Kommentar zu EU-Mitgliedschaft Auf Europa muss Verlass sein - auch für die Türkei
Verlässlichkeit zählt in Europa - für alle. Die EU hat der Türkei klare Vorgaben für den Beitritt gemacht. Sobald das Land die Bedingungen erfüllt, hat es das Recht auf Aufnahme. Außenminister Westerwelle weiß das. Auch die Union sollte dies begreifen und ihr Störfeuer einstellen, meint Ulrich Pick.
Zwischen Flensburg und Friedrichshafen leben derzeit zwischen drei und vier Millionen türkisch-stämmige Bürger. Ob sie sich in Deutschland zu Hause fühlen, ist ebenso unklar wie die Frage, ob Deutschland ihr zu Hause sein will. Sicher jedenfalls ist, dass die deutsch-türkischen Angelegenheiten, die eigentlich Sache der Außenpolitik sind, zurzeit wieder einmal auf dem Parkett der deutschen Innenpolitik ausgetragen werden - wie der jetzige Besuch von Außenminister Guido Westerwelle in Ankara und Istanbul zeigt. Das erzeugt - wen wundert’s - einmal mehr das Bild einer reichlich in sich verhedderten Bundesregierung.
Die Türkei will Mitglied der Europäischen Union werden und hat von Brüssel zum Erreichen dieses Ziels klare Vorgaben bekommen. Auch wenn es momentan nicht so aussieht, als ob Ankara diese mit hohem Eifer erfüllen will - schließlich gingen die Reformen am Bosporus schon mal schneller vonstatten - so sollte doch nach wie vor gelten: Wer die entsprechenden Bedingungen erfüllt, darf damit rechnen, in den Club aufgenommen zu werden.
Unions-Sperrfeuer gegen Türkei-Mitgliedschaft
Nun gibt es aber schon seit Jahren aus dem Unionslager kräftiges Sperrfeuer gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die CDU will stattdessen eine sogenannte "privilegierte Partnerschaft", deren Inhalt seltsamerweise je nach Gesprächspartner durchaus variieren kann. Die CSU geht noch weiter: Sie verlangt, die Beitrittsverhandlungen sollten am Besten abgebrochen werden. Und ihr Generalsekretär, Alexander Dobrindt, forderte sogar noch heute morgen den am Bosporus weilenden Bundesaußenminister auf, so wörtlich, "keine Geheimabsprachen" mit der türkischen Regierung zu treffen - eine abstruse Bemerkung, die mehr über die Mentalität von Alexander Dobrindt aussagt als über die deutsch-türkischen Beziehungen.
Westerwelle knüpft an Steinmeier-Linie an
Mag sein, dass man in Unionskreisen gehofft hatte, mit der FDP sei das leidliche Thema "EU-Mitgliedschaft der Türkei" leichter zu bewältigen als einst mit der SPD. Doch Außenminister Westerwelle hat glücklicherweise an die Haltung seines Amtvorgängers Frank-Walter Steinmeier angeknüpft. Nicht weil er die Türkei unbedingt nach Brüssel holen will, sondern weil er Ankara und seinem oft launischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan klar gemacht hat, dass in Mitteleuropa Verlässlichkeit zählt und gleiche Bedingungen für alle, denen man Versprechen gemacht hat. Das ist gut so. Und das sollte auch die Union begreifen. Dass die Türkei darüber hinaus in diesem Zusammenhang noch ein Menge an Hausaufgaben zu machen hat, darf dabei allerdings nicht verschwiegen werden.
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.