Kinder gehen an einem  zerstörten Gebäude in Idlib vorbei. (Archivbild: 2022)
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Bericht des Auswärtigen Amtes "Systematische Verfolgung" von Kritikern in Syrien 

Stand: 20.02.2024 05:59 Uhr

Das Innenministerium prüft, wie straffällig gewordene Asylbewerber zurück nach Syrien abgeschoben werden können. Doch laut einem vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amtes ist eine sichere Rückkehr weiter "nicht gewährleistet".

Von Manuel Bewarder und Reiko Pinkert, NDR/WDR

Es ist jetzt bald 13 Jahre her, dass Syriens Machthaber Bashar al-Assad einen folgenreichen Krieg gegen die syrische Bevölkerung begann. Seither sind Schätzungen zufolge eine halbe Million Menschen in den Auseinandersetzungen ums Leben gekommen.

Mehr als zehn Millionen Syrer sollen innerhalb des Landes oder ins Ausland geflüchtet sein. Etwa 800.000 Menschen kamen im Laufe der Jahre in die Bundesrepublik. Eine mögliche Rückkehr in die Heimat, so zeigen Informationen von NDR und WDR, wäre offenbar auch heute noch alles andere als sicher für sie.

In seinem aktualisierten Asyllagebericht für Syrien warnt das Auswärtige Amt vor großen Gefahren bei Abschiebungen oder auch freiwilligen Rückreisen: "Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden", heißt es in dem 32-seitigen Dokument.

Die Rede ist von einer "in weiten Teilen des Landes katastrophalen humanitären, wirtschaftlichen und Menschenrechtslage". Rückkehrende seien in ihrer "persönlichen Sicherheit" bedroht, da sie das Regime häufig als Verräter deklariere und sie "daher oft mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert" wären.

100.000 Menschen vermisst

Die Analyse fällt in weiten Teilen drastisch aus: In dem Schreiben von Anfang Februar hält das Haus von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fest, dass die "systematische Verfolgung" von Oppositionsgruppen und anderen Regimekritikern und Feinden des Regimes "unverändert" andauere.

Willkürliche Verhaftungen mit "häufig daran anschließender Isolationshaft" seien ein "allgegenwärtiges Phänomen" - ebenso das sogenannte "Verschwindenlassen" von Personen. Mehr als 100.000 Menschen würden in Syrien mittlerweile als vermisst gelten, die meisten von ihnen seien Männer.

Die Analyse kommt zudem zu dem Schluss, dass man derzeit nicht von einzelnen sicheren Regionen innerhalb Syriens sprechen könne. Insgesamt könnten "belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geographischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden". Insbesondere für Gebiete unter Kontrolle des Regimes gelte unverändert, dass eine "belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage" nicht möglich sei. 

BMI prüft mögliche Abschiebungen

Der jetzt aktualisierte Bericht für Syrien fällt mitten in eine Prüfung des Bundesinnenministeriums über mögliche Abschiebungen und freiwillige Ausreisen verurteilter schwerer Straftäter und Gefährder nach Syrien. Dazu war das Haus von Nancy Faeser (SPD) Ende des vergangenen Jahres von den Bundesländern im Rahmen der Innenministerkonferenz aufgefordert worden.

Die Initiative dazu war von Sachsen-Anhalt ausgegangen - um "alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zum Schutz der eigenen Bevölkerung auszuschöpfen", wie die Innenministerin des Bundeslandes, Tamara Zieschang, (CDU) damals erklärt hatte.

Auf Anfrage erklärte das Bundesinnenministerium, dass die aktuelle Prüfung im Frühjahr beim nächsten Treffen der Innenminister besprochen werde. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass es in den Bundesländern unterschiedliche Positionen gibt, auch wenn der Auftrag zur Prüfung an den Bund einstimmig ergangen ist.

Bundesländer drängen auf Rückführungen

Das bayrische Innenministerium erklärte auf Anfrage, dass es "oberste Priorität der Staatsregierung sei, den Aufenthalt von Straftätern, Gefährdern und Personen, die durch Gewalttaten oder Randale auffällig wurden, so schnell wie möglich zu beenden". Man fordere den Bund regelmäßig auf, "die entsprechenden tatsächlichen Rückführungsmöglichkeiten auch nach Syrien zu schaffen". Auch Baden-Württemberg habe nach Angaben des zuständigen Justizministeriums den Bund aufgefordert, Abschiebungen von Gefährdern und manchen Straftätern zu ermöglichen. 

Seit Jahren gibt es aus Deutschland keine Abschiebungen nach Syrien. Tatsächlich wurden nach Angaben des Bundesinnenministerium im Jahr 2023 insgesamt 829 syrische Staatsangehörige abgeschoben, allerdings ausschließlich in Drittstaaten und nicht nach Syrien selbst. Allerdings seien in dem Zeitraum 66 Syrer freiwillig zurück in ihre Heimat gereist, finanziert über das BAMF, organisiert mit den jeweiligen Bundesländern.

Aus dem niedersächsischen Innenministerium heißt es, man wolle das Ergebnis der Prüfung des Bundesinnenministeriums abwarten. Klar sei jedoch, dass den Bundesländern keine eigenen Kenntnisse über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat vorliegen. Diese Bewertung obliege dem Bund. 

Eine klar ablehnende Haltung zu Abschiebungen nach Syrien bezieht das nordrhein-westfälische Flucht- und Integrationsministerium: "Solange für keine Personengruppe in keiner Region Syriens eine sichere Rückkehrmöglichkeit besteht, kann es daher keine Rückführungen geben", heißt es auf Anfrage. 

"Signifikante Sicherheitsrisiken"

Offiziell hat das syrische Regime in einem Statement im Oktober 2023 versichert, dass es sichere Rückkehrbedingungen schaffe. Gerade für die Türkei, den Libanon oder Jordanien ist die Rückkehr syrischer Flüchtlinge ein wichtiges Thema auf dem Weg zu einer politischen Annäherung an das syrische Regime.

Gleichwohl bleibe das syrische Versprechen besserer Rückkehrbedingungen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes vage. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder die Internationale Organisation für Migration IOM würden unverändert die Auffassung vertreten, dass die Bedingungen auch für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten angesichts der "unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind".

Der letzte reguläre Asyllagebericht für Syrien war im Frühjahr 2011 verfasst worden. Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs hat die Bundesrepublik ihre Botschaft vor Ort geschlossen. Informationen, die seitdem in die aktualisierten Berichte fließen, stammen etwa aus der deutschen Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen oder aus öffentlich zugänglichen Informationsquellen. Asyllageberichte dienen etwa dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder Verwaltungsgerichten bei Entscheidungen über Asylanträge. 

Marcus Engert, NDR, tagesschau, 20.02.2024 06:43 Uhr