Gerichte und Streikrecht Ausstand verboten?
Streiks sind das gute Recht der Beschäftigten, so die Gewerkschaften. Streiks gehören verboten, denken sich oft die Arbeitgeber - und ziehen vor Gericht. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, auch im Fall Lufthansa gegen die Flugbegleitergewerkschaft UFO.
Dürfen sie, oder dürfen sie nicht? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab - nicht zuletzt für Zigtausende Flugpassagiere. Die Flugbegleiter der Lufthansa streiken, aber die Fluggesellschaft zieht dagegen vor die Gerichte. Mit ganz unterschiedlichem Erfolg: Am Dienstagnachmittag gab das Arbeitsgericht Düsseldorf dem Antrag der Lufthansa auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statt und untersagte den Streik, allerdings nur für Dienstag und nur für den Standort Düsseldorf. In der Nacht zum Mittwoch entschied das Arbeitsgericht Darmstadt gegen die Fluglinie und ließ den Streik bis Freitag zu, was allerdings nur für die Standorte Frankfurt und München gilt. Heute erlaubte das Arbeitsgericht Düsseldorf wiederum den Streik am Standort Düsseldorf
Wieso sind überhaupt unterschiedliche Gerichte zuständig?
Der Streik ist eine sogenannte "kollektive Arbeitskampfmaßnahme" und als solche auch gerichtlich überprüfbar: Ein rechtswidriger Streik stellt eine sogenannte "unerlaubte Handlung" dar. Zuständig für Verfahren in solchen Angelegenheiten ist das Gericht, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung (hier also: die Niederlegung der Arbeit) begangen wird, etwa Düsseldorf. Darum gilt die Entscheidung des dortigen Arbeitsgerichts auch nur für den Lufthansa-Standort Düsseldorf. Mit der gleichen Begründung könnte die Lufthansa also an allen Standorten klagen, an denen gestreikt wird, diese Entscheidungen würden dann auch jeweils nur für diese Orte gelten. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit, eine gerichtliche Zuständigkeit zu begründen: das sogenannte Standortprinzip. Danach ist das Arbeitsgericht Darmstadt zuständig, weil die Gewerkschaft UFO in dessen Bezirk ihren Sitz hat. Die Lufthansa hätte also in Darmstadt auch das Verfahren für alle Standorte ausfechten können, ist aber für den Standort Düsseldorf einen anderen Weg gegangen, möglicherweise weil sie sich so bessere Erfolgsaussichten versprach.
Worauf kommt es inhaltlich an?
Generell gilt: Das Streikrecht ist ein hohes Gut! Arbeitsgerichte untersagen darum Streiks in Deutschland nur sehr selten. Der Grund: Das Streikrecht ist in unserer Verfassung verankert, genauer gesagt in Artikel 9, Absatz 3 unseres Grundgesetzes. Der schützt die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, daraus folgt nach einhelliger Rechtsprechung, dass die Arbeitnehmer auch das Recht zum Arbeitskampf haben müssen. Aber: Streiks müssen sich immer an bestimmte Spielregeln halten, nur dann sind sie zulässig.
Zu den Voraussetzungen zählt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts etwa, dass Streiks immer verhältnismäßig sein müssen, der Streikgegner also nicht ökonomisch ruiniert werden darf. Auch dürfen Ziel eines Streiks immer nur solche Umstände sein, die tatsächlich auch in einem Tarifvertrag für die Tarifparteien regelbar sind. Ein Streik aus politischen Gründen wäre also nicht rechtmäßig. Und: Die jeweiligen Streikziele müssen hinreichend bestimmt sein, ein Streik ohne ein konkret bestimmtes Streikziel, etwa "um generell mal Druck auszuüben" ist nicht möglich. Dieser Punkt war im vorliegenden Fall Lufthansa gegen UFO der entscheidende. Die beiden Arbeitsgerichte Düsseldorf und Darmstadt entschieden diese Frage aber unterschiedlich.
Wie kann es zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen?
Gilt am Dienstag etwas anderes als am Mittwoch? Oder gilt vielleicht in Darmstadt etwas anderes als in Düsseldorf? Diesen Eindruck könnte man fast gewinnen, denn während die Lufthansa (für Dienstag) in Düsseldorf Recht bekam, gab das Darmstädter Arbeitsgericht der Flugbegleiter-Gewerkschaft recht. Die Entscheidungen der Arbeitsgerichte waren also unterschiedlich, obwohl über den gleichen Sachverhalt verhandelt wurde.
Dazu muss man wissen, dass das Streikrecht im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. Die geltenden Grundsätze haben sich im Wesentlichen in der Rechtsprechung entwickelt. Und unterschiedliche Richter können auch mal zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Natürlich soll auch die Rechtsprechung im besten Falle deutschlandweit einheitlich sein. Um das zu gewährleisten, gibt es einen Instanzenzug:
Man kann gegen erstinstanzliche Urteile Rechtsmittel einlegen und den Fall von der nächsthöheren zuständigen Instanz neu überprüfen lassen. Für arbeitsgerichtliche Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz ist das Landesarbeitsgericht (LAG) aber die höchste Instanz. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht gibt es in diesen Eilverfahren nicht. Es ist also durchaus vorstellbar, dass auch das LAG Nordrhein-Westfalen letztlich zu einem anderen Ergebnis kommt, als das LAG Hessen. Dann bliebe der jeweils unterlegenen Partei nur noch die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Diesen Weg will jetzt laut Medienberichten die Pilotengewerkschaft Cockpit gehen und in Karlsruhe prüfen lassen, ob das Streikverbot, das sie im September getroffen hat, rechtens war. Dem Bundesverfassungsgericht könnte dieses Verfahren die Möglichkeit geben, die Konturen des Streikrechts schärfer zu ziehen.
Wie geht es weiter?
Es ist davon auszugehen, dass es bei den beiden bisherigen Entscheidungen erster Instanz nicht bleiben wird. Das Arbeitsgericht Düsseldorf verhandelte schon heute wieder über einen neuen Antrag der Lufthansa (die gestrige Entscheidung bezog sich ja nur auf den Streik am Dienstag) und auch ein Sprecher des Arbeitsgerichts Darmstadt vermutet, dass die dortige Entscheidung dem hessischen Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main vorgelegt werden wird. Allerdings kam es auch schon anders. So untersagten die Gerichte in der jüngeren Vergangenheit auch schon Streiks. Das Landesarbeitsgericht Hessen übrigens zuletzt im September. Brisant: Auch damals ging es um die Lufthansa, gestreikt hatte damals die Pilotengewerkschaft Cockpit.