Studie zur Desinformation Klimaschutz als "Kulturkampf"
Mit polarisierenden Beiträgen zum Klima ist die AfD im Wahlkampf besonders erfolgreich gewesen. Das geht aus einer Studie hervor, die tagesschau.de vorab vorliegt. Demnach stilisiert die Partei das Thema zum "Kulturkampf".
Eine Datenanalyse vom Institut für strategischen Dialog (ISD) zeigt, dass insbesondere die AfD im Wahlkampf in den sozialen Netzwerken von der Klima-Debatte profitiert hat. Als einzige Partei, die den Klimawandel in Frage stellt und sich gegen Schutzmaßnahmen ausspricht, liefen klimabezogene Beiträge der AfD besonders gut und wurden bis zu 237 Prozent häufiger geteilt als Beiträge zu anderen Themen. Dabei seien laut ISD-Report die erfolgreichsten Beiträge auf Facebook diejenigen gewesen, die die Klimaschutzmaßnahmen negativ einordneten. Hierin unterscheidet sich Facebook stark von Twitter, wo überwiegend sogar schärfere Klimaschutzmaßnahmen gefordert wurden.
Insgesamt wurden Desinformationen zum Klima dann stark verbreitet, wenn der Klimawandel aufgrund wichtiger Ereignisse, wie der Veröffentlichung des Berichts des Weltklimarates oder des großen Klimastreiks, verstärkt diskutiert wurde. Bei den Grünen hatte jeder dritte Beitrag einen Bezug zum Klima, bei der AfD waren es trotz ihrer überdruchschnittlich hohen Reichweite nur sieben Prozent.
Desinformationen und Feindbilder
Akteurinnen und Akteure aus dem rechten Spektrum hätten Feindbilder heraufbeschworen und Ängste geschürt, um Klimaschutzmaßnahmen in Zweifel zu ziehen. So wurden Klimaschutzaktivstinnen und -aktivisten häufig als "Klima-Terroristen" bezeichnet, Grüne als "Klima-Hysteriker" diskreditiert und Klimaschutzmaßnahmen als "Klima-Panik" abgetan. Die Debatte sei zum "Kulturkampf" ernannt worden, indem insbesondere die vermeintliche Bedrohung, welche Klimaschutzmaßnahmen auf den "typisch deutschen Lebensstil" hätten, herausgestellt wurden.
Um Desinformationen eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, wurden boulevardisierte Schlagzeilen etablierter Medien von Klimaskeptikern geteilt. Toralf Staud, Fachjournalist des Wissensportals klimafakten.de, erläutert dass dies eine typische Strategie von Klimaskeptikern sei: "Aus dem großen weiten Datenschatz pickt man sich die Datenpunkte heraus, die seine eigene Meinung stützen, hebt sie dann hervor. Das ist Rosinenpickerei und setzt so ein falsches Bild in die Welt, was auf isolierten, aber für sich genommen durchaus richtigen Fakten basiert."
Indem Fakten bewusst verzerrt, aus dem Kontext gerissen oder konsequent ignoriert werden, hätte dies eine deutliche Ablehnung der Klimaschutzmaßnahmen zur Folge, heißt es in der ISD-Studie, die tagesschau.de vorab vorliegt. "Dieser Trend ist besorgniserregend, da durch solche Entwicklungen dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen verzögert werden können", so Paula Matlach und Łukasz Janulewicz vom ISD.
Staud kann dies bestätigen. Ihm fallen derzeit insbesondere Behauptungen auf, welche die Risiken des Klimawandels verharmlosen, vom Kern des Problems ablenken oder Maßnahmen als übereilt und wirkungslos darstellen. "In der Forschung werden solche Behauptungen als 'Discourses of Delay' bezeichnet, als 'Verzögerungsdiskurse'. Für eine wirkungsvolle Politik, die sehr schnell und sehr stark sein muss, um noch die völkerrechtlich bindenden Klimaziele zu erreichen, sind solche Thesen natürlich Gift", erklärt Staud.
Alles halb so schlimm?
Eine wiederkehrende Behauptung der Klimaskeptiker besagt, dass die Temperaturen nicht übermäßig anstiegen und es Wetterschwankungen schon immer gegeben habe. Auch im AfD-Wahlprogramm von 2021 ist diese zu finden: "Es ist bis heute nicht nachgewiesen, dass der Mensch, insbesondere die Industrie, für den Wandel des Klimas maßgeblich verantwortlich ist. Die jüngste Erwärmung liegt im Bereich natürlicher Klimaschwankungen, wie wir sie auch aus der vorindustriellen Vergangenheit kennen."
Silke Hansen, Leiterin des ARD-Wetterkompetenzzentrum, widerspricht dem entschieden. Den immensen Anstieg der Temperaturen weltweit hätte es so noch nie gegeben, die Zahlen der Wissenschaft belegten den menschengemachten Klimawandel eindeutig. Die globale Erwärmung, die wir derzeit sehen, sei definitiv nicht natürlichen Ursprungs, sondern außergewöhnlich.
Geringer Anteil leugnet den Klimawandel
Das kategorische Leugnen des menschengemachten Klimawandels spielt allerdings nur noch eine untergeordnete Rolle. Staud nehme das "blanke Leugnen" nur noch in einer "winzigen, aber lautstarken Randgruppe der Gesellschaft" wahr. Eine Studie der Europa-Universität Flensburg in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dortmund, kommt zu dem Ergebnis, dass selbst bei Menschen, die rechtspopulistische Ansichten teilten und der Wissenschaft oftmals skeptisch gegenüberstünden, der Anteil von Klimaleugnern gering sei. "Häufiger werden aber konkrete Klimaschutzpolitiken oder Projekte wie die Energiewende abgelehnt - vor allem wenn erwartet wird, dass sie das Leben teurer machen", heißt es in der Studie.
In der Ablehnung der Klima- und Umweltschutzpolitik herrsche in der Szene weitestgehend Konsens. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD haben bereits vor Jahren dieses Thema für sich entdeckt. Alexander Gauland, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der AfD, sagte 2019 in der "Welt am Sonntag": "Die Kritik an der sogenannten Klimaschutzpolitik ist nach dem Euro und der Zuwanderung das dritte große Thema für die AfD".
Strategiewechsel
Die Taktik der AfD scheint sich im Laufe der Jahre jedoch verändert zu haben. In der Vergangenheit ist die AfD immer wieder mit hanebüchenen Aussagen zum Klimawandel aufgefallen. Sei es Alice Weidel, die die Sonne für den Klimawandel mitverantwortlich macht, Karsten Hilse, der Klimaforscher im Bundestag als "bezahlte Mietwissenschaftler" bezeichnet oder Tino Chrupalla, der beim letzten AfD Bundesparteitag ankündigte, die Mittel im Kampf gegen "den sogenannten Klimawandel" streichen zu wollen.
Mittlerweile scheint die AfD erkannt zu haben, dass die Klimaleugnung keine breite Zustimmung findet und zeigt sich deutlich zurückhaltender. Der Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla äußert im Deutschlandfunk im Spätsommer diesen Jahres zwar Zweifel daran, dass es einen Zusammenhang zwischen der Flutkatastrophe und dem Klimawandel gebe. Gleichzeitig sagt er aber auch: "Natürlich gibt es einen Klimawandel und den leugnet auch niemand, inwieweit wir darauf aber Einfluss haben können und vor allen Dingen mit welchen Maßnahmen, das steht auf einem ganz anderen Papier."
Auch sein Parteikollege Michael Kaufmann setzt statt auf die Skepsis gegenüber der globalen Erwärmung auf die Kritik an der Energie- und Klimapolitik, welche "dem Land mehr schade, als der Klimawandel selbst". Es bräuchte keinen unbedingten Kampf gegen das Klima, sondern man müsse sich auf die kommenden Klimaänderungen einstellen.
Der Fachjournalist Staud sieht darin einen bewussten Strategiewechsel: "Je stärker die Folgen des Klimawandels ins Auge springen - sei es durch Hitzewellen, Dürren, Starkregen hierzulande oder verheerende Brände in Kalifornien oder Australien -, desto lächerlicher machen sich die Leugner der Wissenschaft. Und die merken dann selbst, dass das nicht durchzuhalten ist und wechseln zu anderen Strategien der Leugnung".