"Holzmafia" in Rumänien "Die illegale Abholzung wird zunehmen"
In Rumänien werden Jahr für Jahr riesige Waldgebiete illegal von der "Holzmafia" gefällt. Von dem kriminellen System profitieren mutmaßlich auch westliche Holzkonzerne und rumänische Politiker.
Mitten im rumänischen Staatswald, in der Nähe des Örtchens Moldovitza, klafft ein riesiges Loch. Auf mehreren tausend Quadratmetern wurden hier die Bäume abgeschlagen. Es ist ein Kahlschlag, den es nach Recherchen von NDR, WDR, SZ und "Spiegel" nicht geben dürfte. Denn laut offiziellen Papieren der rumänischen Forstbehörde Romsilva sollte in dem Waldstück gerodet werden, um jungen Bäumen Platz zu machen. Doch tatsächlich stehen in diesem Waldstück fast gar keine jungen Bäume, denen man hätte Platz schaffen müssen.
Der Forstwissenschaftler und Leiter des Thünen-Instituts für Waldökosysteme, Andreas Bolte, hat die Aufnahmen des Kahlschlags begutachtet. Sein Urteil ist eindeutig: "In Deutschland wäre das verboten." Verantwortlich für den Kahlschlag ist den Recherchen zufolge eine lokale Firma namens Saniral. Eine schriftliche Anfrage ließ das Unternehmen unbeantwortet. "Es sieht ganz danach aus, dass hier deutlich mehr abgeschlagen wurde, als in den offiziellen Papieren der Forstverwaltung steht", sagt der Umweltaktivist Tiberiu Bosutar. "Genauso wie hier läuft es überall in Rumänien".
Lukratives Arbeitsfelder der Organisierten Kriminalität
Interpol sagt, bis zu 30 Prozent des weltweit gehandelten Holzes sei illegal. Insgesamt entwickelte sich der illegale Handel mit Holz in den vergangenen Jahren zu einem der lukrativsten Arbeitsfelder der Organisierten Kriminalität.
In Rumänien verschwinden offiziellen Zahlen zufolge jährlich etwa 20 Millionen Kubikmeter Holz. Das ist mehr Holz, als legal geschlagen wird. Verantwortlich dafür, dass einige der letzten Urwälder Europas abgeholzt werden, ist ein System, das sowohl Strafermittler, als auch Umweltaktivisten als "Holzmafia" bezeichnen: kriminelle Forstunternehmen, die Bäume im großen Stil illegal abschlagen und die Stämme dann an Sägewerke verkaufen. Das geschieht mutmaßlich häufig mit dem Wissen der staatlichen Forstverwaltung Romsilva und unter den Augen der örtlichen Polizei. Das zumindest berichten mehrere Insider.
Das rumänische Umweltministerium erklärte auf Nachfrage, man habe bereits mehrere Gesetze verschärft, um den illegalen Einschlag besser bekämpfen zu können. Zudem plane man weitere rechtliche Anpassung und eine Stärkung der Forstbehörde.
Calin B. ist ein Insider. Der Mittfünfziger war nach eigenen Angaben selbst lange Zeit Teil der "Holzmafia". Heute lebt er in Süddeutschland. Seine Aussagen lassen sich nicht verifizieren, aber sie decken sich mit den Berichten anderer Quellen. Calin B. beschreibt die illegale Holzwirtschaft in Rumänien demnach als eine Art Pyramiden-System, in dem Schmiergeldgewinne systematisch nach oben gereicht würden. Calin war selbst Förster. Dann habe sein Chef gesagt, er solle selbst ein Sägewerk eröffnen und den Wald abholzen, um den er sich kümmern sollte.
Calin habe mitgemacht und gut verdient, erzählt er. Er habe im Jahr mehrere 10.000 Euro an Schmiergeld gezahlt, auch an einen Parlamentsabgeordneten und an einen Europa-Politiker. "Dem Polizeichef habe ich Bauholz geliefert, der hatte ein Bauunternehmen". Auch der Chef des örtlichen Forstamtes habe profitiert.
Offenes Geheimnis
Die massive Korruption in der illegalen Forstwirtschaft ist in Rumänien ein offenes Geheimnis. Mittlerweile läuft sogar ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien in dieser Sache. Die Rumänische Polizei ging im Sommer 2022 im Nordosten des Landes mit einer groß angelegten Razzia gegen dutzende Sägewerke, Transport- und Abholzunternehmen vor, auch mehrere Lokalpolitiker standen im Fokus der Fahnder. Bei der Aktion wurden zehntausende Euro Bargeld bei Forstunternehmen beschlagnahmt.
Doch wie weit reicht diese Korruptionspyramide nach oben, in das politische System? Ilie Covrig ist einer der wenigen hochrangigen Mitarbeiter der rumänischen Forstverwaltung, der sie aus eigener Erfahrung beantworten kann - und heute offen über das System spricht. Corvig arbeitet mehr als die Hälfte seines Lebens in der staatlichen Forstverwaltung Romsilva, darunter auch als Direktor eines ganzen Forstdistrikts. Von März bis Oktober 2018 war Covrig Staatssekretär im Umweltministerium.
Im Interview sagt Covrig, dass er sowohl als Forstdirektor als auch in seiner Funktion als Staatssekretär von Vorgesetzten unter Druck gesetzt worden sei, "Probleme zu lösen". So sei beispielsweise ein Politiker auf ihn zugekommen und habe gefordert, eine Waldfläche in Bauland umzuwandeln. "Ich habe gesagt, das geht nicht so einfach, dafür gibt es strenge Regeln." Die Antwort des Politikers sei gewesen, dass er sich beeilen solle, hinter dem Antrag stünden wichtige Interessen.
Romsilva weißt alle Anschuldigungen von sich
Covrig hängte seinen Job kurze Zeit später an den Nagel und arbeitet heute wieder als Forstamtsdirektor des Bezirks Mures in Transsylvanien. Auch auf diesem Posten habe er massive Anfeindungen erlebt, unter anderem "weil er den politischen Parteien nicht genug Geld einbringe", wie er sagt.
Covrigs Widersacher meinten damit offenbar die Weitergabe von Korruptionsgewinnen aus der illegalen Forstwirtschaft. Das staatliche Forstunternehmen Romsilva weißt alle Anschuldigungen von sich und erklärt auf Nachfrage, dass das Unternehmen sehr strikt gegen Korruption vorgehe und diese auch entsprechend bestraft werde. Hierfür führe man zahlreiche Kontrollen durch.
Als Covrig standhielt und seinen Posten als Forstdirektor nicht räumen wollte, drohte ihm ein ranghoher Beamter, sein Fall könne noch "blutig enden". Dass solche Sätze durchaus keine leeren Drohungen sind, zeigt ein Blick in die Statistik. Allein in der Zeit von 2014 bis 2019 wurden in rumänischen Wäldern sechs Förster von der "Holzmafia" ermordet und viele hundert Angriffe auf Förster, Umweltaktivistsen und Journalisten registriert.
Das Recherche-Projekt #deforestationinc wurde vom Internationale Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) geleitet. An den neunmonatigen Recherchen waren 140 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt beteiligt.
Zu den 39 an den Recherchen beteiligten Medien gehören in Deutschland NDR, WDR, "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel". International waren unter anderen CBC in Kanada, der ORF in Österreich, "Le Monde" und "Radio France" in Frankreich sowie "The Indian Express" in Indien involviert.
Das Projekt konzentriert sich auf die weltweit fortschreitende Entwaldung und fokussiert unter anderem auf den fragwürdigen Handel mit Nachhaltigkeitszertifikaten, auf den illegalen Handel mit Edelholz und auf die rumänische Holzmafia. Alle Rechercheergebnisse werden international veröffentlicht.
Spanplatten, Pellets, Billigmöbel
Die rumänische Holzwirtschaft selbst bräuchte nur einen Bruchteil des Holzes, das derzeit jährlich in Rumänien geschlagen wird. Der überwiegende Teil der Nachfrage wird von internationalen Konzernen generiert, die aus dem Holz Pressspanplatten, Pellets und Billigmöbel herstellen, die auch auf dem deutschen Markt landen. Einige der großen Konzerne, mit eigenen Sägewerken vor Ort, sind beispielsweise die österreichischen Firmen Egger und HS Timber. Sie sahen sich in der Vergangenheit mit dem Vorwurf konfrontiert, auch illegales Holz zu verarbeiten. Sie wiesen diesen Vorwurf stets zurück, dies auch im Falle des Kahlschlags durch die Firma Saniral, die zumindest zu diesem Zeitpunkt zu einem wichtigen Lieferanten des Egger-Konzerns gehörte.
Auf Nachfrage teilte Egger mit, man habe "strenge Compliance-Prozesse implementiert" und kontrolliere deren Einhaltung genau. Von HS Timber heißt es, das Unternehmen "akzeptiert kein illegal geschlägertes Holz in seiner Lieferkette". Um das sicherzustellen, habe man ein engmaschiges Compliance-System erarbeitet.
Warnung vor Zunahme der illegalen Abholzung
Umweltaktivisten und Politiker warnen davor, dass die illegale Abholzung in Rumänien in diesem Jahr noch deutlich zunehmen könnte. Verantwortlich dafür sei das anstehende Superwahljahr 2024 in Rumänien: Neben einer Parlamentswahl stehen drei weitere Wahlen an. So erklärt der rumänische Umweltaktivist Gabriel Paun, dass "der illegale Einschlag historisch betrachtet, vor anstehenden Wahlen immer ansteigt". Zudem komme es vor Wahlen häufig zu einer Zunahme von Gewalt.
"Dieses ganze System wäre ohne politische Rückendeckung nicht möglich", sagt der rumänische Politiker Nicolae Ștefănuță, der für die Liberalen im Europaparlament sitzt. "Wir müssen davon ausgehen, dass illegales Geld aus der Forstwirtschaft auch in den Wahlkampfkassen landen könnte".
Insofern befürchtet er, dass die bevorstehenden Wahlen einen Anreiz schaffen könnten, noch mehr Geld umzusetzen. Auch der Grünen-Europa-Abgeordnete Thomas Waitz schaut mit Sorge auf Rumäniens Wälder. "Manche werden versuchen, möglichst schnell noch möglichst viel Geld für sich auf die Seite zu räumen. Denn eine neue Regierung bedeutet neue politisch definierte Positionen. Dann ist entweder Schluss mit dem System. Oder eine andere politische Gruppierung vergibt die lukrativen Posten an ihre eigene Klientel".