Rauschgifthandel Wie Drogengold nach Deutschland kam
Mitte November gingen italienische Ermittler gegen eine mutmaßliche Gruppierung um Raffaele Imperiale vor - er gilt als einer der weltweit wichtigsten Kokainbroker. Laut MDR reichte sein Netzwerk offenbar bis nach Deutschland.
Am vergangenen Dienstag ging eine Nachricht durch italienische Medien: Raffaele Imperiale - für Ermittler einer der wichtigsten Drogenhändler Europas - soll angefangen haben, mit der Justiz zu kooperieren. Polizisten hatten den 48-Jährigen, der auf der Liste der gefährlichsten Verbrecher Italiens stand, im Juli vergangenen Jahres in Dubai verhaftet.
Von den Arabischen Emiraten aus soll Imperiale Kokain aus Südamerika nach Europa bewegt und damit kriminelle Organisationen beliefert haben - unter anderem die italienischen Mafia-Gruppierungen Camorra und ‘Ndrangheta. In Dubai hatte er sich offenbar mit anderen europäischen Drogenbossen zusammengetan, darunter dem Niederländer Ridouan Taghi, der vor seiner Verhaftung der meistgesuchte Verbrecher des Landes war, und dem Iren Daniel Kinahan, für dessen Verhaftung US-Behörden eine Belohnung in Höhe von fünf Millionen Euro ausgesetzt haben.
Die europäische Polizeibehörde Europol hat den mutmaßlichen Bund "Superkartell" genannt und schätzt, dass die Männer gemeinsam mit weiteren Komplizen rund ein Drittel des Kokainhandels in Europa kontrollierten. Sollte Imperiale künftig wirklich auspacken, könnte das für viele Kriminelle unangenehm werden. Denn: Für seine illegalen Geschäfte konnte Imperiale auf ein weltweites Netzwerk zählen. Bis heute unbekannt: Das Netzwerk reichte offenbar bis nach Deutschland, wie aus italienischen Ermittlungsunterlagen hervorgeht, die MDR und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vorliegen.
Die Unterlagen gehen auf ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Neapel zurück. Mitte November ging die dortige Finanzpolizei gegen 28 Männer vor, einer davon Imperiale selbst. Die Beschuldigten stehen unter anderem im Verdacht, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein, die mit Drogenhandel Geld verdiente. Der Anwalt von Imperiale teilte auf Anfrage mit, er könne auch aufgrund laufender Verfahren keine Fragen zu seinem Mandanten beantworten.
Chats über Kryptohandys
Im Zentrum des Verfahrens stehen unter anderem die Nachrichten, die sich Imperiale und seine mutmaßlichen Komplizen über Kryptohandys wie Encrochat und SkyECC austauschten. Verbrecher aus der ganzen Welt haben über die abhörsicheren Handys kommuniziert, bis es europäische Strafverfolgungsbehörden gelang, sie zu hacken. Die Chats ermöglichen einen einzigartigen Einblick in das Innenleben der Gruppierung um Imperiale - unter anderem hinsichtlich der Frage, wie das illegal erworbene Geld mutmaßlich gewaschen wurde.
Offenbar - das legen die Ermittlungsunterlagen nahe - verdiente die Gruppierung um Imperiale täglich hohe Summen. Eine Nachricht, die Imperiale selbst im März 2021 verschickte, lässt Ermittler vermuten, dass er und seine Männer an einem einzelnen Tag 1,4 Millionen Euro verdient haben sollen. Um das Geld aus illegalen Geschäften zu waschen und es durch die Welt zu bewegen, soll die Gruppierung verschiedene Methoden eingesetzt haben. Eine davon bringt Deutschland ins Spiel: das Geschäft mit Gold.
Die Nachrichten, die die mutmaßlichen Mitglieder der Gruppierung austauschten, ermöglichen es, diesem fast Schritt für Schritt zu folgen. Und das soll so funktioniert haben: Ein mutmaßliches Mitglied der Gruppierung, das den Spitznamen "Malandrino" ("Gauner") trug, kaufte das Gold mit Bargeld ein. Allein zwischen November 2020 und März 2021 soll er dafür fast vier Millionen Euro bekommen haben. Der "Gauner" kaufte das Gold vor allem in der Region Kampanien ein, aber auch in Norditalien. Insbesondere in Neapel soll die Gruppierung so viel Gold eingekauft haben, dass sie sogar dessen Marktpreis beeinflusste. So berichtete der "Gauner" einmal an Imperiale, dass ein befreundeter Händler Probleme habe, an neues Gold zu kommen: "Onkel, es liegt an uns, dass der Marktpreis in Neapel steigt", fügte er hinzu.
Kuriere, die für die Gruppierung arbeiteten, sollen die Goldbarren in LKWs versteckt haben, meist unter Lebensmitteln, etwa Kartoffelsäcken. Damit fuhren sie nach Deutschland. So schrieb etwa im Oktober 2020 ein mutmaßliches Mitglied der Gruppierung an einen der mutmaßlichen Kuriere: "Ziel ist Köln, ein Reifenhändler." Die Chat-Nachrichten legen nahe, dass alleine zwischen Oktober und Dezember 2020 die Gruppierung acht Fahrten nach Deutschland unternommen und dabei rund 184 Kilo Gold geschmuggelt haben soll. Die meisten Fahrten hatten Nordrhein-Westfalen als Ziel, etwa Köln, Wuppertal oder Leverkusen. Eine soll nach Rheinland-Pfalz gegangen sein.
Goldverkauf in Deutschland
Ein von den Ermittlern nicht näher identifizierter Mann, der unter anderem als "Odessa" angesprochen wurde, soll für die Kunden den Goldverkauf in Deutschland organisiert haben. Ein paar Mal kommen offenbar Juweliere dafür ins Spiel: "Ich bespreche gerade das (Geschäft) mit Köln, um gleich morgen an die Bezahlung zu kommen. Ich stehe hier mit dem Ladenbesitzer", schrieb "Odessa" in einem Gruppenchat, an dem auch Imperiale teilnahm. Und später am selben Tag: "Ich verhandle gerade mit dem Juwelier, der die beste Konditionen anbietet." Für die Übergabe des Geldes bekamen die LKW-Fahrer via Chat einen sogenannten "Token". Dabei handelte es sich um das Foto eines nummerierten Geldscheines, oft ein Fünf-Euro-Schein. Als Fahrer und Abnehmer zusammenkamen, zeigten sich diese zunächst gegenseitig den Token.
Das Geld aus dem Goldverkauf soll schließlich durch das sogenannte Hawala-System gegangen sein. Dieses erlaubt Kriminellen, Geldsummen fast in Echtzeit durch die Welt zu bewegen - anonym. Um Geld durch Hawala zu bewegen, besucht man einen Händler, in Köln zum Beispiel, und übergibt ihm Bargeld. Der Hawalader kontaktiert einen weiteren Händler aus dem selben Netzwerk, der im Empfängerland, etwa den Vereinigten Emiraten, sitzt. Dieser zweiter Händler zahlt dann fast zeitgleich das Geld bar aus. Zu den Hawaladaren gehören oft Juweliere: Sie haben Tochterunternehmen im Ausland und können das Geld leicht hin- und herschieben. Oft lassen sie sich die Summen in Gold auszahlen.
Ermittlungsunterlagen zufolge war es wieder "Odessa", der den Transfer des Geldes aus dem Goldverkauf organisierte. Dafür - das geht aus einer Chatgruppe mit Imperiale vor - soll er eine Provision von 0,5 Prozent behalten haben. In der Chatgruppe rechnet "Odessa" im Oktober 2020 vor, wie die Transaktion für den Verkauf von 21,5 Kilo Gold in Köln aussehen könnte: An dieser Goldmenge verdiene die Gruppierung etwas mehr als eine Million Euro. Odessa könne sie in 1,2 Millionen US-Dollar umtauschen und anschließend in 4,7 Millionen Dirham. Auch für die Hawala-Transaktion diente die Nummer eines Geldscheins als Authorisierungsverfahren.
Warum Deutschland?
Die Gruppierung um Imperiale soll auch in Italien Geld über Hawaladare bewegt haben. Warum das Gold dann ausgerechnet in Deutschland verkauft wurde, geht aus den Chats nicht klar hervor. Dabei barg alleine dessen Transport die Gefahr, in Polizeikontrollen zu geraten und aufzufliegen. "Odessa und sein Netzwerk verlangten eine niedrige Provision, so dass es für Imperiale billiger war, Geld nach Deutschland zu schmuggeln, als Hawaladare nach Italien zu bestellen", mutmaßte gegenüber MDR und "FAZ" eine mit den Ermittlungen vertraute Person. Ein weiterer Grund dürfte ihrer Meinung nach auch sein, dass die gesetzlichen Regelungen hierzulande weniger strikt seien als in Italien.
Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), ist vom Vorgehen nicht sonderlich überrascht: "Bei der Geldwäschebekämpfung ist uns Italien weit voraus", sagte er. Gerade in Bezug auf Hawala-Banking seien die Verschärfungen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser angekündigt hat, nicht ausreichend. Erst vor wenigen Tagen sprach sich Bundesfinanzminister Christian Lindner gegen eine geplante Bargeldobergrenze von 10.000 Euro aus.
Nach Informationen von MDR und "FAZ" arbeiteten italienische Ermittler trotz der Spur nach Westdeutschland nicht mit deutschen Kollegen zusammen. Ob diese anderweitig an die Informationen aus den Chats gekommen sind, ist unklar. Das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen teilten mit, sie äußerten sich grundsätzlich nicht zu laufenden Verfahren. Zwei Staatsanwaltschaften aus Nordrhein-Westfalen, die sich mit Hawala-Verfahren beschäftigen, waren die Fälle dagegen nicht bekannt.