Ein Kaninchen sitzt in einem Labor in  imago/Plusphotoeinem Käfig.
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Illegale Tierversuche Massive Verstöße in deutschen Versuchslaboren

Stand: 20.11.2023 06:00 Uhr

Jeder Tierversuch muss in Deutschland von Behörden genehmigt werden. Doch NDR-Recherchen legen offen, dass in deutschen Laboren zahlreiche illegale Tierversuche stattfinden, die unnötiges Leid bedeuten.

Von Katrin Kampling, Caroline Walter, NDR

Die Affen siechten zwei Tage mit Schmerzen vor sich hin - nach einem Tierversuch in einer Forschungseinrichtung. Ihre Werte waren so schlecht, dass der Versuchsleiter sofort hätte eingreifen und sie früher erlösen müssen. Doch das passierte nicht. 13 weitere Affen wurden nach dem Experiment zudem offenbar ohne vernünftigen Grund getötet, obwohl dafür keine Genehmigung vorlag. Ein Verfahren wurde gegen Geldauflage eingestellt.

NDR-Recherchen belegen jetzt, dass gravierende Verstöße und Mängel in Tierversuchslaboren kein Einzelfall sind. Versuchstiere werden dabei auch unnötigem Leid ausgesetzt - häufig ohne Konsequenzen. Das hat eine bundesweite Abfrage bei allen zuständigen Behörden in den Bundesländern ergeben. Abgefragt wurden Daten zu Kontrollen, Verstößen und den Strafen.

Kontrollen meist vorher angekündigt

Die meisten Kontrollen von Tierversuchslaboren werden vorher angekündigt. Doch selbst bei vorher angemeldeten Besuchen stellten die Behörden noch massive Verstöße von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fest: Immer wieder halten Labore zu viele Tiere auf engem Raum. Diese Überbelegung bedeutet großen Stress für die Tiere.

Wie wenig offenbar auf die Vermeidung von Leid geachtet wird, zeigen mehrfach dokumentierte Fälle, in denen die Versuchstiere zu wenig Medikamente bekamen, um ihre Schmerzen zu lindern. Auch nach belastenden Versuchen, zum Beispiel Operationen, fehlte eine tierärztliche Versorgung der kranken Tiere.

Die meisten Tierversuche werden von Universitäten und Forschungseinrichtungen durchgeführt, zu allgemeinen Fragen in der Medizin. Und auch von Pharmafirmen, vorgeschrieben für die Zulassung von Arzneimitteln. In Deutschland werden jedes Jahr rund zwei Millionen Tiere für Versuche benutzt, darunter auch Hunde. Das zeigen jährliche Erhebungen vom Bundesinstitut für Risikobewertung.

Illegale Tierversuche in den Bundesländern

Eigentlich müssen Forschende in Deutschland jeden Tierversuch bei den zuständigen Behörden der Bundesländer genehmigen lassen. Sie dürfen Versuche auch nicht einfach abändern. Doch die NDR-Recherchen offenbaren, dass zahlreiche illegale Tierversuche in deutschen Laboren stattgefunden haben: Die Daten der Aufsichtsbehörden zeigen, dass in neun von 16 Bundesländern so nicht genehmigte Tierversuche in den vergangenen zwei Jahren durchgeführt wurden.

Allein in Niedersachsen wurden bei Kontrollen 24 Fälle zwischen Mai 2022 und Juli 2023 festgestellt, bei denen Experimente ohne Genehmigung oder abweichend vom genehmigten Vorgehen stattfanden. In Nordrhein-Westfalen waren es 17 Fälle solcher nicht genehmigter Tierversuche im Jahr 2022. Illegale Tierversuche gab es unter anderem auch in Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Betroffene Tierarten waren neben Mäusen und Ratten auch Affen und Kaninchen.

Dabei benutzten Labore beispielsweise mehr Tiere für Versuche als ihnen genehmigt worden war. Andere Forschende wichen bei Experimenten an Kaninchen einfach vom Versuchsablauf ab; ein gravierender Verstoß, weil die Belastung der Tiere vorher genehmigt werden muss. Mehrere Forschungseinrichtungen setzten zudem Narkoseverfahren ein, für die keine Genehmigung vorlag. Und es kamen Fälle ans Licht, in denen Labore mehr Tiere als "Überschuss" getötet haben als erlaubt.

Alarmierende Zahlen

Bei einem illegalen Tierversuch in Berlin wurden offenbar viele Regeln des Tierschutzes ignoriert. Ein Forschungslabor führte seinen Versuch nicht nur ohne Genehmigung durch, es hielt seine Versuchstiere auch in Räumen und zu engen Käfigen, die gar nicht dafür zugelassen waren. Und das Wohlbefinden der Tiere wurde offenbar nur mangelhaft überwacht.

Die unabhängige Berliner Landestierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann hat selbst jahrelang behördliche Kontrollen in Tierversuchslaboren durchgeführt und findet die Zahl der Verstöße alarmierend. "Es ist erschreckend, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Dieses Ausmaß an illegalen Versuchen in Deutschland war bisher nicht bekannt und es muss der politische Wille da sein, dass man sagt, wir wollen hier das geltende Recht durchsetzen." Das sehe sie aber in vielen Bundesländern nicht.

Lasche Strafen trotz großem Tierleid

Die Strafen für Experimente ohne entsprechende Genehmigung und unnötige Quälerei von Versuchstieren sind nach NDR-Recherchen gering. So gab es für das verspätete Aussetzen eines Tierversuchs, der das Leid der Tiere verlängerte, ein Bußgeld von rund 800 Euro. Für das Abweichen von einem experimentellen Verfahren ein Bußgeld von rund 1.500 Euro.

Und selbst für das nicht genehmigte Töten von Tieren 750 Euro als Ordnungswidrigkeit. Wer mehr Tiere als genehmigt benutzte, kam mit einer "Verwarnung ohne Verwarngeld" davon. Zudem werden bundesweit viele Verfahren einfach eingestellt.

Das CDU-geführte nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerium teilt mit, nach Feststellung von Verstößen werde grundsätzlich die Überwachungsfrequenz der jeweiligen Tierversuchseinrichtung erhöht. Und: "Bei frühzeitiger und korrekter Antragsstellung wären die festgestellten Abweichungen genehmigungsfähig gewesen".

Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte von den Grünen kündigte mit Blick auf die NDR-Abfrage an, dass künftig mehr unangemeldete Kontrollen erfolgen sollen. "Gerade beim Thema Tierversuche muss auf 100 Prozent Korrektheit geachtet werden, das muss man ernst nehmen."

Die Fälle gäben auch Hinweise darauf, dass der "Sanktionsrahmen nicht ausgeschöpft" worden sei. Doch das sei auch eine bundespolitische Angelegenheit. "Ich wünsche mir von der Koalition im Bund, dass der Bereich Tierversuche auch weiter aufgegriffen und im Gesetz verbessert wird."

Auch die Berliner Landestierschutzbeauftragte mahnt an, dass die Bundesregierung das Thema Tierversuche nicht vernachlässigen dürfe. "Es gibt immer noch Lücken beim Schutz von Versuchstieren und die Bundesregierung könnte diese jetzt angehen, aber stattdessen wird das Problem offenbar ausgeklammert", so Herrmann. Bei den vielen Verstößen entstehe der Eindruck, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nichts zu befürchten hätten, wenn sie Versuchstiere unnötigem Leid aussetzten.

Fehlender politischer Wille?

Das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Grünen-Politiker Cem Özdemir überarbeitet derzeit das Tierschutzgesetz. Doch bisher soll es keine strengeren Vorgaben und Sanktionen für den Bereich Tierversuche geben. Die Zahlen zu illegalen Tierversuchen in vielen Bundesländern sind dem Ministerium bisher nicht bekannt gewesen.

"Das ist natürlich ein Unding. Illegal, das geht gar nicht und das entsetzt mich auch, dass so etwas passiert", so die Staatsekretärin Ophelia Nick vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Sie sieht zwar Handlungsbedarf, aber ob ein besserer Schutz von Versuchstieren in die Überarbeitung des Tierschutzgesetzes Eingang findet, lässt sie offen.

Mehr zum Thema sehen Sie ab sofort in der Dokumentation "Tierversuche an Hunden - Leiden im Labor" der Reihe 45Min in der ARD-Mediathek.

Katrin Kampling, NDR, tagesschau, 20.11.2023 09:17 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die NDR-Sendung 45 Min. am 20. November 2023 um 22:00 Uhr.