Suche nach Parteispitze SPD-Deutschlandtour mit Risiko
Viele Kandidaten. 23 Tage. Knapp 60 Stunden Debatte. Die SPD geht auf Deutschland-Tour und sucht eine neue Spitze. Es ist ein extrem aufwendiges Verfahren - und nicht ohne Risiko. Fünf Fakten.
Es begann zäh - und es dauert
Drei lange Monate konnten sich SPD-Mitglieder entscheiden, ob sie wollen oder nicht. So lange lief die Bewerbungsfrist. Erst wollte kaum jemand, es gab reihenweise Absagen aus der ersten Reihe. In den vergangenen Wochen änderte sich das, und spätestens mit der Kandidatur von Olaf Scholz sind auch "Hochkaräter" im Rennen. Insgesamt schafften acht gemischte Doppel und ein Einzel-Kandidat die parteiinternen Zulassungshürden.
Heute Abend hat in Saarbrücken das Casting begonnen, nach 23 Vorstellungsrunden ist am 12. Oktober in München Schluss. Dann stimmen die rund 430.000 Mitglieder ab, am 26. Oktober wird das Ergebnis mitgeteilt.
Und mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es dann immer noch keine neue Parteispitze. Denn wenn kein Team oder Einzelbewerber eine absolute Mehrheit erreicht, gibt es einen zweiten Mitgliederentscheid zwischen den beiden bestplatzierten Teams - es sei denn, das zweitplatzierte Team verzichtet. Dann gilt das Gewinnerteam des ersten Entscheids als Wahlvorschlag für den Bundesparteitag Anfang Dezember in Berlin. Es wird erwartet, dass die Delegierten dem Basisvotum folgen - aber verpflichtet sind sie dazu nicht. Überraschungen also nicht ausgeschlossen.
"Wer SPD-Chef werden will, muss das durchhalten", sagt die kommissarische Parteichefin Manuela Schwesig zum langwierigen Verfahren. Sie selbst gehörte zu den Frauen aus der ersten Reihe, die schnell abgewunken hatten.
Die größte Herausforderung für die SPD wird sein, den Spannungsbogen über diese lange Zeit aufrechtzuerhalten. Das mediale Interesse dürfte mit jeder Regionalkonferenz abnehmen - das war bei der CDU im vergangenen Jahr ähnlich. Dennoch hatte es die CDU einfacher, die Spannung hochzuhalten. Der Zeitplan war straffer, die Kandidatenzahl mit drei Personen übersichtlich und die Namen der Bewerber bekannt - und auch überraschend, wie etwa Politikrückkehrer Friedrich Merz. Zudem ist es einfach spannend, wenn nach knapp 18 Jahren unter Angela Merkel die CDU eine neue Führung sucht. Die SPD hatte während Merkels Amtszeit neun Parteichefs.
Und so sind auch nicht alle in der SPD glücklich mit der langwierigen Suche: "Dass die SPD sich relativ lange mit sich selbst und mit Personalfragen beschäftigt, wird kritisch gesehen", sagt Kandidat Karl Lauterbach. Die stark durchgetakteten Vorstellungsrunden könnten eher Show- als Debattencharakter bekommen.
Die Casting-Regeln
Aufgrund der hohen Kandidatenzahl sind die Regeln streng. Schnellsprecher sind eindeutig im Vorteil. Am Anfang steht eine Vorstellungsrunde - jedes Team und der Einzelbewerber bekommen fünf Minuten Zeit, um seine Schwerpunkte zu präsentieren. Dann fragt ein Moderator alle Bewerber zu aktuellen Themen. Eine Antwort darf maximal 60 Sekunden dauern. Das gilt auch für die anschließende Runde mit Fragen aus dem Publikum an einzelne Kandidaten. Am Ende sind noch Schlussstatements vorgesehen.
Kandidat Lauterbach rechnete aus, dass ein Team auf etwa neun Minuten Redezeit kommt. Jede Regionalkonferenz soll maximal 2,5 Stunden dauern. Das ergibt insgesamt 57,5 Stunden Debatte bis zum Ende der Konferenzen am 12. Oktober im München. Auch Kandidatin Saskia Esken nannte die vorgegebenen "kurzen Slots" eine "Herausforderung".
Die Chancenreichen
Schwer zu sagen, die SPD-Basis ist wenig berechenbar, zumal es ja irgendwie auch immer um die ungeliebte Große Koalition gehen wird. Auch wenn die Parteiführung immer wieder betont, dass über das Bündnis mit der Union in einem getrennten Verfahren entschieden wird.
Das Bewerberpaar aus Scholz und der Brandenburgerin Klara Geywitz gilt als pragmatisch und verlässlich. Die 43-Jährige hat allerdings bei der Landtagswahl einen starken Dämpfer bekommen - sie verlor ihr Landtagsmandat. Auch die Bewerbung des Finanzministers und Vizekanzlers war nicht stolperfrei: Erst hatte er nicht antreten wollen - aus Zeitgründen. Dann legte eine Kehrtwende hin, nachdem andere Bundesminister und Ministerpräsidenten nicht wollten. Scholz ist in seiner Partei mäßig beliebt, bei parteiinternen Wahlen erhält er regelmäßig schlechte Ergebnisse. Auch verkörpert Scholz kaum einen Neuanfang.
Auch die Landesminister Petra Köpping aus Sachsen und Boris Pistorius aus Niedersachsen gelten als chancenreich und pragmatisch. Sie haben den starken niedersächsischen Landesverband hinter sich. Sie gilt als Verfechterin ostdeutscher Interessen - er als kantiger Mann der inneren Sicherheit. Auch Norbert Walter-Borjans (66) und Saskia Esken (58) haben bereits einen wichtigen Unterstützer - nämlich Juso-Chef Kevin Kühnert. Mit dem Ankauf von Steuer-CDs hatte der damalige NRW-Finanzminister bundesweit Aufsehen erregt. Das Duo hat die einstimmige Nominierung des 40-köpfigen Landesvorstands der NRW-SPD in der Tasche. Allerdings gibt der mitgliederstärkste Landesverband kein geschlossenes Bild ab: Es gibt zwei weitere Kandidaten aus NRW.
Auch dabei
Die anderen Duos haben ebenfalls bekannte Köpfe oder taten sich bereits als fleißige Kampagnenmacher hervor. NRW-Familienministerin Christina Kampmann und der Europa-Staatsminister Michael Roth (49) erwarben sich Sympathien, weil sie als erstes aus der Deckung kamen. Sie plädieren für eine deutliche Verschlankung der SPD-Führungsgremien. Der linke Parteivize Ralf Stegner tritt mit Gesine Schwan an - sie stellten sich als "Powerduett" vor. Lauterbach und Scheer nehmen für sich ein progressives Profil mit den Schwerpunkten Ökologie und Soziales in Anspruch.
Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis und ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel stechen mit einem traditionellen Linkskurs und der Forderung nach Überwindung von Hartz IV hervor. Und die Oberbürgermeisterin Simone Lange aus Flensburg und der Oberbürgermeister Alexander Ahrens aus Bautzen präsentierten sich als Anti-Establishment-Kandidaten. Lange hatte in dieser Rolle schon eine gewisse Routine: Sie war im Frühjahr 2018 gegen Andrea Nahles bei der Wahl zur Parteichefin angetreten - und hatte achtbare 27,5 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten. Doch nun zog sie sich mit Ahrens zugunsten von Esken und Borjans zurück. Und dann gibt es noch einen Einzelbewerber: der bayerische Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner.
Es geht auch um die GroKo
Die Zukunft der Großen Koalition könnte trotz aller Ermahnungen der SPD-Führung zu einer zentralen Frage der Regionalkonferenzen werden. Mehrere Kandidaten-Paare ziehen mit klaren Absagen gegen die Fortsetzung des Bündnisses in den Kampf - wohlwissend, wie sehr diese Frage die Basis bewegt. "Die Große Koalition ist ja nicht der Normalfall der parlamentarischen Demokratie", sagte etwa der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans. "Junge Menschen kennen die Sozialdemokratie nur als Juniorpartner der Union." Das Duo Walter-Borjans/Esken vermied es aber, direkt für Austritt aus dem Bündnis zu plädieren.
Gegen das Bündnis mit der Union brachten sich erneut die Bundestagsabgeordneten Lauterbach und Scheer in Stellung. Lauterbach sagte mit Blick auf die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen: "Die Große Koalition trägt mit dazu bei, dass die AfD so stark ist." Auch die meisten anderen Duos hatten sich bereits kritisch zur GroKo geäußert. Generalsekretär Lars Klingbeil erhofft sich aber vor allem einen "spannenden Wettbewerb der besten Köpfe und Ideen" - kein GroKo-Bashing.
Jeder wisse, dass die Neubesetzung der Parteispitze nicht über die Zukunft der GroKo entscheide, beharrte Kandidat Scholz zuletzt. Das stimmt jedoch nur formal. Was ist, wenn sich während der 23 Regionalkonferenzen die GroKo-Gegner als Favoriten unter den Mitgliedern herauskristallisieren? Kann der Parteivorstand davon unbeeindruckt eine Empfehlung abgeben? Und ist umgekehrt eine Präferenz für den Ausstieg denkbar, wenn der GroKo-Befürworter Scholz mit Geywitz vorn liegt?
Offiziell will die SPD zunächst eine Analyse der Regierung zur GroKo-Arbeit Mitte Oktober abwarten. Danach will der Vorstand eine politische Bewertung vornehmen und eine Empfehlung zu Verbleib oder Ausstieg aus dem Bündnis aussprechen. Eine Entscheidung soll ein Parteitag Anfang Dezember treffen - der auf Grundlage der geplanten Mitgliederbefragung zugleich den oder die neuen Parteivorsitzenden absegnet.