Prozess zum "Tiergartenmord" "Er war kein Bandit"
Russlands Präsident Putin nannte ihnen einen "Banditen". Bekannte und Angehörige sprechen anders über das Opfer des "Tiergartenmordes". Sein Leben wirft allerdings auch Fragen auf.
"Wenn Putin ihn einen Banditen genannt hat, so war er nach meiner Erfahrung genau das Gegenteil eines Banditen", sagt Georgiens ehemaliger Präsident Michail Saakaschwili über den Mann, der vor mehr als einem Jahr im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen wurde. Aus welchem Grund der tschetschenische Exil-Georgier Zelimkhan Khangoshvili ermordet wurde, beeinflusst die deutsch-russischen Beziehungen.
Sollte das Berliner Kammergericht im nun beginnenden Prozess feststellen, dass die Tat als Staatsterrorismus Russlands einzuordnen ist, wird die Bundesregierung nicht umhin kommen, weitere Konsequenzen zu ziehen. Bislang hat sie zwei russische Diplomaten ausgewiesen, nachdem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen unter dem Verdacht übernommen hatte, dass staatliche Organe Russland den Mord in Auftrag gegeben hatten.
Der mutmaßliche Mörder Vadim Sokolov erhielt den Ermittlungen zufolge Unterstützung staatlicher Stellen bei der Verschleierung seiner Identität. Recherchen der Organisation Bellingcat legen nahe, dass er in ein Netzwerk ehemaliger Spezialkräfte des Geheimdienstes FSB eingebunden war.
Die Frage ist, was für ein Tatmotiv diese Kreise gehabt haben sollten. Russlands Präsident Wladimir Putin äußerte Vorwürfe gegen das Opfer: Ein blutrünstiger und brutaler Mensch sei er gewesen.
Kämpfer in Tschetschenien
Menschen, die Khangoshvili gekannt haben, wollen das nicht bestätigen. Zu ihnen zählt der ehemalige georgische Präsident Saakaschwili, der allerdings selbst ein angespanntes Verhältnis zu Putin hat, auch wegen des Krieges zwischen Georgien und Russland 2008.
Er kenne Khangoshvili aus seiner Amtszeit, die bis 2013 dauerte, bestätigte Saakaschwili erstmals im Interview mit tagesschau.de. Wenn es zu Konflikten mit der tschetschenischen Minderheit in Georgien gekommen sei, habe sich Khangoshvili um Beruhigung und Vermittlung bemüht.
Autorität unter den Tschetschenen habe Khangoshvili erlangt, weil er als Kämpfer am zweiten Tschetschenienkrieg zu Beginn der 2000er-Jahre teilgenommen habe, sagen Angehörige wie seine Schwester Zaira. Sie lebt im georgischen Pankisi-Tal.
In dieses Tal waren während der zwei Kriege Tausende Tschetschenen aus Russland geflüchtet. Khangoshvili habe das Leid der Frauen und Kinder nicht mit ansehen wollen und die Mutter gebeten, als Kämpfer nach Tschetschenien gehen zu dürfen, erzählt die Schwester.
Khangoshvili ist im Pankisi-Tal beerdigt.
Dort kämpfte er allerdings auch mit Schamil Bassajew, der später als Terrorist berüchtigt wurde. Putin warf Khangoshvili vor, an Angriffen gegen russische Soldaten beteiligt gewesen zu sein.
Ein Mordmotiv wie Rache könnte sich in dieser Zeit ergeben haben. Zumindest berichten Angehörige, dass es nach Khangoshvilis Rückkehr ins Pankisi--Tal den Versuch gegeben habe, ihn nach Tschetschenien zu entführen. Auftraggeber sei der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow gewesen.
Gegner Russlands, kein Islamist
Danach lebte Khangoshvili offenbar eine Zeit lang unbehelligt in Georgien. Nach Angaben seiner Schwester ging er verschiedenen Geschäften nach, mit Käse, Eisen und Honig habe er gehandelt. An den Kämpfen im Georgien-Krieg 2008 gegen Russland sei er nicht beteiligt gewesen, sagt der Journalist und Aktivist Sulkhan Bordzikashvili. Khangoshvili und andere Männer hätten damals das Pankisi-Tal vor möglichen russischen Angriffen bewacht.
Russland habe Khangoshvili als Gegner gesehen, doch ein Islamist sei er nicht gewesen. Er habe im Gegenteil versucht, Rekrutierungsversuche der Terrormiliz "Islamischer Staat" unter jungen Menschen im Pankisi-Tal zu unterbinden.
2015 dann gab es einen Anschlagsversuch auf Khangoshvili in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Seiner Schwester erzählte er im Krankenhaus, wie ein Mann mit einer Pistole auf seinen Kopf gezielt und er sich mit seinem linken Arm geschützt habe. Aufgeklärt wurde die Tat nicht. Khangoshvili traute der neuen Regierung nicht, die nach der Abwahl von Saakaschwilis Partei ins Amt kam.
Aufenthalt in der Ukraine
Er ging in die Ukraine, wo Saakaschwili bereits Gouverneur von Odessa geworden war. Es gebe eine große tschetschenische Gemeinde in der Ukraine, auch in Odessa, erzählte Saakaschwili. Ob er Khangoshvili dort getroffen hat, sagte er nicht. Jedoch gibt es Informationen, dass Khangoshvili Berater für Saakaschwilis Polizeichef in Odessa war.
Einen weiteren Mann kannte Khangoshvili in der Ukraine: Timur Makhauri. Dieser hatte ebenfalls im zweiten Tschetschenien-Krieg gekämpft und im Pankisi-Tal gelebt. 2017 wurde Makhauri bei der Explosion seines Autos in Kiew getötet.
Verabredung in Berlin
Khangoshvili war bereits 2016 nach Deutschland gegangen und hatte erfolglos Asyl beantragt. Noch einen Tag vor seinem Tod stand er in Kontakt zu Saakaschwilis Frau Sandra Roelofs.
Sie habe eine Reise nach Berlin geplant, um Kontakt zur tschetschenischen Diaspora in Europa aufzunehmen, erklärte Saakaschwili, der derzeit Präsidentenberater in der Ukraine ist und gegen den in Georgien Haftbefehl vorliegt.
Schon als First Lady habe sie sich um die sozialen Belange der Tschetschenen in Georgien gekümmert. Khangoshvili hätte sie vom Bahnhof abholen und ihr bei der Kontaktaufnahme behilflich sein wollen.
Er sei traurig um Khangoshvili, der Mord sei eine Botschaft Putins gewesen, meint Saakaschwili. Er habe der tschetschenischen Diaspora die Hoffnung auf ein friedliches Leben in Europa nehmen wollen.
Ob sich der Verdacht auf staatlichen Terror Russlands bestätigt, muss nun das Kammergericht Berlin klären. Die Verhandlungen sollen bis Ende Januar dauern.