmals weit darunter.
Alle sollten einzahlen - auch Beamte und Selbstständige
Auf wenig Gegenliebe dürfte ein weiterer Reformvorschlag des Gerichtspräsidenten stoßen, zumindest bei bestimmten Erwerbstätigen, die bisher von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit oder versicherungsfrei sind. Um das System zu stabilisieren, sollten auch Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung mit einbezogen werden.
Das gleiche fordert er für Beamte sowie für bestimmte Berufsgruppen, bei denen die Altersvorsorge über berufsständische Versorgungswerke organisiert wird, wie etwa Rechtsanwälte. Es gehe insgesamt um den Schutz des Einzelnen und den Schutz der Allgemeinheit vor mangelnder Eigenvorsorge.
Rente nur noch als "Basisversorgung"?
Darüber hinaus regte Schlegel an, neu zu definieren, was die Altersvorsorge leisten soll. Bisher sei es das generelle Ziel der Rente gewesen, den Lebensstandard annähernd zu sichern, den man sich während des Berufslebens erarbeitet hat. Dies sei aufgrund der massiven Veränderungen und Probleme nicht mehr zeitgemäß und werde ohne ausreichende private Vorsorge und ohne Betriebsrente kaum erreicht.
Das neue Sicherungsziel der gesetzlichen Rentenversicherung müsse sein, dass jeder "nach einem erfüllten Berufsleben" von seiner Rente einigermaßen gut leben könne. Konkret sprach Schlegel von einem Rentenniveau, das 15 bis 20 Prozent über dem Existenzminimum liege. Die gesetzliche Rente würde dann quasi als Basisversorgung dienen. "Der Rest sollte Sache jedes Einzelnen sein."
Mit diesem neuen Sicherungsziel wären die Beiträge für die Rentenversicherung niedriger - daraus ergäben sich Spielräume für die Menschen, um die Eigenvorsorge bezahlen zu können.
Dabei wies Schlegel darauf hin, dass der Staat nach Artikel 33 Grundgesetz gegenüber seinen Beamten weiterhin eine besondere Fürsorgepflicht habe. Deshalb müsse der Staat für Beamte eine spezielle Zusatzversorgung bei der Altersvorsorge gewährleisten. Für die freien Berufe käme diese Aufgabe den bisherigen berufsständischen Versorgungswerken zu.