Interview

Jürgen Trittin zur Moorburg-Entscheidung "Die Koalition steht nicht infrage"

Stand: 01.10.2008 14:53 Uhr

Die Genehmigung des Kohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg ausgerechnet durch die grüne Umweltsenatorin Hajduk erschüttert Grundüberzeugungen der Grünen. Bundestagsfraktionsvize Trittin sagt im tagesschau.de-Interview: Ein Rückschlag, der Schwarz-Grün aber nicht entzweien wird.

tagesschau.de: Sie haben gesagt, eine schwarz-grüne Koalition werde es in Hamburg nur ohne Moorburg geben. Haben Sie Ihre Hamburger Parteifreunde schon daran erinnert, dass sie jetzt zurücktreten müssen?

Jürgen Trittin: Unsere Hamburger Parteifreunde haben gesagt, sie werden alles tun, um Moorburg zu verhindern. Mit dieser Maßgabe sind sie in die Koalition eingetreten, und sie haben genau das getan. Angesichts der Rechtslage konnte die Kollegin Hajduk leider nicht anders entscheiden, nachdem das Oberverwaltungsgericht im Sommer beschlossen hatte, dass ein vollständiges Versagen der Genehmigung aufgrund nicht erfolgter Ausgleichsmaßnahmen im Wasserrecht nicht möglich sei.

"Es gibt keinen Streit zwischen CDU und Grünen"

tagesschau.de: Wäre es nicht konsequent, die Koalition zu beenden, wenn ein zentrales Anliegen der Grünen nicht erfüllt werden kann?

Trittin: Ich sehe nicht, dass die Koalitionsvereinbarung durch diese Entscheidung infrage gestellt wird. Es gibt in dieser Frage keinen Streit zwischen CDU und Grünen. Sondern es gibt ein Gerichtsurteil, das die zuständige Senatorin umzusetzen hatte. Die Hamburger Grünen werden zu überprüfen haben, ob es sich lohnt, Hamburg weiter zu regieren. Mein Eindruck ist, dass sie dies weiterhin tun werden. Was Moorburg angeht, hat es nicht durch das Handeln des Koalitionspartners, sondern durch ein Gerichtsurteil einen Rückschlag gegeben. Nicht die CDU ist schuld, auch eine grüne Alleinregierung hätte nicht anders handeln können. Wenn es in Hamburg zu einer Großen Koalition gekommen wäre, dann würden Sie all die Einschränkungen im Betrieb, die Frau Hajduk in Moorburg nun vorgenommen hat, in dem Genehmigungsbescheid nicht lesen.

Zur Person

Jürgen Trittin (geboren 1954 in Bremen) ist Vize-Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Mitglied des Parteirats. Von 1998 bis 2005 war er in der rot-grünen Koalition Bundesumweltminister. Er sitzt seit 1998 im Bundestag.

tagesschau.de: Wenn Moorburg nicht zu verhindern war, wieso haben Sie dann damit so vehement Wahlkampf gemacht?

Trittin: Weil solche Kohlekraftwerke schlecht für das Klima sind. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist in dieser Form auch von klugen Leuten nicht vorhersehbar gewesen. Und ein Gerichtsurteil bindet nun einmal - auch Regierungen. Den Grünen in Hamburg blieb nur, die Spielräume, die ihnen das Gericht noch gelassen hat, auszunutzen.

tagesschau.de: Wird die grüne Basis das einfach so hinnehmen?

Trittin: Die Moorburg-Genehmigung ist ein Rückschlag bei unseren Bemühungen um eine klimafreundliche Energieversorgung in Deutschland. Und auch Grund für Enttäuschung. Das ist aber kein Grund, sich in die Ecke zu setzen und aus der Politik zurückzuziehen, sondern eher ein Grund, weiterzukämpfen. Wie die Diskussion nach Moorburg ausgeht, kann man abschließend noch nicht sagen. Ich gehe aber davon aus, dass dies nicht als Anlass gesehen wird, die Koalition und damit das, was man in anderen Bereichen wie etwa der Hamburger Schulpolitik vereinbart hat, aufzugeben.

"Die Grünen verhindern erfolgreich Kohlekraftwerke"

tagesschau.de: Wenn noch nicht einmal die Grünen an der Regierung Kohlekraftwerke verhindern, warum sollte man dann noch grün wählen?

Trittin: Die Grünen verhindern erfolgreich Kohlekraftwerke. Etwa in Bremen an der Regierung. Im Saarland durch Bürgerentscheid. Der Hauptgrund, warum in Deutschland so viele neue Kohlekraftwerke geplant werden, liegt in der Ausgestaltung des Emissionshandels durch die Große Koalition. CDU, CSU und SPD subventionieren die Kohle gegenüber anderen Energieträgern mit mehr als doppelt so vielen Emissionszertifikaten.

tagesschau.de: Ist nach dieser grünen Niederlage Schwarz-Grün noch ein Modell für die Zukunft, etwa auch auf Bundesebene?

Trittin: Es gibt kein Modell Schwarz-Grün, es gibt Koalitionen. Öfter mit den Sozialdemokraten, mal mit der CDU. Das definiert sich immer über die politischen Inhalte, die man in einer Koalition vereinbaren kann. Und auf Bundesebene erscheinen mir Spekulationen über Schwarz-Grün doch sehr realitätsfern. Wir stellen zum Beispiel fest, dass die CSU zuletzt am Wahlabend erklärt hatte, dass sie mit den Grünen noch nicht einmal redet. Nicht, das uns das traurig stimmt.

tagesschau.de: Nun wird in Moorburg ein modernes Kohlekraftwerk unter strengen Auflagen gebaut. Ist das denn überhaupt so schlimm?

Trittin: Moorburg entspricht nicht mehr dem Stand der Technik. Wenn Sie die Klimaschutzziele, die die Bundesregierung selber gesetzt hat, ernst nehmen, dann dürfen Sie fossile Kraftwerke nur noch betreiben, wenn sie nicht mehr als 360 Gramm CO2 pro Kilowattstunden emittieren. Das ist nicht irgendeine grüne Setzung sondern ergibt sich aus den von der Bundesregierung selbst proklamierten Zielen, 40 Prozent der Treibhausgase bis 2020 einzusparen. Das Kraftwerk in Moorburg emittiert wie andere Kohlekraftwerke pro Kilowattstunde über 800 Gramm CO2. Damit bedeutet Moorburg nicht nur für die Grünen eine schwere Entscheidung, sondern das ist auch ein massiver Rückschlag für die Ziele der Bundesregierung im Klimaschutz. Wenn die geplanten Kraftwerke alle ans Netz gehen, wird Deutschland sein selbstgesetztes Klimaschutzziel krachend verfehlen.

"Zurzeit kein Bedarf an neuen Kohlekraftwerken"

tagesschau.de: Ist ein Kohlemoratorium, der Verzicht auf den Bau neuer Kohlekraftwerke, wie es die Grünen fordern, mit der Moorburg-Entscheidung nicht völlig unrealistisch geworden?

Trittin: Der Fall Moorburg unterstreicht die Richtigkeit des Kohlemoratoriums der Grünen. Wir brauchen Instrumente, die im Genehmigungsverfahren sicher stellen, dass eine Behörde nicht gezwungen ist - wie das in Hamburg der Fall war -, ein Kraftwerk zu genehmigen, das in seiner Ineffizienz aus klimapolitischen Gründen schlicht unverantwortlich ist. Deshalb haben die Grünen in den Bundestag einen Entwurf eingebracht, der vorsieht, dass künftig im Rahmen der emissionschutzrechtlichen Genehmigung nicht nur die energiepolitische Notwendigkeit eine Rolle spielt, sondern künftig nur noch Kraftwerke genehmigt werden dürfen, die einen Mindestwirkungsgrad von 58 Prozent haben. Das heißt, dass Kohlekraftwerke nur noch genehmigungsfähig sind, wenn sie über eine CO2-Abscheide und -Speicherungstechnologie verfügen. Und durch die von den Grünen eingeleitete Energiewende ist Deutschland zu einem Netto-Stromexporteuer geworden. Von daher gibt es zurzeit auch keinen Bedarf an neuen Kohlekraftwerken.

Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de.