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Verborgene Geldtransfers Kryptogeld-Spenden für Neonazis

Stand: 17.06.2022 06:00 Uhr

Zur Verschleierung von Finanzströmen nutzt die rechtsextreme Szene offenbar zunehmend Kryptogeld. Das zeigen Recherchen von report München. Der Staat tut sich schwer mit der Kontrolle der Zahlungsströme.

Von Sabina Wolf und Christof Mackinger, BR

Ein ganzes Kapitel hat der Attentäter Payton Gendron den neuen Bezahlformen gewidmet. Der Rechtsextremist erschoss vor vier Wochen im US-amerikanischen Buffalo zehn Menschen. Genährt von antisemitischen Mythen empfahl er, das Bankensystem zu meiden. Die Zentralbanken seien von Juden kontrolliert: "Die Juden hassen es, wenn man virtuelles Geld in echtes umtauscht. Deswegen schon sollten wir es tun." Damit folgte er einem Trend, der in der rechtsextremen Szene seit 2012 zu beobachten ist: Geldtransfers über Kryptowährungen - statt über das herkömmliche Bankensystem.

Die rechtsextreme Webseite "American Futurist" bewirbt den Einsatz von Kryptogeld so: "Das ist privat, einfach zu handeln und bringt die Juden in Rage." Man müsse eine, eigene parallele Welt aufbauen, die nicht von Juden dominiert sei. Mit dem anonymen Kryptogeld "Monero" sei das im Finanzbereich möglich.

Spuren verwischen, Zinsen sammeln

Experten gehen davon aus, dass Beträge in mehr als 75 verschiedenen Kryptowährungen als Spenden an den österreichischen Rechtsextremisten Philip H. flossen. Der sitzt seit Januar 2021 wegen seiner Aktivitäten als Neonazi-Rapper "Mr. Bond" in Haft. Aufgrund antisemitischer und den Nationalsozialismus verherrlichender Liedtexte verurteilte ihn das Wiener Landesgericht im März 2022 zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe, die aktuell noch nicht rechtskräftig ist. 

"Das sind definitiv mehr [Kryptowährungen], als wir in anderen Fällen in unseren Studien beobachten konnten", berichtet Steven Stalinsky vom Middle East Media Research Institute (MEMRI). Besonders brisant ist das, weil Zahlungen über Kryptowährungen nicht oder kaum für Ermittler nachvollziehbar sind.

Nach Recherchen von report München sammeln Philip H.s Unterstützer in einschlägigen Online-Kanälen Spenden für ihn in Kryptowährungen wie Bitcoin, Dai, Ethereum, Litecoin, Bytecoin, Binance, Cloakcoin, Crown, Dash, Digibyte, Dogecoin, Firo, PIVX, Omni, Velas oder Velas.

Der Betreiber der Unterstützer-Webseite für den Neonazi-Rapper sagt in einem Tondokument, das report München vorliegt, er ändere sicherheitshalber die Bitcoin-Adresse nach jeder Spende, um Spuren zu verwischen. Der Webseite-Administrator ergänzte, einen Teil des Geldes lege er in der Kryptowährung Dai an, dort würden Zinsen gezahlt: "Ich möchte, dass er [Philip H.] was hat, wenn er rauskommt."

Die Polizei ermittelte den Neo-Nazi Rapper Philip H. übrigens über sein ehemaliges Paypal-Spendenkonto. Vor seiner Verhaftung hatte er noch begonnen, auf Kryptowährungen zu setzen: Bei Festnahme wurde zudem ein digitales Wallet mit 1,098 Bitcoins beschlagnahmt, der Wert beträgt aktuell etwa 22.000 Euro.

Beträge in sechsstelliger Höhe

Die Nutzung von Kryptogeld, so das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), sei bei nationalen und transnationalen Geschäftsmodellen und finanziellen Aktivitäten rechtsextremistischer Akteure zu beobachten. "Auf einzelnen Bitcoin-Adressen können hierbei teilweise Zahlungseingänge in insgesamt sechsstelliger Höhe beobachtet werden", so ein Sprecher des BfV auf Anfrage von report München.

Seit 2017 sammelt auch Martin Sellner, einer der führenden Köpfe der "Identitären Bewegung Österreichs", Spenden über Kryptowährungen. Einer seiner Geldgeber: Der Attentäter von Christchurch in Neuseeland. Im März 2019 tötete dieser bei einem Anschlag auf muslimische Gebetshäuser aus rassistischen Motiven 51 Menschen. Sellner brachte die mediale Berichterstattung die Kündigung von Spendenkonten bei zahlreichen Banken ein. Seine Abhängigkeit von Kryptowährungen wuchs.

Das österreichische Bundesinnenministerium räumt auf Anfrage von report München ein, die Verwendung von Kryptowährungen erschwere "konventionelle Finanzermittlungen, da beispielsweise Kontoregisterabfragen oder Kontoöffnungen nicht möglich sind." Zum Fall des Neonazi Rappers Philip H. wolle man, solange das Urteil noch nicht rechtskräftig sei, "aus einsatztaktischen Überlegungen keine Details bekannt geben".

Betroffene fordern gründliche Ermittlungen

Vom Hass der Neonazis Betroffene hingegen fordern die Behörden auf, ganz genau hinzuschauen. Die österreichische Journalistin Colette M. Schmidt war seit 2016 auf einer antisemitischen Hetz-Website als "Verräterin der weißen Rasse" gelistet. Vergangenen März gestand Philip H.s jüngerer Bruder Benjamin vor Gericht, Urheber der Website gewesen zu sein.

"Ich verstehe nicht, dass die Behörden nicht wirklich alle Wege und Mittel einsetzen um auch frühere Geldflüsse auf die Konten der beiden [Benjamin und Philip H.] total gründlich zu untersuchen. Vielleicht kann man da Netzwerke offenlegen, wo man im schlimmsten Fall sogar ein Attentat verhindern könnte", so Schmidt im Interview mit report München.

Die meisten Anbieter von Kryptowährungen wollen keine Regulierungen, beobachtet Steven Stalinsky von MEMRI. Wenn sie nicht selber genauer hinschauten, dann müssten die Staaten handeln. Ein Weg wäre, bekannte Gruppen oder Individuen aus der rechtsextremistischen Szene als Terroristen einzustufen. "Damit wären deren Transfers illegal", so Stalinsky.

Auf Anfrage, ob es einen Handlungsbedarf bei der Verfolgung von Krypto-Währung in der rechtsextremistischen Szene gibt, betont das Bundesinnenministerium, die Analyse von Transfers mit Kryptowährungen sei ebenso von Bedeutung wie die Aufklärung sonstiger Finanzaktivitäten. Über Einzelheiten erteilt das Ministerium keine Auskünfte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 11. Mai 2022 um 09:21 Uhr.