Folter in Syrien "Die wollen die Menschen brechen"
Martin Lautwein war 48 Tage in einem syrischen Geheimdienstgefängnis inhaftiert. Als erster Deutscher erstattet er Anzeige gegen Verantwortliche des Regimes. Er ist ein wichtiger Zeuge in den Ermittlungen wegen systematischer Folter.
Seine Freiheit ist eine Bürde für Martin Lautwein. "Was soll ich den vielen Syrern sagen, deren Angehörige noch in den Knästen sind?", fragt er. "Warum bin ich frei? Und ihre Söhne, ihre Töchter nicht?"
Auch zwei Jahre nach seiner Haft in einem der berüchtigsten Gefängnisse Syriens hadert Lautwein damit, dass er rausgeholt wurde, nur weil er einen deutschen Pass hat. Bisher konnte er über die Zeit in der "Palestine Branch" des syrischen Militärgeheimdienstes nicht sprechen - doch nun möchte er es tun, um den vielen tausend Menschen, die dort noch immer unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt sind, eine Stimme zu geben.
Als erster Deutscher hat er Verantwortliche des syrischen Regimes angezeigt - wegen Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Lautwein hat sich einer Anzeige von 13 syrischen Folteropfern angeschlossen, die vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) bereits 2017 beim Generalbundesanwalt eingereicht wurde. Er will damit bewirken, dass die deutsche Justiz die Verbrechen des Regimes des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aufklärt und ihn zur Verantwortung zieht.
2018 als Helfer in die Kurdengebiete
Lautwein ist 27 Jahre alt, als er 2018 aus tiefster politischer Überzeugung von Berlin in den Irak reist. Früher hat er sich für Flüchtlinge eingesetzt, nun will er vor Ort humanitäre Hilfe leisten. Er arbeitet als Techniker für eine von der WHO anerkannte Hilfsorganisation, die in Krisengebieten medizinische Infrastruktur aufbaut. Gemeinsam mit einem englischsprachigen Kollegen bricht er im Juni 2018 nach Nordsyrien auf, um in den Kurdengebieten zu helfen. In der Grenzstadt Qamischli warten sie auf Papiere, geraten auf dem Basar in eine Kontrolle von Beamten des Regimes und werden festgenommen.
Möglicherweise hatten die Beamte die beiden Entwicklungshelfer schon länger im Auge, humanitäre Hilfe bekämpfte das syrische Regime im Bürgerkrieg zu diesem Zeitpunkt bereits vehement. Anscheinend hielten die Syrer die beiden Ausländer für Geheimdienstagenten, was Lautwein dementiert. Die beiden Männer wurden gezwungen, ihre Mobiltelefone abzugeben, und wurden nach Namen und Adressen von Helfern vor Ort gefragt. Lautwein und sein Kollege wurden über Nacht festgehalten und am nächsten Tag per Flugzeug nach Damaskus transportiert.
Gefangene des Assad-Regimes: "Ich habe mich gefühlt wie ein Tier"
Stundenlange Folter auf dem Flur
Zu diesem Zeitpunkt glaubte Lautwein noch an ein Missverständnis, das sich bald aufklären würde. Doch dann wurden die beiden Entwicklungshelfer in die sogenannte "Palästina Abteilung", der Abteilung 235 des syrischen Militärgeheimdienstes, gebracht. Lautwein wurde von seinem Kollegen getrennt.
Was der Entwicklungshelfer im Interview mit WDR, SWR und "Süddeutscher Zeitung" über die Haft berichtet, lässt sich teilweise nicht nachprüfen. Aber seine Schilderungen sind plausibel, sie decken sich mit den Berichten anderer Überlebender aus der Abteilung 235. Demnach fanden die brutalen Verhöre von Häftlingen auf den Fluren statt. Lautwein, der in den ersten Tagen in einer Einzelzelle im ersten Stock untergebracht war, konnte hören und zum Teil auch sehen, wie Menschen mit Kabeln oder Rohren geschlagen wurden - manchmal stundenlang.
Ein Putztrupp wischte das Blut auf
Auch vom Einsatz eines sogenannten "Deutschen Stuhls", auf denen der Oberkörper auf einem Stuhl ohne Lehne so weit nach hinten gebogen wird, bis das Rückgrat zu brechen droht, berichtet Lautwein. Die Folterungen seien den ganzen Tag lang durchgeführt worden, in den Pausen habe ein Putztrupp das Blut aufgewischt. "Man wird weder als Mensch oder irgendwas mit Wert betrachtet, sondern alles worum es geht, ist die Leute zu brechen", sagt Lautwein.
Er gibt an, dass in seiner Nebenzelle auch eine Mutter mit ihren Kindern eingesperrt war. An einem Morgen seien die Kinder abgeholt worden, daraufhin seien Wärter über die Frau hergefallen und er habe gehört, wie sie vergewaltigt worden sei. "Nach allem, was ich bereits gesehen hatte, war ich davon überzeugt, dass auch ich nicht mehr lebend rauskomme."
"Ich habe mich gefühlt wie ein Tier"
Auch Lautwein wurde verhört. Auch er sei von Folter betroffen gewesen, sagt er, doch über Details will er nicht sprechen, damit seine Familie diese nicht erfährt. Er macht Andeutungen, Schläge habe es gegeben, etwa wenn er zu lange auf der Toilette gebraucht habe. Ein ärztlicher Bericht des Auswärtigen Amts über eine Untersuchung direkt nach seiner Freilassung lässt erahnen, was er in Haft erleben musste. Er bittet darum, dies nicht zu veröffentlichen.
Nach einigen Tagen wurde er ins Untergeschoss verlegt, in eine dreckige Einzelzelle voller Kakerlaken. Dort erhielt er Behälter für Wasser und Essen, sowie für Urin und Kot. Zweimal am Tag konnte er diese auf der Toilette waschen und auffüllen. Lautwein bekam Durchfall und Läuse. "Ich habe mich gefühlt wie ein Tier. An einem Tag bin ich durchgedreht und habe nur noch in meiner Zelle rumgeschrien und geheult."
Ein Leichensack im Flur
Zweimal habe er versucht, sich das Leben zu nehmen, weil er das Gefühl hatte, es nicht mehr auszuhalten. Beide Male wurde er rechtzeitig von Wärtern gefunden. "Da habe ich realisiert, dass man sich noch nicht mal das Leben nehmen kann an diesem Ort. Selbst das letzte Stück Kontrolle haben sie mir genommen."
Lautwein berichtet, dass Kontakte unter den Häftlingen verboten gewesen seien. Dennoch hätten sich die Männer beim Toilettengang manchmal angelächelt. Er bewundere noch heute, dass man ihnen nicht komplett ihre Menschlichkeit habe nehmen können. Eine Folterung habe er von seiner Zelle aus hören können, bei der das Opfer nichts von sich preisgab. "Er hat nur ab und zu gewimmert", sagt Lautwein. Am nächsten Morgen habe ein Leichensack im Flur gelegen.
Freilassung nach Vermittlung der tschechischen Botschaft
Nach wenigen Wochen habe sich die Versorgung Lautweins verbessert: Er habe reichhaltigeres Essen und Tabletten gegen den Läusebefall bekommen. Auch seinen Kollegen habe er wieder treffen können, von dem man ihm erzählt hatte, er sei tot. Lautwein berichtet, dass die beiden gezwungen worden seien, in einem der Haftanstalt angeschlossenen TV-Studio ein "Propagandavideo" aufzunehmen, in dem sie sich selbst der illegalen Einreise nach Syrien bezichtigten und angeben mussten, im Gefängnis gut behandelt worden zu sein.
Nach 48 Tagen, am 8. August 2018, kamen Lautwein und sein Kollege auf Vermittlung der tschechischen Botschafterin in Damaskus frei. Tschechien führt die diplomatischen Geschäfte in Syrien auch für die Bundesrepublik, die dort seit 2012 keine Botschaft mehr hat. Ob politische oder finanzielle Gegenleistungen für die Befreiung von Lautwein und seinem Kollegen notwendig waren, ist unklar. Das Auswärtige Amt nannte gegenüber WDR, SWR und SZ keine Details. Man habe sich "unter den in Syrien besonders schwierigen Umständen intensiv für Lautwein und dessen Rückkehr nach Deutschland eingesetzt", so ein Sprecher.
Die syrische Botschaft in Berlin ließ eine Presseanfrage zu den von Martin Lautwein erhobenen Vorwürfen unbeantwortet.
"Der Prozess kann nur ein Anfang sein"
Mit der Anzeige gegen namentlich genannte hochrangige syrische Geheimdienstmitarbeiter verbindet Martin Lautwein eine Hoffnung: Ein Prozess gegen die Täter, vergleichbar mit dem, wie er seit April vor dem Oberlandesgericht Koblenz läuft. Dort sind weltweit erstmals zwei mutmaßliche syrische Folterer angeklagt.
"Der Prozess in Koblenz kann nur ein Anfang sein", sagt Patrick Kroker, Rechtsanwalt beim ECCHR, das zahlreiche syrische Opfer von Folter juristisch unterstützt. Er will erreichen, dass deutsche Behörden weitere internationale Haftbefehle gegen die Täter in Syrien ausstellen. "Der Militärgeheimdienst ist besonders wichtig in dem System von Folter und Repressionen gegen die Zivilbevölkerung in Syrien", sagt Kroker. "Wir hoffen mit der Anzeige von Martin Lautwein zu erreichen, dass die deutschen Behörden noch einen Schritt weiter gehen und sich auch die Obersten des Militärgeheimdienstes bald für ihre Taten verantworten müssen."
Den inhaftierten Syrern ging es noch schlechter
Lautwein versucht noch immer, das Trauma der Haft aufzuarbeiten. Ihm geht es weiterhin sehr schlecht. Er hat verschiedene Ausbildungen abgebrochen, will sich nun eine Zukunft als Sicherheitsberater von Hilfsorganisationen aufbauen. Er schämt sich immer noch dafür, dass er das Glück hatte, der Folter zu entfliehen und andere nicht.
Dabei habe er noch eine Art "Luxusbehandlung" bekommen, im Vergleich zu den inhaftierten Syrern, sagt er. So sollen sich in dem Gefängnis Abteilung 235 nach Zeugenaussagen unter den Isolationszellen noch weitere Kellergeschosse befinden. Überlebende berichten, mit mehr als 100 anderen auf 28 Quadratmetern eingesperrt gewesen zu sein. Schlafen könnten die Insassen nur übereinander, Verstorbene seien nicht abtransportiert worden, teils bis Ratten an ihnen nagten.
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