Schwarzarbeit in der Pflege Viele wissen Bescheid - niemand handelt
Laut einer Studie arbeiten in Deutschland 150.000 Pflegekräfte irregulär - Tendenz steigend. Die Reaktion der Behörden fällt verhalten aus. Man weiß: Die Schwarzarbeit ist eine Säule des Pflegesystems.
Von Axel John, SWR
Mehr Licht in den Schwarzmarkt im Pflegebereich bringen - das wollten Prof. Cornelia Schweppe und Dr. Vincent Horn von der Universität Mainz mit ihrem Forschungsprojekt. Nach drei Jahren kommen sie zu einem dramatischen Ergebnis. Demnach arbeiten mindestens 150.000 Pflegekräfte mit Migrationshintergrund in Deutschland irregulär.
Die Frauen kämen vor allem aus Osteuropa, so die beiden Forscher. Diese würden mit hilfesuchenden Familien eine Pflege für Angehörige in deren Zuhause vereinbaren - ohne Steuern, Sozialabgaben oder Versicherung. Für eine reguläre Anstellung hätten die Familien nicht genügend Geld.
"Schwarzarbeit tragende Säule im Pflegesystem"
"Diese Schwarzarbeit ist faktisch eine tragende Säule im Pflegesystem", so Schweppe. "Politik und Behörden wissen Bescheid und verschließen die Augen. Ansonsten müsste deutlich mehr gezahlt und Arbeitsrecht eingehalten werden. Behörden müssten das dann auch kontrollieren. Dieser massive Kostenanstieg würde das jetzige System komplett zerlegen."
Die Studie zeige auch, dass die Familien aus finanzieller und moralischer Not handelten. Danach wollten sie ihre pflegebedürftigen Angehörigen nicht in ein Heim geben, sondern zuhause im gewohnten Umfeld betreuen. Damit seien sie aber überfordert. Reguläre Unterstützung sei aber für viele zu teuer. Dann greife man eben auf illegale Pflegekräfte zurück.
Nachfrage nach ausländischen Pflegekräften ist hoch
"Das funktioniert nach dem Prinzip des freien Marktes", erklärt Dr. Horn. "Je mehr man zahlen kann, desto mehr gibt es. Die Nachfrage nach ausländischen Pflegekräften ist hoch. Das setzt die Familien zusätzlich unter Druck - etwa auch ein besonders schönes Umfeld für die Pflegerin zu schaffen, damit sie auch wirklich bleibt." Cornelia Schweppe ergänzt: "Auf dem Land ist es noch schwieriger, eine Kraft zu finden. Gibt es keine gute Verkehrsanbindung oder Internet, müssen Familien lange suchen, um überhaupt jemanden zu bekommen."
Renata Föry kann die Forschungsergebnisse aus ihrem Arbeitsalltag im Grundsatz bestätigen. Sie arbeitet in der Geschäftsleitung des Pflegedienstes "Seniocare24" und vermittelt reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Aber auch sie bekommt mit, dass immer mehr unter der Hand läuft.
"Der Pflege-Schwarzmarkt ist zuletzt stark gewachsen", so Föry. "Ich vermute, die Zahl der irregulär Beschäftigten ist noch viel höher. Bei uns rufen fast täglich verzweifelte Familien an. Da ist zum Beispiel die illegale Pflegekraft plötzlich weg, weil sie woanders mehr Geld verdient. Viele Angehörige weinen am Telefon, weil sie sich für ihre Lieben mehr nicht leisten können.“
Mindestens 150.000 Pflegekräfte mit Migrationshintergrund arbeiten in Deutschland irregulär.
Gesamtkosten für viele kaum zu stemmen
Eine von Frau Föry vermittelte ausländische Pflegerin kostet nach ihren Angaben zwischen 1470 und 2370 Euro im Monat. Sozialabgaben und Versicherungsschutz seien darin enthalten. Dafür gebe es täglich acht Stunden Pflege, die genau geregelt sei. Die Familie müsse zudem eine freie Unterkunft und die Verpflegung stellen. Diese Gesamtkosten seien für viele aber kaum zu stemmen.
"Politik und Behörden werden dieses Laissez-faire in der Pflege noch weiterlaufen lassen", wagt Vincent Horn einen Blick in die nahe Zukunft. "Noch schreckt man vor teuren und damit unpopulären Reformen zurück. Aber mit Blick auf die demographische Entwicklung wird das auf Dauer über die Pflegeversicherung unfinanzierbar. Dann wird das Geld aus Steuermitteln kommen. Darauf läuft es hinaus."
Antwort der Bundesregierung wenig alltagstauglich
Und wie reagieren die verantwortlichen Bundesministerien auf den offenbar boomenden Pflege-Schwarzmarkt in Deutschland? Was sagt das politische Berlin zu dem Vorwurf, die Zustände wissentlich zu ignorieren? Auf eine Anfrage verweist das Finanzministerium auf die Zollverwaltung, die bei Hinweisen auf Schwarzarbeit Kontrollen durchführe.
Aber: die Unverletzlichkeit von Privathaushalten ist gesetzlich besonders geschützt. Daher könne der Zoll erst "nach Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses (…) mit konkreten Verdachtsmomenten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens" tätig werden. Angesichts der Personalstärke und der Aufgabenfülle beim Zoll scheint das ein wenig alltagstauglicher Weg zu sein.
Viele Familien können sich die reguläre Pflege ihrer Lieben nicht leisten.
Das Gesundheitsministerium weist in seiner Antwort lediglich darauf hin, dass Pflegeleistungen in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet wurden.
Vielsagende Antwort des Ministeriums für Arbeit und Soziales
Vielsagend zum Umgang mit irregulärer Beschäftigung in der Pflege ist das Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. "Die Bundesregierung verfügt nicht über eigene Erkenntnisse, wie viele ausländische Betreuungskräfte in hiesigen Haushalten tätig sind (…) Auch kommentiert die Bundesregierung grundsätzlich nicht Mutmaßungen und Schätzungen Dritter zum Ausmaß von Schwarzarbeit."