Interview zur Bürgermeisterwahl "Die Bilanz von Schwarz-Grün ist eindeutig negativ"
An der Spitze des Hamburger Senats steht jetzt ein ausgewiesener Konservativer. Christoph Ahlhaus löst den bisherigen Bürgermeister Ole von Beust ab, der dem liberalen Flügel der CDU angehörte. Beim Koalitionspartner GAL tat man sich zunächst schwer mit dieser Nachfolgeregelung, unterstützte Ahlhaus dann aber doch einmütig. Können beide Seiten zufrieden mit ihrer bisherigen Bilanz sein? Was hat Schwarz-Grün in Hamburg erreicht - und taugt das Experiment als Modell für den Bund? Darüber sprach tagesschau.de mit der Hamburger Politologin Christine Landfried.
tagesschau.de: Schwarz und grün – hat sich diese Kombination in Hamburg als funktionsfähig erwiesen?
Christine Landfried: Sie hat sich als funktionsfähig erwiesen, weil sie innerhalb der Koalition funktioniert hat. Aber sie war nicht erfolgreich mit ihren Zielen.
tagesschau.de: Die Koalition ist also hinter ihren eigenen Erwartungen zurückgeblieben?
Landfried: Die Bilanz ist eindeutig negativ. Die Ziele, die sich beide Seiten gemeinsam gesetzt haben, wurden nicht erreicht. Das zentrale Vorhaben einer Schulreform ist in einem Volksentscheid gescheitert, und bei vielen anderen Themen sieht es auch nicht besser aus. Das Kohlekraftwerk Moorburg wurde nicht verhindert, und auch in der Kulturpolitik ist wenig bewegt worden.
tagesschau.de: Warum sind diese Projekte gescheitert - mangelte es an Gemeinsamkeiten?
Landfried: Die Schnittmenge war gering. Es war schon 2008 überraschend, dass CDU und Grüne zusammen kamen. Aber damals konnten die führenden Personen gut miteinander. Ole von Beust ist ein Vertreter des liberalen Flügels der CDU, und deswegen hat das geklappt. Die Grünen wiederum waren enttäuscht von ihren Erfahrungen mit Rot-Grün in Hamburg, und deshalb haben beide Seiten das Risiko gewagt. Jetzt muss man feststellen, dass die gemeinsamen Inhalte zu gering waren.
"Was sollen die Grünen dem Wähler sagen?"
tagesschau.de: Warum wollen dann die Grünen die Koalition fortsetzen?
Landfried: Das ist in der Tat überraschend. Die Schnittmenge in der Koalition wird unter dem neuen Bürgermeister noch geringer. Ahlhaus ist kein Liberaler, sondern gehört zum konservativen Lager der CDU. Es mag sein, dass die Grünen an der Macht bleiben wollen, aber möglicherweise haben sie vor allem Angst vor Neuwahlen. Die Partei ist sich bewusst, dass ihre Bilanz nicht toll ist - was soll sie dem Wähler sagen? Sie muss befürchten, dass sie der nächsten Regierung nicht angehören wird. Das dürfte der Grund für diese Entscheidung sein.
tagesschau.de: Welchen Preis hat die CDU für diese Koalition bezahlt?
Landfried: Die Koalition hat von Anfang an darunter gelitten, dass hier Kompromisse geschlossen wurden, die für einen Teil der Stammwähler problematisch waren. So ist zum Beispiel die Schulreform bei einem Teil der CDU auf Widerstand gestoßen. Von Beust hatte noch im Wahlkampf versprochen, dass die Gymnasien nicht angetastet werden. Nach der Wahl sah das anders aus. Außerdem schadet der CDU nun, dass die Rücktrittsgründe von Beusts nicht plausibel sind. Natürlich kann jeder Politiker entscheiden, dass er ein Amt ab einem bestimmten Zeitraum nicht mehr ausüben will. Aber diese Frage beantwortet man, wenn man sich zur Wahl stellt. Mitten in der Legislaturperiode zu gehen, ist wenig überzeugend. Viele Hamburger haben die CDU eben wegen von Beust gewählt und sind jetzt enttäuscht.
"Parteien versinken in Beliebigkeit"
tagesschau.de: Haben beide Parteien nach zwei Jahren Koalition an Erkennbarkeit verloren?
Landfried: Beide Parteien versinken in Beliebigkeit. Die Hamburger Grünen-Politikerin Krista Sager hat unlängst in einer Diskussion von Beweglichkeit gesprochen. Ich finde aber, dass es eine Beweglichkeit gibt, die Beliebigkeit ist. Die CDU ist in Hamburg 2001 durch eine Koalition mit der rechten und unseriösen Partei von Roland Schill an die Regierung gekommen. Von dort zu den Grünen zu gelangen, ist eine Flexibilität, die beliebig ist. Nur weil von Beust so beliebt war, hat man diesen Wandel nicht thematisiert. Bei den Wählern führt das aber zur Verdrossenheit, weil sie nicht mehr wissen, wofür die Partei noch steht.
tagesschau.de: Lassen sich aus den Hamburger Erfahrungen Rückschlüsse auf den Bund ziehen?
Landfried: In Hamburg gab es spezifische Gründe für diese Koalition. Auf Bundesebene sehe ich noch geringere Schnittmengen für ein Bündnis zwischen Schwarz und Grün. Allein in der Debatte über die Laufzeit von Atomkraftwerken sind Union und Grüne fast unüberbrückbar weit voneinander entfernt. Wie hier eine Koalition möglich sein soll, kann man sich nicht vorstellen.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de