Score zur Kreditwürdigkeit Die Schufa will nicht so wichtig sein
Ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof könnte das Geschäftsmodell der Schufa zumindest teilweise ins Wanken bringen. Es geht um die Frage, wie wichtig der automatisch errechnete Schufa-Score für die Kreditwürdigkeit von Kunden sein darf.
Es ist ein merkwürdiges Schreiben, das Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei kürzlich an Geschäftskunden geschickt hat. Die Schufa bittet darin die Abnehmer ihrer Verbraucherbewertungen schriftlich zu bestätigen, dass der sogenannte Schufa-Score gar nicht so wichtig ist, wie man bisher dachte.
Der Hintergrund des vertraulichen Briefes, der NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) vorliegt: Wenn dieser Score entscheidend dafür ist, ob jemand einen Kredit, einen Handy- oder Energievertrag oder Waren aus dem Internet bekommt, dann könnte das künftig rechtswidrig sein.
Deshalb sollen die Geschäftskunden der Wiesbadener Großauskunftei ein zweiseitiges Papier abzeichnen, in dem es unter anderem heißt, dass der Schufa-Score bei ihnen eine "Vertragsentscheidung nicht bereits vorwegnimmt" und er, egal wie gut oder schlecht, "kein K.o.-Kriterium für die Begründung eines Vertragsverhältnisses" sei. Und wichtig: Der Schufa-Score führe "nicht zu einer automatischen Ablehnung eines Vertragsabschlusses".
Manch einer wird sich da wundern: Hat man den Verbrauchern nicht immer erzählt, wie bedeutend und im Zweifelsfall sogar entscheidend diese Prozentzahl ist? Ob bei 97 oder 98 Prozent oder nur bei 93 oder 94: Der Score sagt etwas darüber aus, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand eine finanzielle Verpflichtung erfüllen kann, einen Kredit zum Beispiel. Er habe nicht selten sehr große Auswirkungen "auf das Leben und die Lebensentscheidungen von vielen Menschen in Deutschland", so der Scoring-Experte Matthias Spielkamp von der Organisation "AlgorithmWatch".
Automatisierte Entscheidungen unzulässig
Die Schufa aber steht ganz offenbar unter Druck. Das dürfte diesen Brief erklären. Denn in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) droht dem Unternehmen ein Urteil, das ihr bisheriges Geschäftsmodell zumindest teilweise ins Wanken bringen könnte. Im Mittelpunkt steht die Frage: Darf der von der Auskunftei aus vielen Daten errechnete Score dafür verwendet werden, um quasi automatisch darüber zu entscheiden, ob ein Unternehmen einen Vertrag mit einem Kunden eingeht oder nicht.
Der Generalanwalt beim EuGH hat im Frühjahr argumentiert, dass Scoring, wie die Schufa es betreibt, schon dann rechtswidrig sein könnte, wenn es "maßgeblich" zu einer solchen Vertragsentscheidung beiträgt. Denn im europäischen Datenschutzrecht ist festgelegt, dass Entscheidungen, die für Menschen eine rechtliche Wirkung haben, nicht rein automatisiert getroffen werden dürfen.
Wenn aber allein oder zumindest überwiegend aufgrund des Schufa-Scores entschieden wird, dann könnte das nach Ansicht des Generalanwalts eine automatische Entscheidung sein - und die wäre unzulässig. Problematisch sind dabei vor allem die Fälle, die Verbraucher "beeinträchtigen" - wenn sie also einen Vertrag nicht bekommen oder nur zu schlechteren Konditionen.
Kein Wunder, dass die Schufa jetzt so hinterher ist nachzuweisen, dass sie gar nicht so wichtig ist, wie alle bisher dachten. Es geht darum, dem Gericht den Wind aus den Segeln zu nehmen, sollte es in naher Zukunft gegen die Schufa entscheiden. Die Gefahr für die Schufa ist auf jeden Fall real, denn der EuGH folgt häufig den Anträgen des Generalanwalts.
Wie maßgeblich ist der Score?
Bei der Schufa gibt man sich einstweilen zuversichtlich: "Wir gehen nach aktuellem Kenntnisstand davon aus, dass der Score in aller Regel nicht maßgeblich für die Entscheidungsfindung ist", so das Unternehmen in einer Stellungnahme gegenüber NDR und SZ. Ganz sicher ist man sich in Wiesbaden aber offenbar nicht. So heißt es weiter: Mit Blick auf das zu erwartende Urteil sei die Abfrage wichtig, um festzustellen, "ob der Score tatsächlich in aller Regel nicht maßgeblich ist, wie wir aus Gesprächen mit Kunden entnehmen, oder ob es ggf. doch spezifische Fälle gibt, in denen er es ist."
Wenn das tatsächlich der Fall sei, müssten womöglich "Prozesse angepasst werden". Sollte sich durch das Urteil die Rechtsgrundlage ändern, werde "sich das Handeln der Schufa selbstverständlich den neuen Gegebenheiten anpassen".
Irritationen bei Unternehmen
Zweifelhaft aber ist, ob die Auskunftei die notwendigen Unterschriften wirklich zusammenbekommen wird. Nach Recherchen von NDR und SZ hat der Schufa-Brief mehrere ihrer Geschäftskunden offenbar eher irritiert. Von einer "Absurdität" spricht man in einem der Unternehmen. Man werde das von der Schufa vorgelegte Papier nicht unterschreiben.
Gerade für Telekommunikationsfirmen, Versandhändler und Onlineshops ist der Schufa-Score immens wichtig, weil sie über potenzielle Neukunden sonst nicht viel wissen. Die Entscheidung, ob oder ob nicht, hängt dann eben größtenteils vom Schufa-Score ab. Etwas anders sieht es bei vielen Banken aus. Die wissen häufig mehr über künftige Kreditnehmer, die Schufa-Daten sind weniger entscheidend.
Die Auskunftei selbst schreibt auf ihrer Webseite jedenfalls, dass ihr Score eine "sehr wichtige Information für Unternehmen oder Banken" sei. "Je besser er ist", heißt es dort, "umso höher sind die Chancen auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss". An dieser Stelle werde sehr deutlich, so Scoring-Experte Spielkamp, dass die Schufa zeigen wolle, "dass der Score konkret sehr maßgeblich für Entscheidungen sein sollte, wer einen Kredit bekommt oder einen Handyvertrag".
Ernüchterndes Fazit
Das EuGH-Urteil könnte das für die Schufa ohnehin nicht sonderlich erfreuliche Jahr nun noch unerfreulicher machen. Dabei hatte Schufa-Chefin Tanja Birkholz lange Zeit keine Gelegenheit ausgelassen, um vor ihrer Belegschaft und in der Öffentlichkeit Optimismus zu demonstrieren.
Eine Transparenzoffensive sollte das notorisch schlechte Image der Schufa endlich aufpolieren, eine Tochterfirma, der 2020 in einen Datenskandal verwickelte Kontodienstleister Finapi, sollte gewinnbringend verkauft werden, und mit dem Start der Bonify-App sollte die Schufa viele neue Kunden und mit ihnen Daten bekommen.
Doch erst platzte der Firmenverkauf, und dann gab es wenige Tage nach Vorstellung der neuen App auch noch einen Shitstorm wegen einer Datenpanne bei Bonify. "Das fühlt sich beschissen an", sagte Schufa-Chefin Birkholz danach vor Mitarbeitern.
Sie zog zudem ein eher ernüchterndes Fazit über den Zustand ihres Unternehmens. Es sei noch nicht vollständig in der digitalen Welt angekommen, so Birkholz, was jedoch dringend nötig sei. Das sei die große Herausforderung für die Schufa.