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Visuelle Popkultur Warum MTV von gestern ist

Stand: 07.03.2025 17:34 Uhr

MTV war lange das Epizentrum der Popkultur. Nun hat der Musiksender sein letztes Flaggschiff, die Europe Music Awards, abgesagt. Ist das Musikfernsehen endgültig Geschichte? Und was füllt die Lücke?

Von Samira Straub, SWR

Es ist das vorläufige Ende einer Ära: Im Februar gab MTV bekannt, dass die Europe Music Awards (EMAs), eine der wichtigsten internationalen Musikpreisverleihungen, 2025 nicht mehr stattfinden werden. Der Mutterkonzern Paramount begründet die Entscheidung mit globalen Sparmaßnahmen und dem Wunsch, den "Veranstaltungsplan für die Zukunft zu optimieren".   

"Unsere Weltklasse-Events bleiben ein wichtiger Bestandteil des Musikangebots von Paramount", so Bruce Gilmer, Chief Content Officer Music von Paramount+. Was für Auswirkungen diese Absage für weitere Ausgaben hat, bleibt unklar.    

Paramount steht jedoch seit geraumer Zeit unter finanziellem Druck und hat zuletzt mehrere hundert Stellen gestrichen. Dass die EMAs eingestampft wurden, ist Teil der neuen Konzernstrategie: Die prestigereichen Preisverleihungen sind zu wenig profitabel, man wolle sich vermehrt anderen Geschäftsbereichen wie Streamingdiensten zuwenden.  

Vom Innovationsmotor zum Nostalgieprodukt  

MTV revolutionierte 1981 die Musikbranche, verlor jedoch in den 2000er-Jahren an Bedeutung, als Reality- und Comedyshows die Musikvideos aus dem Programm drängten.   

Statt musikalischer Taktgeber zu bleiben, wurde MTV zunehmend zu einem allgemeinen Unterhaltungsnetzwerk - ein Kurswechsel, der zwar kurzfristige Einschaltquoten sicherte, aber langfristig das Profil der Marke verwässerte. Schuld daran? Die digitale Wende und die zunehmende Verlagerung des Musikkonsums ins Internet, die MTV bis heute nicht mitging.   

In den USA sanken die Zuschauerzahlen von MTV seit 2011 um über 80 Prozent, in Deutschland erreichte MTV 2024 gerade einmal 0,1 Prozent der Marktanteile. Die Abschaffung der einst so prestigeträchtigen EMAs steht sinnbildlich für diese Entwicklung: Was einst Massen bewegte, erreicht heute nur noch ein Nischenpublikum.    

TikTok und YouTube als neue Gatekeeper der Musikbranche  

Heute schaffen auch andere Soziale Medien visuelle Bühnen für die Musik: Seit den Nullerjahren bieten Plattformen wie YouTube die Möglichkeit, dass Fans ihre Lieblingsvideos jederzeit und kostenlos abrufen können, ohne auf das lineare Programm von MTV angewiesen zu sein.    

Mit mehr als 2,5 Milliarden monatlichen Nutzern, von denen rund die Hälfte angibt, dort Musik zu konsumieren, ist YouTube bis heute die weltweit größte Musikplattform. Besonders Musikvideos und Live-Auftritte profitieren vom Langformat - im Gegensatz zu den schnellen Clips auf TikTok.

TikTok hat sich hingegen als Hitmaschine etabliert. Laut einer Studie von Luminate aus dem Jahr 2023 entdecken 75 Prozent der TikTok-Nutzer neue Musik über die Plattform. Songs, die dort viral gehen, landen oft an der Spitze der Charts - ein Effekt, den man früher nur von MTV kannte.   

Verändertes Konsumverhalten - Musik als Nebenprodukt?  

Während MTV-Musikvideos noch als Gesamtkunstwerk zelebrierte, reduziert TikTok Songs oft auf sogenannte "Hooks" von wenigen Sekunden, die Nutzer für eigenes Videomaterial benutzen. Eine Studie von MIDiA Research aus dem Jahr 2023 zeigt, dass 40 Prozent der TikTok-Nutzer einen Song nur kurz hören, bevor sie weiterscrollen. Das wirft die Frage auf, ob Musik heutzutage nur noch als Beiwerk für virale Trends und kurze Tanzvideos dient.

Der Algorithmus entscheidet, was gehört wird - nicht mehr Radio-DJs oder Musiksender. Kritiker wie der britische Musikjournalist Simon Reynolds warnen, dass dies künstlerische Tiefe gefährden könnte. "MTV machte Songs zu Klassikern. TikTok macht sie zu Konsumgütern mit Verfallsdatum", sagt er. Die wachsende Rolle von Künstlicher Intelligenz und den wenig durchschaubaren Algorithmen macht den Markt zudem unberechenbar.

Während MTV eine gemeinsame Popkultur schuf, in der jeder dieselben Hits kannte, sorgt TikTok für eine Fragmentierung der Musiklandschaft. Songs werden oft nur in bestimmten Subkulturen oder algorithmischen Nischen populär.

Popkultur in Bewegung

MTV mag seine Relevanz verloren haben, doch das Bedürfnis nach visueller Musikinszenierung ist lebendiger denn je. TikTok und YouTube haben die Spielregeln verändert: Musik ist heute interaktiver, schnelllebiger - aber auch nischiger.

Früher entschied ein Fernsehsender mit Musikvideos darüber, was ein Hit wird. Heute entscheiden Plattformnutzer darüber, wenn sie ihre Videos mit einem Song unterlegen.