Vor Zschäpe-Aussage Reden oder Schweigen?
Fest steht: Beate Zschäpe will vor Gericht aussagen. Bislang hatte sie dort konsequent geschwiegen. Die Rechtslage zum Thema Reden oder Schweigen vor Gericht ist komplex.
Ist es eine völlige Überraschung, dass Beate Zschäpe eine Aussage macht oder verlesen lässt?
Es war nicht von Anfang an klar, dass Beate Zschäpe von ihrem Schweigerecht Gebrauch macht. Dafür sprechen zum Beispiel die Ereignisse vom 13. November 2011. An diesem Sonntag wurde Beate Zschäpe per Hubschrauber von der JVA Chemnitz zum Flughafen Baden-Baden geflogen, und dann per Autokolonne zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe gebracht. Dort kam sie um kurz vor 19.00 Uhr abends an. Sie wurde dem zuständigen Ermittlungsrichter vorgeführt, der dann später den Haftbefehl gegen sie erließ. Ein BKA-Beamter begleitete Beate Zschäpe an diesem Tag. Schon während der Reise hatte er sich mit Zschäpe unterhalten.
Beim Warten im Vorzimmer des Ermittlungsrichters habe Zschäpe dann gesagt: Sie habe sich nicht gestellt, um nicht auszusagen. Davon berichtete der BKA-Beamte dem Münchner Gericht im Juli 2013. Unter anderem aus diesem Satz schließen viele Beobachter, dass Zschäpe in der ersten Zeit nach ihrer Festnahme eine Aussage erwog.
War die "Kronzeugenregelung" im Fall Zschäpe ein Thema?
In den ersten Tagen nach der Festnahme ja. Gesichert ist, dass der BGH-Ermittlungsrichter sie am 13. November 2011 ausführlich über die sogenannte Kronzeugenregelung belehrte. Das bestätigte der damalige Generalbundesanwalt Harald Range öffentlich, auch wenn er qua Amt auf die Anwendung der Kronzeugenregelung keinen Einfluss hatte. Die Vorführung am BGH am 13. November 2011 dauerte rund zweieinhalb Stunden. Das spricht dafür, dass es lange um dieses Thema ging.
2009 wurde die allgemeine Kronzeugenregelung bei schweren Straftaten eingeführt. Wenn der Täter freiwillig sein Wissen offenbart und dadurch eine oder mehrere weitere schwere Straftaten aufgedeckt werden, dann kann das Gericht die Strafe am Ende des Strafprozesses mildern.
Zwei Punkte sind dabei wichtig: Die Aussage des "Kronzeugen" muss erstens spätestens erfolgt sein, bis das Hauptverfahren eröffnet wird, also ein Termin für den Beginn der Strafverhandlung festgelegt wird. Sonst ist es zu spät. Zweitens: Eine konkrete Zusage, in welchem Umfang die Strafe gemildert wird, kann es zum Zeitpunkt der Aussage noch nicht geben. Darüber entscheidet das Strafgericht erst am Ende des Prozesses.
Vom Bundesgerichtshof wurde Beate Zschäpe dann nicht mehr zurück nach Chemnitz gebracht, sondern nach Köln in die JVA Ossendorf. Dort entstand dann der Kontakt zu ihrem ursprünglichen Verteidigerteam Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Auf deren Anraten berief sich Beate Zschäpe seitdem auf ihr Schweigerecht.
Gab es weitere Situationen, in denen Beate Zschäpe "gesprochen" hat?
Ja, aber jeweils nicht zur Sache, also nicht zu den konkreten Vorwürfen. Nachdem Zschäpe sich am 8. November 2011 gestellt hatte, kam es zu einem Gespräch mit einem Polizeibeamten auf dem Revier. Darin bezeichnete sie zum Beispiel "die beiden Uwes" als "ihre Familie" und nannte sich selbst ein "Omi-Kind", weil sie größtenteils bei ihrer Oma aufgewachsen sei. Auf einer Fahrt zu einem genehmigten Besuch ihrer Oma im Juni 2012 sprach sie mit einem BKA-Beamten, der darüber auch im Prozess aussagte. Wiederum ging es nicht um die konkreten Vorwürfe.
Im Laufe des Jahres 2015 wurde über Äußerungen Zschäpes gegenüber einem Gutachter des Gerichtes berichtet. Diesem soll sie gesagt haben, dass sie das Schweigen zunehmend belaste. In einem Brief an das Gericht, in dem es vorwiegend um Kritik an ihrem ursprünglichen Verteidigerteam ging, schrieb Zschäpe, sie überlege, "etwas auszusagen".
Was bedeutet das "Schweigerecht" des Angeklagten?
Ein zentraler Grundsatz im deutschen Strafprozess lautet: Ein Angeklagter muss sich nicht selbst belasten - für Freunde des Lateinischen: nemo tenetur se ipsum accusare. Der Angeklagte hat also das Recht, zu den Vorwürfen zu schweigen. Er muss nicht eine Art "Zeuge gegen sich selbst" sein.
Daraus folgt: Ein Gericht darf aus einem Schweigen keine nachteiligen Schlüsse für den Angeklagten ziehen. Etwa nach dem Motto: "Der hält ja nicht dagegen, also war er’s bestimmt." Das Schweigerecht wird direkt aus den Grundrechten des Grundgesetzes abgeleitet, gehört also zur Menschenwürde und zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht jedes Bürgers. Auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention ist es garantiert.
Auf ihr Schweigerecht müssen Betroffene zu verschiedenen Zeitpunkten im Verfahren auch aufmerksam gemacht werden. Bei der ersten Vernehmung muss ein Beschuldigter darauf hingewiesen werden, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht, sich zur Sache zu äußern oder nicht (136 Absatz 1 Satz 2 Strafprozessordnung). Auch zu Beginn des Strafprozesses muss das Gericht einen Angeklagten über sein Schweigerecht belehren.
Wie ist es, wenn man im Prozess zunächst schweigt, dann aber später doch eine Aussage macht?
Auch das Schweigen nur für einen bestimmten Zeitraum darf vom Gericht nicht zulasten eines Angeklagten gewertet werden; zum Beispiel, dass jemand bei der Polizei geschwiegen hat, sich aber im Gerichtsprozess später zu einer Aussage entschieden hat.
Warum raten viele Verteidiger ihren Mandanten zum Schweigen?
Im Strafverfahren lautet das Prinzip: Das Gericht muss einem Angeklagten dessen Schuld nachweisen. Der Angeklagte muss nicht umgekehrt seine Unschuld beweisen. Deswegen kann es aus Sicht eines Angeklagten sinnvoll sein, erst einmal abzuwarten: Wie viele Beweise hat man wirklich gegen ihn in der Hand? In vielen Fällen lautet der Rat der Verteidiger aber auch, das Schweigen bis zum Schluss durchzuhalten.
Je nach Verlauf der Hauptverhandlung kann die Aussage des Angeklagten aber ein Mittel sein, bestimmte Dinge aus Sicht des Angeklagten "geradezurücken". Dabei muss sich ein Angeklagter aber folgendes Risiko bewusst machen: Wer sich äußert, macht sich als Angeklagter durch diesen Schritt selbst zu einer Art Beweismittel. Er muss damit rechnen, dass seine Aussagen mit den zahlreichen anderen Aussagen und Beweismitteln verglichen werden, und sich Widersprüche auftun könnten. Wie diese zu würdigen sind, ist dann Sache des Gerichts.
Ist es gut oder schlecht, wenn man sich nur zu bestimmten Teilen einer Tat äußert?
Immer wieder kommt es vor, dass Angeklagte sich nicht komplett zu einer bestimmten Tat äußern, sondern nur zu bestimmten Teilen - die sogenannte Teileinlassung. Dazu ist wichtig: Äußert man sich nur zu einem Teil der Vorwürfe, kann das Gericht in diesem Fall das Schweigen zum übrigen Teil zulasten eines Angeklagten werten. Das ist eine wichtige Ausnahme von den oben genannten Grundsätzen zum Schweigerecht. Wann es sich genau um eine "Teileinlassung" handelt, und wie sie sich genau auswirken kann, hängt von der konkreten Aussage ab.
Muss ein Angeklagter bei einer Aussage die Wahrheit sagen?
Nein. Das folgt schon aus dem Grundsatz, dass ein Angeklagter sich nicht selbst belasten muss. Er muss keine separaten Folgen fürchten, weil er vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt hat.
Anders ist es bei Zeugen: Sie sind gesetzlich zur Wahrheit verpflichtet und werden vor ihrer Aussage auf die Konsequenzen einer Falschaussage hingewiesen. Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrechte bestimmter Personen sind dann noch mal ein anderes Thema.
Ist es egal, ob Zschäpe selbst aussagt oder ein Verteidiger ihre Aussage verliest?
Man kann zumindest darüber diskutieren, ob eine verlesene Aussage durch den Verteidiger als Aussage des Angeklagten zu werten ist. Die Strafprozessordnung spricht davon, dass ein Angeklagter, der aussagen möchte, "vernommen" wird (z.B. § 244 Absatz 1 Strafprozessordnung).
Es ist heutzutage aber anerkannt, eine vom Verteidiger verlesene Erklärung als Aussage des Angeklagten zu werten. Voraussetzung ist, dass der Angeklagte sich die Erklärung wirklich zu eigen macht. Oft wird dies bei einer verlesenen Aussage ausdrücklich in den Text aufgenommen. Meistens fragt das Gericht zu diesem Punkt auch noch mal ausdrücklich nach.
Die Frage spielt in einem zweiten Schritt eine zentrale Rolle. Das Gericht hat nämlich die Möglichkeit, der verlesenen Aussage am Ende einen geringeren "Beweiswert" zuzumessen als einer persönlichen Aussage. Gleiches gilt auch für Antworten auf mögliche Nachfragen des Gerichts, wenn diese vom Verteidiger vorgetragen werden. Das Gericht dürfte also am Ende sagen: Das ist nicht dasselbe wie eine persönliche Aussage, in diesem oder jenem Punkt folgen wir deshalb einer anderen Zeugenaussage.
Was bedeutet das konkret?
Das Gericht muss sich mit der Aussage eines Angeklagten auseinandersetzen, sie mit anderen Zeugenaussagen oder Dokumenten vergleichen und dabei Aspekte zugunsten und zulasten des Angeklagten prüfen. Kurz: Es muss sich am Ende eine Meinung bilden, wem es was glaubt. Dabei darf das Gericht einer verlesenen Aussage ein geringeres Gewicht beimessen, weil sie nicht persönlich erfolgte und Nachfragen nicht persönlich beantwortet wurden.
Der Bundesgerichtshof hat diese Möglichkeit damit begründet, dass die Aussage sonst nur bedingt nachprüfbar sei. Das Gericht habe nämlich keinen "unmittelbaren Eindruck des Aussageverhaltens, insbesondere vom Sprachfluss und der begleitenden Körpersprache" gewinnen können. (AZ 3 StR 410/07)
Das Gericht kann ohne persönliche Antworten also nicht mit allen Mitteln überprüfen, wie glaubhaft eine Aussage ist. Soweit die Grundsätze - für eine Bewertung im Fall Zschäpe ist es aber noch zu früh.
Wie soll das mit den Nachfragen des Gerichts funktionieren?
Verteidiger Mathias Grasel hat im Gerichtssaal die Vorstellung geäußert, dass das Gericht einen schriftlichen Fragenkatalog übermittelt, die dann schriftlich beantwortet werden. Die Antworten müssten wohl auch im Gerichtssaal verlesen werden. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters sagte Grasel, dass Zschäpe nicht persönlich antworten werde. Interessant wird, wie lange dies alles dauern wird. Denn Stoff für Fragen des Gerichts gibt es ja mehr als genug.
Könnte Zschäpes Aussage sich positiv für sie auswirken?
Das ist grundsätzlich möglich, hängt aber von der konkreten Aussage und den späteren Wertungen des Gerichts ab.
Zunächst könnten sich aus der Aussage Zweifel an den konkreten Vorwürfen ergeben, die sich am Ende bestätigen. Falls das Gericht am Ende die angeklagten Vorwürfe (Mittäterschaft) trotzdem als erwiesen ansieht, könnte sich eine Aussage zudem grundsätzlich auf die Länge einer Haftstrafe auswirken. Das hängt dann allerdings auch vom Inhalt der Aussage ab, ob zum Beispiel Reue gezeigt würde.
Das Gericht müsste bei einer Verurteilung wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe zum Beispiel prüfen, ob es eine "besondere Schwere der Schuld" im Urteil bejaht. Wenn ja, wird nicht wie gesetzlich vorgesehen automatisch nach 15 Jahren Haft geprüft, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Das Aussageverhalten kann aber grundsätzlich ein Kriterium sein, die "besondere Schwere der Schuld" zu verneinen. Dann wäre eine Entlassung auf Bewährung nach 15 Jahren zumindest denkbar.
Sollte am Ende des Prozesses die Anordnung einer "Sicherungsverwahrung" im Raum stehen, könnte sich eine Aussage ebenfalls positiv auswirken. "Sicherungsverwahrung" bedeutet, dass ein Straftäter auch nach verbüßter Haftstrafe nicht freikommt. Voraussetzung ist zum Beispiel, dass die Person - vereinfacht gesagt - weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Bei einem geläuterten Angeklagten kann es also grundsätzlich schwieriger sein, eine Sicherungsverwahrung anzuordnen.
Kann die Aussage den Prozess verlängern?
Das ist möglich. Nach der Aussage könnte es nötig werden, weitere Zeugen zu hören oder andere Beweismittel zu prüfen.