Ex-BND-Chef Geiger zu Terrorgefahr "Es mangelt nicht an Kompetenzen"
Brauchen deutsche Sicherheitsdienste mehr Macht? Wie überprüfen sie ankommende Flüchtlinge? Und ist es vor allem Glück, dass Deutschland bisher von einem schweren Anschlag verschont geblieben ist? Darüber sprach tagesschau.de mit Ex-BND-Chef Geiger.
tagesschau.de: Der verdächtige Syrer, der heute in Leipzig festgenommen wurde, kam als Flüchtling nach Deutschland. Hat die Gefahr eines Anschlags durch die große Zahl an Asylsuchenden zugenommen, die im vergangenen Jahr das Land erreichten?
Hansjörg Geiger: Insgesamt denke ich nicht, dass die Anschlagsgefahr in Deutschland zugenommen hat. Das Risiko war schon vorher latent hoch. Daran hat der Zuzug durch Flüchtlinge nicht viel geändert - auch wenn sich unter sie einige Sympathisanten des "Islamischen Staats" gemischt haben.
tagesschau.de: Können die Sicherheitsbehörden überhaupt sinnvolle Sicherheitsüberprüfungen der ankommenden Flüchtlinge durchführen?
Geiger: Sicherheitsüberprüfungen im eigentlichen Sinne des Wortes sind so gut wie unmöglich. Über Menschen, die aus dem Ausland kommen, liegen in der Regel nicht die gleichen Informationen vor, die etwa über deutsche Staatsbürger oder Menschen bekannt sind, die schon lange in Deutschland leben. Man kann allenfalls in Einzelfällen genauer hinschauen, etwa wenn es bereits Hinweise gibt oder wenn jemand aus bestimmten Regionen nach Deutschland kommt.
Hansjörg Geiger war Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes. Später wechselte er als Staatssekretär in das Bundesjustizministerium. 2005 wurde er in den Ruhestand versetzt.
tagesschau.de: Können die Sicherheitsbehörden überhaupt ein ausreichendes Bild darüber haben, wer nach Deutschland gekommen ist?
Geiger: Es gibt schon Anhaltspunkte. Gewisse Gegenden und Städte sind etwa als riskant bekannt. Auch haben die Behörden inzwischen durchaus Erfahrungen mit bestimmten Papieren, die verwendet werden und möglicherweise aus bekannten Fälscherwerkstätten stammen.
Aber wir sollten uns nichts vormachen: Die Sicherheitsbehörden können hier nicht mit einer so großen Genauigkeit Treffer landen wie in anderen Bereichen. Es wäre auch falsch, das von ihnen zu erwarten. So viel Ehrlichkeit muss sein.
tagesschau.de: Brauchen die Behörden zusätzliche Kompetenzen?
Geiger: Nein, daran mangelt es nicht. Das Problem ist doch, dass die Menschen derzeit aus Ländern kommen, aus denen kaum Informationen vorliegen. Natürlich liegen den Nachrichtendiensten viele Erkenntnisse etwa über die Terrororganisationen in Syrien vor und dieses Wissen fließt ja auch in die Lagebewertung ein, doch wenn sie konkrete Informationen über einzelne Personen benötigen, dann sind diese heute kaum zu bekommen. Der Grund dafür sind aber nicht die Kompetenzen der Dienste, sondern der Krieg in Syrien.
Hinzu kommt, dass in Deutschland das Trennungsgebot gilt. Polizei und Geheimdienste haben unterschiedliche Befugnisse und dürfen nur eingeschränkt kooperieren. Das gilt es zu beachten. Eine Abschaffung würde nicht zu einer Verbesserung der Arbeit der Dienste führen, auch wenn die Forderung immer wieder aufkommt.
tagesschau.de: Wie können die Sicherheitsbehörden trotz aller Schwierigkeiten die Bevölkerung vor potenziellen Terroristen schützen?
Geiger: Sie müssen vor allem die Situation in Deutschland im Auge behalten. So wird etwa im Verdachtsfall die Kommunikation von Verdächtigen überwacht um zu sehen, ob sie Kontakt zu Terrororganisationen halten. Die Behörden müssen sich auf diesen Personenkreis konzentrieren. Und wie man sieht, ist dieser Ansatz auch erfolgreich.
tagesschau.de: In vielen öffentlich gewordenen Fällen kamen die entscheidenden Hinweise aus dem Ausland. Wie wichtig ist die Kooperation mit anderen Geheimdiensten für die deutschen Sicherheitsbehörden?
Geiger: Die Zusammenarbeit ist von entscheidender Wichtigkeit. Man muss es sich als ein Geben und Nehmen vorstellen. Unsere Partner informieren uns, wenn sie über ihre Quellen auf etwas aufmerksam werden, und wir informieren sie natürlich auch, wenn uns etwas auffällt. Wenn es um konkrete Anschlagspläne geht, dann erfolgt der Austausch sehr schnell und sehr direkt. In einer globalisierten Welt ist diese Form der Kooperation unabdingbar.
tagesschau.de: Auch auf den jetzt gefassten Terrorverdächtigten wurden die deutschen Dienste von ausländischen Partnern aufmerksam gemacht. Warum merken die deutschen Sicherheitsdienste nicht selbst, wenn im Land ein Anschlag vorbereitet wird?
Geiger: Ich denke, dieser Eindruck täuscht. Die deutschen Behörden schauen schon sehr genau hin. Trotzdem ist die internationale Zusammenarbeit sehr wichtig. Jeder Dienst hat spezielle Fähigkeiten, spezielle Zugänge und spezielle Möglichkeiten. Durch die Kooperation kann man diese unterschiedlichen Kompetenzen zusammenbringen und so möglichst effektiv gegen geplante Anschläge vorgehen.
tagesschau.de: Trotzdem kam es auch in Deutschland immer wieder zu kleineren Anschlägen, zuletzt im Sommer in Würzburg und Ansbach …
Geiger: Gegen die sogenannten Einsamen Wölfe, also Menschen, die ihre Anschläge im Alleingang planen und ausführen, kann man tatsächlich nur sehr schwer vorgehen. Wenn man da keine Hinweise aus dem direkten Umfeld der Menschen bekommt, sind solche Anschläge kaum zu verhindern.
tagesschau.de: War es vor allem Glück, dass Deutschland bislang von einem schweren Anschlag verschont geblieben ist?
Geiger: Ich glaube, da kam viel zusammen. Man sollte die Fähigkeit unserer Sicherheitsbehörden nicht gering schätzen. Auch die internationale Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle. Aber man kann nicht alles erkennen können. Deshalb braucht man auch das notwendige Quäntchen Glück.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de