Nachhaltigkeitsversprechen Greenwashing bei Zalando-Retouren
Europas größter Mode-Onlinehändler Zalando verspricht einen nachhaltigen Umgang mit Retouren. Doch das Unternehmen täuscht Kundinnen und Kunden, wie eine SWR-Recherche mit der "Zeit" und der Recherche-Plattform Flip zeigt.
Zalando ist der größte Online-Modehändler Europas. Allein 2021 verbuchte das Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als 250 Millionen Bestellungen. Davon sei etwa die Hälfte retourniert worden. Zalando wirbt damit, eine nachhaltige Modeplattform zu werden, mit "netto-positiver Auswirkung auf Mensch und Erde" und Retouren und Lieferung klimaneutral zu gestalten.
Auf seiner Homepage gibt Zalando an, dass 97 Prozent der retournierten Kleidungsstücke "nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft" würden. Der Rest werde in Zalando Outlets oder in der Zalando Lounge verkauft sowie an Organisationen gespendet. Weniger als 0,05 Prozent der Retouren würden "in Ausnahmefällen" vernichtet, zum Beispiel bei Schadstoffbelastung oder Schädlingsbefall. Hält Zalando dieses Versprechen? Dieser Frage ist das Team des SWR-Investigativformats VOLLBILD in einer Langzeit-Recherche nachgegangen.
Im August 2022 bestellten VOLLBILD-Reporterinnen zehn Kleidungsstücke, in die sie GPS- und Bluetooth-Tracker einnähen ließen und anschließend an Zalando zurückschickten. Über Monate verfolgten sie die Routen der Tracker und fanden heraus: Die Retouren legen zum Teil sehr lange Wege kreuz und quer durch Europa zurück.
Retouren werden in Polen sortiert
Die ersten Tracker-Signale führten sie ins polnische Gardno. Dort steht eines der Logistikzentren, in dem Zalando-Retourenpakete aus Deutschland ankommen, um sortiert zu werden. Nach Angaben von Arbeiterinnen und Arbeitern vor Ort kommt dort auch Ware "weg", die nach Parfüm oder Rauch riecht oder sichtbar getragen wurde. Eine Arbeiterin berichtete sogar, dass sie dabei gewesen sei, als diese Ware geschreddert worden sei. Zalando dementiert, dass Kleidung mit Parfumgeruch entsorgt werde.
Ein weiterer Tracker führte zu einer Adresse in Darmstadt, an der auch ein Import-Export-Handel angemeldet ist. Auf Anfrage sagte der Händler, dass er nicht mit Zalando-Ware handele. Dennoch sendete der Tracker über Monate hinweg Signale von dieser Adresse. Werden Zalando-Retouren also an Zweitvermarkter weiterverkauft? Davon ist auf der Homepage keine Rede.
Weiterverkauf an Großhändler
"Wir sind die Mülldeponie für Leute, die mit ihrer Retoure nichts mehr anzufangen wissen", erzählte Mohammad Marmar, ein Retouren-Großhändler aus Senden bei Münster, den Reporterinnen. Er habe schon häufig retournierte Ware von Zalando gekauft und diese ins Ausland weitervermarktet. Die einzige Auflage, die er von Unternehmen wie Zalando bekomme: Die Ware müsse aus dem Kernmarkt Europa verschwinden. Deswegen verkaufe er die Ware vor allem nach Asien und Afrika, sagte der Retouren-Großhändler. Was mit der Ware im Ausland passiere, ob sie weiterverkauft werde oder auf Mülldeponien lande, werde von Zalando nicht mehr kontrolliert. Zalando nahm auf Anfrage keine Stellung hierzu.
Als die Reporterinnen das Unternehmen mit ihren Rechercheergebnissen konfrontierten, räumte Zalando ein, Retouren auch an Großhandelspartner weiterzuverkaufen: "Zusätzlich nutzen wir die Möglichkeit, Restbestände an (...) Großhandelspartner zu verkaufen, um die Zerstörung von Waren zu vermeiden, wenn diese in ihrer ursprünglichen Form noch weiterhin nutzbar sind." Den Abverkauf seiner Ware an Großhändler erwähnt Zalando auf der Homepage jedoch nicht und verschweigt damit eine wichtige Information für seine Kunden.
Die Recherche zeigt außerdem: Zalandos Versprechen, "97 Prozent dieser retournierten Modeartikel" wieder über den Zalando Shop zu verkaufen, täuscht die Kundinnen und Kunden. Auf Nachfrage räumte Zalando ein, dass die versprochenen 97 Prozent nicht für alle Artikel auf seiner Plattform gelten. Von den mehr als 1600 Marken und Händlern, die Teil des Zalando-Partnerprogramms seien, wickle derzeit nur die Hälfte Retouren über Zalando ab. Für die andere Hälfte gelte das Versprechen nicht. Auch diese Information findet sich nicht auf der Zalando-Homepage. Hier wird der Eindruck erweckt, dass die 97 Prozent auf alle über Zalando bestellten Artikel zutreffen.
Noch etwas verrät die Tracker-Recherche: Ein halbes Jahr, nachdem sie retourniert wurden, haben die getrackten Kleidungsstücke eine Irrfahrt durch ganz Europa hinter sich. Ein retournierter Babystrampler legte knapp 7000 Kilometer zurück, bevor in Schweden der Akku des Trackers leer war. Eine getrackte grüne Weste war ebenfalls knapp 7000 Kilometer unterwegs und landete in Spanien. Andere Signale kamen aus der Slowakei, Belgien, Italien und Polen. Insgesamt sind die zehn von den VOLLBILD-Reporterinnen retournierten Kleidungsstücke knapp 29.000 Kilometer gereist. Nach mehreren Monaten sind die meisten Artikel, zu denen die getrackten Kleidungsstücke zählen, im Zalando-Shop ausverkauft. Dass sie jemals einen Kunden erreicht haben, ist bei vielen unwahrscheinlich.
Lkw als Lagerräume
Retouren-Forscher Björn Asdecker von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wertete die Routen der getrackten Retouren aus. Seine Erklärung für die Zickzack-Strecken: Zalando arbeite mit Künstlicher Intelligenz, sogenannten "Predictive Analytics", die berechne, wo die Kleidung wahrscheinlich als nächstes bestellt wird. Damit die Kleidung schnell bei den Kunden ankomme, werde sie in Lkw quer durch die Absatzmärkte transportiert. "Die Lkw dienen im Endeffekt als Lagerräume für Zalando", sagt Asdecker. Zalando bestätigte auf Anfrage, es komme vor, "dass ein retournierter Artikel vergleichsweise längere Strecken zurücklegt, um den Wiederverkauf und somit die weitere Nutzung zu ermöglichen."
In seinem Geschäftsbericht schreibt Zalando, dass die Retoure klimaneutral sei, etwa durch CO2-Kompensation. Die Wege der getrackten Kleidungsstücke offenbaren jedoch die wahren Umweltauswirkungen der Zalando-Retouren. "So etwas dürfte es eigentlich nicht geben, wenn man sich im gleichen Atemzug Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt", sagt Björn Asdecker.
Der Film zum Thema ist abrufbar unter www.youtube.de/vollbild und in der ARD-Mediathek.