Eilentscheidung in Karlsruhe Dürfen auch Betreute das EU-Parlament wählen?
Psychisch kranke und behinderte Menschen dürfen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden. Ob diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schon für die Europawahl gilt, entscheidet das Gericht heute.
Mit ihrem Eilantrag wollen die Bundestagsfraktionen der Grünen, FDP und Linkspartei erreichen, dass Menschen mit Behinderungen, die dauerhaft betreut werden, bei der anstehenden Europawahl mitwählen dürfen. Das gleiche Recht sollen Straftäter haben, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.
Dabei stützen sich die Oppositionsfraktionen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Die Richter entschieden, dass weder Behinderte mit Vollbetreuung noch psychisch kranke Straftäter pauschal von der Bundestagswahl ausgeschlossen werden dürfen.
Zu spät für die Europawahl?
Diese Entscheidung hat der Bundestag mittlerweile umgesetzt: Beide Personengruppen sollen künftig wählen gehen dürfen - sowohl bei Bundestags- als auch bei Europawahlen. Das Problem: Die Reform tritt erst im Juli in Kraft. Das ist zu spät für die anstehende Europawahl, die bereits Ende Mai stattfindet.
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae hält das für inakzeptabel. Er macht die Große Koalition dafür verantwortlich: "Was hier geschieht, grenzt an Missachtung des Gerichts und grenzt an Arbeitsverweigerung der Koalition." Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, hält es für diskriminierend, Menschen mit Behinderung oder psychisch Kranke von der anstehenden Europawahl auszuschließen. "Das heißt: Die Diskriminierung von über 85.000 Menschen setzt sich einfach fort, weil die Koalition untätig bleiben will", argumentiert sie.
Vertreter von Union und SPD hatten dagegen argumentiert, dass sich die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht innerhalb kürzester Zeit umsetzen lasse. Denn nach dieser Entscheidung dürften die Betroffenen bei Wahlen auch kandidieren. Die Parteien, die zur Europawahl antreten, hätten ihre Kandidatenlisten aber bereits aufgestellt.
Nur in besonderen Fällen Ausschluss berechtigt
In seinem Beschluss von Ende Januar hat das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt: Wenn psychisch Kranke oder Menschen mit Behinderungen, die betreut werden, von Wahlen ausgeschlossen werden, verstößt dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Ausschluss dürfe jedenfalls nicht an rein formelle Kriterien wie einer Betreuung geknüpft werden. Nur in besonderen Fällen sei ein Ausschluss gerechtfertigt: etwa wenn jemand aufgrund seiner Behinderung oder Krankheit nicht in der Lage ist, am politischen Diskurs teilzunehmen.
Die spannende Frage, die sich nun stellt: Muss das nicht auch für die anstehende Europawahl gelten? Müssen nicht alle von dieser Entscheidung betroffenen Personen schleunigst in die Wählerverzeichnisse aufgenommen werden, damit sie bei der anstehenden Europawahl mitwählen dürfen?
Am Nachmittag wird das Bundesverfassungsgericht darüber verhandeln und voraussichtlich noch am Abend seine Eilentscheidung bekannt geben.
Aktenzeichen: 2 BvQ 22/19