Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt im EU-Parlament eine weiße Corona-Schutzmaske.
Kommentar

Merkels Rede in Brüssel Klare Kante, klare Worte

Stand: 08.07.2020 18:18 Uhr

Kanzlerin Merkel hat zum Start der EU-Ratspräsidentschaft ein leidenschaftliches Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit gehalten. Eindringlich, drängend, kritisch setzte sie die Leitlinien für die kommenden Monate.

Ein Kommentar von Ralph Sina, ARD Brüssel

Nicht nur beim Supermarkt-Einkauf trägt Angela Merkel eine Maske, sondern auch bei ihrer ersten Auslandsreise seit dem Beginn der Corona-Pandemie in die Europahauptstadt Brüssel.

Covid-19 und die hautnahen Konsequenzen - das Kernthema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war Merkel sozusagen ins Gesicht geschrieben, als sie mit ihrer Maske den Seiteneingang des EU-Parlamentes betrat. Doch die Kanzlerin verengte ihre Rede ganz bewusst nicht auf den Dreisatz: Corona-Pandemie, Corona-Wirtschaftsdesaster und Corona-Wiederaufbaufonds.

Pandemie darf nicht instrumentalisiert werden

Merkel erhielt zurecht stehenden Applaus für ihr leidenschaftliches Plädoyer für ein Europa der Rechtstaatlichkeit, in der eine Pandemie nicht instrumentalisiert werden dürfe, um Grundrechte auszuhebeln, die Opposition mundtot zu machen und Minderheiten auszugrenzen.

Härter hätte die Rote Karte Merkels an Viktor Orban und seine Gesinnungsfreunde in Polen und Tschechien nicht ausfallen können. Ohne den ungarischen Premier beim Namen zu nennen, der sich während der Corona-Pandemie vom Parlament in Budapest mit dem Sonderrecht ausstatten ließ, per Verordnung zu regieren, las die deutsche Kanzlerin Orban die Leviten.

Kein Ausweichen um des Friedens willen

Wer geglaubt hatte, Merkel werde um das Thema Rechtsstaatlichkeit einen großen Bogen machen, um die Zustimmung der osteuropäischen Länder zum Corona-Wiederaufbaufonds nicht zu gefährden, der sah sich getäuscht. Die Kanzlerin machte unmissverständlich klar, dass es zu diesem milliardenschweren Aufbaufonds, den sie gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron konzipiert hatte, keine Alternativen gibt.

Nicht rückzahlbare Zuschüsse in Krisenregionen muss es geben. Kredite reichen nicht in einer Corona-Mega-Wirtschaftskrise, in der ohnehin hoffnungslos überschuldete Länder wie Italien, Spanien und Frankreich immer tiefer ins wirtschaftliche Abseits geraten. Und in der der Abstand zu starken Exportnationen wie Deutschland und den Niederlanden so groß wird, dass er den EU-Binnenmarkt auf Dauer zu sprengen droht.

"Allein kommt niemand durch diese Krise. Wir alle sind verwundbar", lautet Merkels Kernbotschaft für die sechs Monate der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Die EU steht vor einer Zerreißprobe

Der Kanzlerin ist klar: Die Europäische Union steht vor einer Zerreißprobe, wenn es beim EU-Gipfel in der kommenden Woche nicht gelingt, den Corona-Wiederaufbaufonds politisch unter Dach und Fach zu bringen. Und wenn durch die EU weiterhin eine Front der gegenseitigen Ablehnung verläuft: zwischen dem Nettozahler-Club der sogenannten sparsamen Vier namens Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden und den Mega-Verlierern der Corona-Krise namens Italien, Spanien und Frankreich. Dann droht der EU-Binnenmarkt wirtschaftlich und politisch auseinanderzufliegen, noch bevor ihn die Briten überhaupt verlassen haben.

Jeder Mitgliedsstaat muss sich in die Lage des anderen hineinversetzen und über seinen Schatten springen, sonst wird mit der EU auch letztlich die deutsche Kanzlerin scheitern. Das ist Merkel klar. Und deshalb hat sie heute trotz Maske in Brüssel kein Blatt vor den Mund genommen.

Ralph Sina, Ralph Sina, ARD Brüssel, 08.07.2020 17:46 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 08. Juli 2020 um 17:35 Uhr.