Polizeibeamte stehen am Hauptbahnhof in Lübeck, der nach einer Bombendrohung evakuiert wurde.

Verdächtiger Neonazi Vom Hass-Kommentar zur Bombendrohung

Stand: 15.04.2019 11:33 Uhr

Politiker und Behörden haben Hunderte Droh-Mails erhalten. Absender soll ein vorbestrafter Neonazi sein. Dessen Aktivitäten im Netz zeigen, wie kurz der Weg vom Hass-Kommentar zur Bombendrohung sein kann.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

    Ab kommender Woche werde man "auf unserer dezentralen Dienstleistungsplattform zur Förderung des Pädo- und Rechtsterrorismus" verschiedene Pistolen zum Kauf anbieten; alle Waffen würden mit 50 Schuss geliefert. So leiteten Unbekannte eine E-Mail ein, die sie im Januar an Medien und Rechtsanwälte schickten. Sie unterzeichneten die Nachricht als "Musiker des Staatsstreichorchesters" - ein Wortspiel, mit dem die Absender offen mit einem Umsturz kokettieren.

    E-Mails gingen auch an BKA und Geheimdienste: In den Nachrichten drohten die Absender, sollten Behörden die angebotenen Waffen nicht erwerben, würde man diese an Personen verkaufen, "die damit gern durch die Innenstädte ziehen möchten".

    Vernichtungsfantasien und Kinderpornographie

    Hinter den Drohungen soll ein Neonazi aus Schleswig-Holstein stecken, dessen Auftreten im Netz in vielen Fällen zu den Inhalten der Nachrichten zu passen scheint. So sind einige E-Mails eher in einem sachlichen Ton gehalten, in anderen werden Adressaten massiv beleidigt und bedroht. So kündigen die Absender gegenüber einer jüdischen Politikerin an, sie in ein KZ zu "verfrachten". Diese E-Mail vom 23. Januar endet mit dem Nazi-Gruß "Sieg Heil und Heil Hitler!"

    Einige Nachrichten sind zudem unterzeichnet mit "Wehrmacht, NSU 2.0, Elysium". Neben dem rechtsextremen Bezug fällt der Begriff "Elysium" auf; dabei handelte es sich um ein Forum im Dark Web, in dem Mitglieder vor allem aus Deutschland und Österreich Kinderpornographie austauschten. Zudem sollen dort auch Kinder zum sexuellen Missbrauch vermittelt worden sein.

    Razzia am Hamburger Stadtrand

    Anfang April durchsuchten LKA-Beamte eine Wohnung am Hamburger Stadtrand und nahmen den verdächtigen Neonazi in Untersuchungshaft. Der beschuldigte André M. soll seit April 2018 die Drohschreiben verfasst und Bombenanschläge an Gerichten oder Bahnhöfen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Brandenburg angekündigt haben. Die E-Mails wurden unter anderem mit "Nationalsozialistische Offensive" (NSO) unterzeichnet.

    André M. rückte nach Informationen von Kontraste ins Visier der Ermittler, nachdem die Polizei ihn verdächtigte, eine Frau wegen ihres YouTube-Kanals bedroht zu haben. Bei diesem Schreiben wurde die Bezeichnung "NSO" nicht verwendet. Auf dieses Schreiben wurde dann aber in einer mit "NSO" unterzeichneten E-Mail an die Linken-Politikerin Martina Renner Bezug genommen. So brachten die Ermittler André M. mit der sogenannten "NSO" in Verbindung.

    Vorbestrafter Neonazi

    Der verdächtige Neonazi aus Halstenbek war bereits wegen Drohungen und anderer Delikte aufgefallen. Angeblich hatte er einen Anschlag auf ein Volksfest geplant. Wegen Brandstiftung an Autos wurde er laut Medienberichten verurteilt.

    Andrè M. macht keinen Hehl aus seiner Gesinnung: Im Netz präsentiert er sich mit Sturmhaube und im T-Shirt einer Rechtsrockband aus dem militanten Neonazi-Milieu. Er bewertet Fotos von Waffen positiv und veröffentlicht rechtsextreme Kommentare auf Facebook-Seiten großer Medien - unter anderem bei der tagesschau, "Bild"-Zeitung und "Hamburger Abendblatt". Er ist aber auch aktiv auf rechtsextremen Seiten, bei der "German Rifle Association" oder der Gruppe "Let`s shoot", in der er sich im Sinne der "Reichsbürger" äußert.

    Vom Kommentar zur Bombendrohung

    Besonders eifrig kommentierte M. zuletzt Medienberichte über angebliche linksextreme Aktivitäten an einer Hamburger Schule. Wenige Tage nach diesen Kommentaren ging an dieser Schule eine Bombendrohung ein, die ebenfalls von M. stammen soll.

    Einzeltäter oder Netzwerk?

    Zunächst teilte die Berliner Staatsanwaltschaft mit, man gehe von einem Einzeltäter aus. Doch dies erscheint zunehmend fraglich, denn es tauchen immer neue Erpresser- und Drohschreiben auf. So heißt es beispielsweise in einer E-Mail vom 10. April, es sei ein Anschlag auf Greta Thunberg geplant gewesen.

    Allerdings könnte es sich bei einigen der neuen Drohungen tatsächlich um Nachahmer handeln, denn verschiedene ältere E-Mails sind im Netz zu finden. Dadurch könnten sich gleichgesinnte Trittbrettfahrer an diesen Schreiben orientieren. In anderen E-Mails finden sich laut RBB hingegen Informationen zu Andrè M., die öffentlich nicht zugänglich gewesen seien.

    Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von mindestens zwei Tätern aus. Ein Sprecher sagte laut RBB, es gebe einen weiteren Verdächtigen. Auch verschiedene Betroffene, die Drohungen erhielten, glauben nicht an einen Einzeltäter.

    Psychisch labil

    Andrè M. gilt als psychisch labil, auch bei der Durchsuchung seiner Wohnung verhielt er sich auffällig. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte er mehrfach Beiträge, die auf Suizidgedanken hindeuten.

    Außerdem äußerte Andrè M. Rachefantasien. So schrieb er Anfang Februar:  "Vergeben und Vergessen gibt es für mich nicht, jeder Tag in Haft, hat mich den Hass mehr gelehrt und das Leben nicht zu schätzen." Auf seinem Profil steht als Leitsatz: "Eure Währung ist Geld. Meine Währung ist Blut."

    Hoffen auf internationales Netzwerk

    Seine Online-Aktivitäten zeigen, dass Andrè M. fest einem rechtsextremen Weltbild folgt. So behauptet er auf Facebook, es habe eine "jahrelange Antideutsche Erziehung" gegeben, zudem drohe eine totalitäre "Meinungsdiktatur". Zu den Kontakten zwischen der "Identitären Bewegung" und dem rassistischen Attentäter von Christchurch schrieb M. auf der "Bild"-Facebook-Seite, er hoffe auf eine Vernetzung, die noch weiter reiche als von Neuseeland bis Österreich.

    Möglicherweise wollte der Schleswig-Holsteiner Teil dieses internationalen Netzwerks von militanten Rechtsextremen sein. Das Beispiel zeigt, wie kurz wohl der Weg vom Hass im Netz zu handfesten Bombendrohungen sein kann.