Erneuerbare Energien Windkraft und Artenschutz - ein Widerspruch?
Die Ampelregierung treibt den Ausbau der Windkraft voran - teils gegen Widerstände in den Bundesländern. Auch Umweltschützer sind skeptisch. Sie befürchten, dass der Artenschutz zu kurz kommt.
Reinhard Utzel steht auf einer saftig-grünen Wiese. Durch sein Fernglas schaut er auf den Waldrand und erkennt einen Rotmilan. Der Diplom-Biologe aus dem Unterallgäu seufzt: "Ein Vogel, der bei der Windkraft oft eine entscheidende Rolle spielt."
Utzel erstellt regelmäßig Artenschutzgutachten für den Bau von Windrädern. Ein Jahr dauert das - mindestens. Manchmal vergehen zwei oder drei Jahre. Ist ein bestimmtes Vogelnest in der Nähe, endet die Windradplanung. Die Abstandsregeln dafür variieren. Beim Rotmilan zum Beispiel sind es in Bayern 1500 Meter. Im benachbarten Baden-Württemberg nur 500 Meter.
Einheitliche Regeln sollen Genehmigungen beschleunigen
Solche Unterschiede machen Planung und Genehmigung kompliziert und langwierig. Um den Turbo beim Windkraftausbau zu zünden, hat der Bundestag Anfang Juni einige Gesetze verabschiedet. Dazu gehören Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz und das neue "Wind-an-Land"-Gesetz.
Der Ausbau der Windkraft wird darin als überragendes öffentliches Interesse definiert. Beim Artenschutz sollen künftig überall die gleichen Regeln gelten. Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen verspricht sich davon eine Entbürokratisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren.
NABU befürchtet viele Rechtsstreitigkeiten
Eine schnelle Energiewende wünscht sich auch Sebastian Scholz. Er kümmert sich beim Naturschutzbund um Klima- und Energiefragen. Der NABU ist aber der Meinung: Die Bundesregierung macht es sich zu einfach. Es sei ein Fehler, Landschaftsschutzgebiete für Windräder zu öffnen.
Der Verband ist außerdem der Auffassung, dass die EU-Vogelschutzrichtlinie eine umfassenden Artenschutzprüfung vor Ort vorschreibt - und nicht nur eine Prüfung bestimmter Arten, wie es die Bundesregierung vorhat. Naturschützer Scholz geht davon aus, dass die neuen Regeln viele Rechtsstreitigkeiten mit sich bringen. Und solange baut niemand Windräder.
Naturschützer fordern konkrete Ausgleichsmaßnahmen
Der NABU verlangt umfassende Schutzkonzepte. Fledermäuse könnten zum Beispiel dadurch geschützt werden, Windräder zu bestimmen Zeiten abzuschalten. Betreiber könnten dazu verpflichtet werden, Systeme zu installieren, die Vogelzüge erkennen und die Rotoren stoppen.
Der Ankündigung von Umweltministerin Lemke, mehr Geld für Artenschutzprogramme und Ausgleichsflächen zu geben, traut Naturschützer Scholz noch nicht. Nach seinen Worten gibt es zwar eine Zusage zur Finanzierung, aber die Flächen für den Naturschutz würden noch fehlen. "Das macht uns natürlich skeptisch", sagt Scholz.
Lemke betont, Artenschutz und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen zu wollen. Die Grünen-Politikerin gibt sich überzeugt, mit Windkraftausbau und Ausgleichsmaßnahmen beides zu schaffen: Klima- und Artenkrise zu bekämpfen. Die Bundesumweltministerin räumt aber ein, es sei ein "Spagat".
Artenschutz nur vorgeschoben?
Biologe Utzel findet es richtig, dass der Artenschutz bei der Planung von Windparks eine wichtige Rolle spielt. Man müsse aber schauen, wo und wie das gemacht werde. Über manchen plötzlichen Vogelfreund wundert er sich: "Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, dass die Arten auch vorgeschoben werden für andere Interessen."
Auch der NABU beobachtet, wie Gruppen vor Ort plötzlich Zuspruch bekommen von Menschen, denen es nicht vorrangig um Vogelschutz geht, sondern darum, die Abstände zum nächsten Windrad zu maximieren.
Der Rotmilan hat nach Ansicht von Fachleuten ganz andere Probleme: Er findet nur schwer Nahrung. Oft verkleinert die Landwirtschaft den Lebensraum der Vögel und ihrer Beute - nicht ein Windrad.