175 Jahre Nationalversammlung "Als Untertanen zu Bürgern wurden"
Bundespräsident Steinmeier hat zum 175. Jahrestag der Deutschen Nationalversammlung an die Verpflichtung von Demokraten appelliert, sich für die Freiheit einzusetzen. Das gelte umso mehr angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
"Es war der Moment, als Untertanen zu Bürgern wurden" - so würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt in Frankfurt am Main die Deutsche Nationalversammlung. Die war heute vor 175 Jahren - am 18. Mai 1848 - erstmals in der Frankfurter Paulskirche zusammengetreten, um eine freiheitliche Verfassung für ganz Deutschland zu erarbeiten.
Die erste Sitzung eines gewählten gesamtdeutschen Parlaments sei ein "unersetzlicher Schritt auf dem langen Weg zu Demokratie und Freiheit in einem einigen Deutschland" gewesen, so der Bundespräsident weiter. Die Arbeit der Verfassungsväter wirke bis heute fort: Die Deutsche Nationalversammlung sei bis heute ein Zeichen "gegen die Verächter unserer parlamentarischen Demokratie", mahnte Steinmeier. "Achten wir unsere frei gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier - sie tragen unsere Demokratie!"
Widerstand gegen Nationalismus und autoritäres Denken
Das Jubiläum erinnere aber auch an die Widrigkeiten und Schwierigkeiten, eine demokratische Ordnung zu gründen und diese auch zu erhalten. Denn die Verfassung, die in der Paulskirche erarbeitet wurde, trat wegen des Widerstands des Adels nie in Kraft - erst 1871 wurde Deutschland zu einem eiheitlichen Nationalstaat. "Das Recht zu wählen, wurde mit dem Einsatz des Lebens erkämpft", so Steinmeier. Aber damals sei ein Geist der Freiheit geweckt worden, "der sich - jedenfalls auf lange Sicht - nicht mehr unterdrücken ließ".
In seiner Rede zog der Bundespräsident auch Parallelen zur Gegenwart. Denn die Demokratiebestrebungen hätten auch Gegenkräfte hervorgebracht, "die uns bis heute vor große Herausforderungen stellen" - nämlich "ein Populismus, der die Institutionen verachtet und den vermeintlich wahren Volkswillen allein für sich reklamiert", so Steinmeier. Es sei nun an den Bürgern, das "demokratische Erbe" der Nationalversammlung am Leben zu erhalten. Dazu gehöre auch der Widerstand gegen eine Instrumentalisierung der Revolution von 1848: "Auf Schwarz-Rot-Gold kann sich deshalb heute nicht berufen, wer neuen Nationalismus schürt und autoritäres Denken propagiert. Wer unsere Demokratie verachtet, hat kein recht auf Schwarz-Rot-Gold."
Russland bedroht "alle freien Völker"
Die demokratischen Werte seien heute wieder bedroht, mahnte Steinmeier mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Angesichts des "verbrecherischen Angriffskrieges Russlands" könne nichts notwendiger sein als die "Solidarität der Demokraten in Europa". "Wenn irgendwo Freiheit und Selbstbestimmung bedroht oder angegriffen werden, werden alle freien Menschen und Völker bedroht", betonte der Bundespräsident. "Darum helfen wir den angegriffenen Menschen in der Ukraine und wir unterstützen die wenigen Mutigen, die sich in Russland gegen die Unterdrücker auflehnen." Die "russische Gewalt" ziele auf Freiheit, Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volkes.
Paulskirche "Schatz nationaler Bedeutung"
Um die Demokratie lebendig zu halten, brauche es auch Erinnerungsorte wie die Paulskirche, so Steinmeier. Er wünsche sich daher, dass die Kirche "noch stärker als bisher zu einem lebendigen Erinnerungs- und Lernort für die Demokratie" werde. Eine Expertenkommission habe dafür bereits Empfehlungen vorgelegt. Sie seien "mehr als eine gute Grundlage für weitere Entscheidungen". Die Paulskirche sei "ein Schatz nationaler Bedeutung, den wir gemeinsam zum Glänzen bringen sollten".
Die Frankfurter Paulskirche gilt heute als Wiege der deutschen Demokratie. Die dort erarbeitete Reichsverfassung mit ihren "Grundrechten des Deutschen Volkes" prägte die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949.