Interview zur Außenpolitik "Er setzt auf keinem Terrain positive Akzente"
In der Libyen-Frage muss Westerwelle auch Kritik einstecken, die Kanzlerin Merkel gilt. Doch als Außenminister sei er generell ohne Einfluss und Profil, sagt Außenpolitik-Experte Hellmann im Interview mit tagesschau.de. Es gebe kein außenpolitisches Terrain, auf dem Westerwelle positive Akzente gesetzt habe.
tagesschau.de: Guido Westerwelle ist wegen seiner Äußerungen zur Libyen-Politik unter Beschuss. Wird er in der Libyen-Frage zu Unrecht verteufelt? Müsste die Kritik eigentlich der Kanzlerin gelten?
Gunther Hellmann: Er hat einen gewissen Anteil an der Entscheidung zur Enthaltung im Weltsicherheitsrat, weil er diese über die Kommunikation mit dem ständigen Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen mitgestaltet hat. In der letzten und wichtigen Phase aber, bei der engen Kommunikation zwischen Merkel und Obama und vor allem zwischen Merkel und Sarkozy, spielte Westerwelle keine Rolle. Das Kanzleramt trägt die Verantwortung für die Entscheidung zur Enthaltung bei der Libyen-Resolution.
Gunther Hellmann, Jahrgang 1960, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt deutsche Außenbeziehungen und EU. Er ist Mit-Herausgeber der "Zeitschrift für Internationale Beziehungen", der Schriftenreihen "Internationale Beziehungen" und "Weltpolitik im 21. Jahrhundert".
tagesschau.de: Wird Westerwelle nicht auch für Kommunikationsfehler kritisiert, etwa das Versäumnis, die militärischen Erfolge der NATO-Bündnispartner zu würdigen?
Hellmann: Westerwelle macht nicht nur in diesem Fall, sondern generell seit seinem Amtsantritt keine gute Figur. Seine Kommunikation als Außenminister ist insgesamt betrachtet alles andere als glücklich.
Es zeigt sich in der Libyen-Frage nur besonders deutlich: Sein Versuch, die Erfolge der Rebellen im Kampf gegen Gaddafi als wesentlichen Erfolg deutscher Sanktionspolitik darzustellen, ist geradezu lächerlich gewesen.
"Westerwelle ist die ideale Zielscheibe"
tagesschau.de: Wäre die Kritik an Westerwelle ebenso groß, wenn die Gaddafi-Gegner nicht so schnell erfolgreich beim Sturz des Regimes gewesen wären?
Hellmann: Die generelle Kritik an Westerwelle ist ja nicht neu. Er ist sozusagen die weichste Stelle in der Regierung. Er ist nicht mehr FDP-Vorsitzender, das schwächt ihn enorm. Es stand ja schon zur Frage, ob er bereits beim Wechsel des FDP-Vorsitzes als Außenminister ausscheiden sollte.
Jetzt versuchen die Kritiker, die zum Teil Merkel treffen wollen, ersatzweise Westerwelle aufs Korn zu nehmen. Das gilt für seinen Vorgänger Joschka Fischer, der sich selbst noch immer, genauso wie dies wohl für Helmut Kohl gilt, für den besten Außenpolitiker Deutschlands hält. Westerwelle ist die ideale Zielscheibe, wenn man der gegenwärtigen Bundesregierung etwas ans Bein hängen will.
tagesschau.de: Teilen Sie die Einschätzung einiger Experten, dass er vor seinem Rücktritt als FDP-Chef nur mit halber Energie als Außenminister präsent war?
Hellmann: Das gilt nicht nur für die Zeit vor seiner Abgabe des FDP-Vorsitzes, sondern auch für die Gegenwart. Westerwelle setzt nach wie vor keine besonderen Akzente in der deutschen Außenpolitik. Er ist einfach eine Fehlbesetzung, weil er keine strategische Perspektive für die deutsche Außenpolitik formulierte.
Westerwelle zeigt kein Profil. Er arbeitet sich nicht in die Materie im Detail ein, das sagen die Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand auch im Auswärtigen Amt. Er ist jemand, der instinktiv von Tag zu Tag reagiert. Und dann kommt es eben auch international zu peinlichen Kommunikationspannen wie in der jüngsten Libyen-Stellungnahme.
tagesschau.de: Kanzlerin Merkel sitzt sehr gerne selber in der Außenpolitik mit den Großen am Tisch - sei es bei China, Russland, transatlantischen Beziehungen, Europa. Wo hätte er denn mit dieser Kanzlerin im Gepäck punkten können?
Hellmann: In der Tat hat Westerwelle auch ein strukturelles Problem. Immer wenn ein neuer Außenminister einen bereits amtierenden Kanzler vorfand, hatte er bisher einen sehr schweren Stand. Bei Westerwelle kommt hinzu, dass er selbst in seiner eigenen Partei mittlerweile an Bedeutung verloren hat. Zudem sind in der Europäischen Politik Kompetenzen aufgrund des Lissaboner Vertrages vom Außenministerium ins Kanzleramt abgewandert. Merkel hat die Außenpolitik wie nahezu jeder ihrer Vorgänger als ein Terrain entdeckt, auf dem man sich profilieren kann.
tagesschau.de: Wo sehen Sie Westerwelles nicht genutzte Handlungsspielräume oder Fehler?
Hellmann: Er hat zum Beispiel versucht, den deutsch-polnischen-Beziehungen einen besonderen Akzent zu verleihen, indem er zum Amtsantritt Warschau statt traditionellerweise Paris besuchte. Er hat auch versucht, dem Weimarer Dreieck, das eine strategische Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der EU hat, neues Gewicht zu geben - allerdings mit wenig Gespür etwa für diverse zivilgesellschaftliche Organisationen. Aber selbst da gilt natürlich, dass Merkel die deutsch-polnischen Beziehungen zur Chefsache erklärt - zumindest dann, wenn es um wesentliche Dinge geht.
Westerwelle versuchte relativ früh Flagge zu zeigen, als die friedliche Revolution in Ägypten ausbrach. Ansonsten ließ Merkel ihm im Grunde keinen Spielraum.
Darüber hinaus ist er bei der Rüstungskontrolle der NATO, als es um die neue Nuklearstrategie und die Reduzierung der Atomwaffen ging, nur er einmal kurz vorgeprescht und musste dann wieder einen Rückzieher machen. Es gibt kein außenpolitisches Feld, von dem man sagen könnte, dass Westerwelle wirklich positive Akzente gesetzt hat.
tagesschau.de: Wieso ist es Frank-Walter Steinmeier als SPD-Vizekanzler und Außenminister in der Großen Koalition mit Merkel besser gelungen, die staatsmännische Rolle einzunehmen und bei den Bürgern in Umfragen besser zu punkten?
Hellmann: Das ist eines der interessantesten Phänomene: Noch nie hatte ein Außenminister so schlechte Umfragewerte wie Westerwelle. Normalerweise ist das eines der Ämter ganz oben an der Spitze der Pyramide. Steinmeier hatte aber auch andere Voraussetzungen: Er brachte einen Erfahrungsvorsprung mit, den Merkel erst mit der Zeit ausgleichen konnte. Er hatte als Kanzleramtsminister eigene Erfahrungen im außenpolitischen Geschäft bereits gemacht, war der Repräsentant des großen Koalitionspartners, mit dem man einfach nicht so umgehen kann, wie das in der Regel für alle Kanzler im Blick auf kleinere Koalitionspartner der Fall war.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de