Interview

Länder kämpfen gegen Ärztemangel "Bei uns laden die Bürger ihren Frust ab"

Stand: 06.04.2011 11:16 Uhr

Die Länder werden künftig mitreden: Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen nicht mehr allein entscheiden dürfen, wo sich Ärzte niederlassen. Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Manuela Schwesig erklärt im Interview mit tagesschau.de, warum die Verhandlungen bisher so zäh verlaufen sind.

tagesschau.de: "Ärztemangel erkannt" heißt wohl noch lange nicht "Ärztemangel gebannt". Wo hakt es?

Manuela Schwesig: Die Gründe für den Ärztemangel sind vielschichtig, und deshalb haben die Länder mehrere Vorschläge gemacht. Der Arztberuf, vor allem der Hausarztberuf, muss wieder attraktiver werden. Ärzten sollen mehr Teilzulassungen ermöglicht werden. Das würde auch die Chance für Ärztinnen erhöhen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Für junge Frauen ist es wenig eben wenig attraktiv, eine Landarztpraxis allein rund um die Uhr zu unterhalten. Sie brauchen auch nach der Geburt eines Kindes die Option auf eine Vertretung für zwölf Monate und nicht nur für sechs Monate.

Außerdem müssen wir besser und genauer und zielgerichteter planen können. Bisher findet die Planung "Wo brauche ich einen Arzt?" überall nach den gleichen Kriterien statt, und das passt natürlich nicht. Die Bevölkerungssituation in einer ländlichen Region mit vielen alten Menschen wie in Mecklenburg-Vorpommern ist ganz anders als in einer Metropole wie Berlin. Deshalb wollen wir eine regionale Ärzteplanung. Bisher haben die Länder wenig Einblick, denn bisher hat die Kassenärztliche Vereinigung diese Planung alleine übernommen. Aus diesem Grund brauchen die Länder ein Mitspracherecht. Denn bei uns laden die Bürger ihren Frust über den Ärztemangel ab.

Zur Person

Seit 2008 ist Manuela Schwesig Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern. Zuletzt verhandelte die Diplom-Finanzwirtin mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die Hartz-IV-Reform. Schwesig gehört zu den Stellvertretern von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Sie ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.

tagesschau.de: Warum sind die Verhandlungen bisher nur schleppend verlaufen?

Schwesig: Die Verhandlungen bis jetzt wurden bedauerlicherweise vom Bundesgesundheitsminister blockiert. Die Kassenärztliche Vereinigung auf Bundesebene war wesentlich kooperativer und zeigt sich offen gegenüber einem Mitspracherecht der Länder. Inzwischen hat aber auch Minister Rösler erkannt, dass er ohne uns gar nichts machen kann. Bewegung in die Sache gekommen ist auch, weil Jens Spahn von der CDU viele unserer Vorschläge aufgegriffen hat. Aber durch die Blockadehaltung des Ministers haben wir leider ein Jahr vergeudet. Der Ärztemangel wird sich zuspitzen. Wenn es so weiter läuft wie bisher, dann ist die medizinische Versorgung in Deutschland nicht mehr gesichert.

tagesschau.de: In welchen Regionen von Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel ist die Situation jetzt schon kritisch?

Schwesig: Das ist besonders in der Region Vorpommern der Fall. Dort haben wir viel Fläche und wenig Besiedlung. Gerade in solchen Regionen müssen auch niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser viel mehr kooperieren. Da müssen auch die Ärzte an Krankenhäusern die Versorgung zum Teil sicher stellen. In Deutschland laufen die Planungen für Niederlasssungen und Krankenhäuser nebeneinander her. Ich kann als Gesundheitsministerin ein Krankenhaus und die Anzahl der dortigen Betten planen. In die Zahlen und Planungen der Kassenärztlichen Vereinigung habe ich keinen Einblick. Das ist keine medizinische Versorgung aus einem Guss. Da müssen die starren Verkrustungen aufgebrochen werden, wir müssen mit neuen Versorgungsformen in die Fläche gehen.

Wir wollen jetzt zum Beispiel ein Ärztehaus in einer Stadt ansiedeln, wo sich eine Niederlassung rund um die Uhr nicht mehr lohnen würde. An einem Tag kommt ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, an einem anderen Tag eine Physiotherapeutin. In einem steuerfinanzierten Modellprojekt übernehmen wir als Land bereits die regionale Versorgungsplanung. Aber eigentlich ist das die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung.

tagesschau.de: Letztendlich spielen immer auch die Verdienstmöglichkeiten für Ärzte eine große Rolle. Muss man da nicht einfach auch mehr Geld in die Hand nehmen?

Schwesig: Die Kassenärztliche Vereinigung verteilt ja das Geld für die Honorare der Ärzte. Also muss die Kassenärztliche Vereinigung die Möglichkeiten nutzen, um in den unterversorgten Regionen die Honorarsituation zu verbessern. Es ist einfach ein Unterschied, ob ich für einen Hausbesuch erst mal 30 Kilometer über Land fahre oder nicht. Und das bedeutet nicht, dass die Honorare flächendeckend angehoben werden. Nach Mecklenburg-Vorpommern sind durch die vorletzte Honorarreform 100 Millionen Euro mehr an Honoraren geflossen. Die aber wurden einfach nur auf die vorhandenen Ärzte verteilt, ohne dabei einen Teil des Geldes für neue Anreizsysteme zu verwenden. Das muss in Zukunft anders laufen.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de