SS-Mitgliedschaft war Stasi-Archiv bekannt Grass' SS-Mitgliedschaft schon lange dokumentiert
Die frühere Mitgliedschaft des Schriftstellers Günter Grass in der Waffen-SS ist offenbar schon seit Jahrzehnten belegt. Laut "Kölner Stadtanzeiger" gibt es im NS-Archiv der Stasi entsprechende Unterlagen. Möglicherweise war Grass mit seinem Geständnis einer Veröffentlichung zuvorgekommen.
Der Schriftsteller Günter Grass ist mit seinem Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Waffen-SS möglicherweise Veröffentlichungen zuvorgekommen. Nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeigers" ist im NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS dokumentiert. Bis spätestens Ende März 2007 sollten alle Unterlagen dieses Archivs komplett erschlossen sein.
Das MfS hatte alle ihm zur Verfügung stehenden Dokumente aus der NS-Zeit gesammelt, um sie als Erpressungsmaterial oder zu operativen Zwecken zu nutzen. Das Archiv war 1990 nach Auflösung des MfS mit dem Zentralen Staatsarchiv der DDR in die Obhut des Bundesarchivs gelangt.
Keine Aberkennung des Nobelpreises
Nach seinem Eingeständnis in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war Literaturnobelpreisträger Grass in den vergangenen Tagen teils heftig kritisiert worden. Grass selbst zeigte sich in einem Interview persönlich verletzt: "Sicher ist es auch der Versuch von einigen, mich zur Unperson zu machen", sagte er.
Eine Aberkennung des Literatur-Nobelpreises für Günter Grass, wie sie Einzelne gefordert hatten, schloss die schwedische Nobelstiftung aus. Der Direktor der Stiftung, Michael Sohlman, sagte in der Stockholmer Zeitung "Dagens Nyheter" unter Hinweis auf die Nobel-Statuten: "Die Vergabe ist endgültig. Es ist auch noch nie vorgekommen, dass ein Preis wieder zurückgenommen wurde." Grass hatte den Literatur-Nobelpreis 1999 von der Schwedischen Akademie zuerkannt bekommen.
"Schweigen führt seine früheren Reden ad absurdum"
Der Zentralrat der Juden in Deutschland übte scharfe Kritik an Grass' spätem Bekenntnis. "Sein langjähriges Schweigen über die eigene SS-Vergangenheit führt nun seine früheren Reden ad absurdum", sagte die Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch, der "Bild"-Zeitung. In der "Netzeitung" äußerte sie den Verdacht, dass es sich bei Grass' späten Bekenntnis um eine PR-Maßnahme zur Verkmarktung seines neuen Buches handele. Die Kindheits- und Jugend-Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel", in der er unter anderem erstmals über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS als 17-Jähriger berichtet, erscheint am 1. September.
Kultur-Staatsminister Bernd Neumann sagte ebenfalls der "Bild", Grass habe als moralische Instanz Schaden genommen. Sein literarisches Werk bleibe aber bestehen. Der Schriftsteller Maxim Biller nannte Grass einen Heuchler. Er habe der deutschen Vergangenheitsbewältigung "schwer geschadet", sagte er der "Netzeitung".
Rückendeckung von SPD-Politikern
Rückendeckung erhielt Grass dagegen von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. "Wir sollten ihn nicht, wie manche es jetzt vielleicht verlangen, als Aussätzigen behandeln, das fände ich geradezu absurd", sagte er im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Grass habe mit seinem Bekenntnis "ein wichtiges Detail mitgeteilt". Das sei eine Überraschung. "Es hat auch mich erschrocken, aber es ändert nicht sein Leben und sein Werk vollständig", sagte Thierse.
Vizekanzler Franz Müntefering warnte vor "Hochmut" in der Debatte um Grass. Es wäre zwar gut gewesen, wenn Grass sich früher offenbart hätte. Grass habe gleichwohl viel zum Gelingen der Demokratie in Deutschland beigetragen und tue dies weiter. Es gebe keinen Grund, "über ihn herzufallen", sagte Müntefering dem Fernsehsender n-tv.
"Reflexhaft aufgeregt"
Die junge deutsche Autorin Juli Zeh äußerte ebenfalls Verständnis für Grass' spätes Bekenntnis. Hätte er es schon in den sechziger oder siebziger Jahren abgeben, wäre er "vernichtet worden", sagte die 32-Jährige dem Deutschlandradio Kultur. Es hätte einen solchen "hysterischen Aufschrei" gegeben, dass ihm niemand mehr ruhig zugehört hätte. Ihrer Generation sei die Zeit des Nationalsozialismus nicht egal, "aber man reagiert nicht mehr ganz so hysterisch und so reflexhaft aufgeregt". Sie fügte hinzu: "Man schaltet nicht den Kopf aus vor lauter Aufwallung." Für ihre Generation sei Grass im Übrigen keine moralische Instanz.
Nach dem Wirbel um das SS-Eingeständnis von Günter Grass startet die ARD bereits an diesem Donnerstag die neue Literatursendung "Wickerts Bücher". Darin interviewt Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert um 22.45 Uhr den Schriftsteller.